Was wie eine Ausrede klingt, ist wissenschaftlich immer mehr belegt: Bei sehr adipösen Kindern spielt eine Hormonstörung eine entscheidende Rolle. Um sie zu behandeln, braucht es neue Therapieansätze.
Dass Hormone ein Rolle spielen bei der Regulierung des Körpergewichts ist keine neue Erkenntnis. Bereits in den 90er Jahren wurde das sogenannte Hungerhormon Leptin entdeckt, das Hunger und Sättigung im Körper reguliert, indem es Botenstoffe zum Gehirn sendet und ihm so mitteilt, wann genug Energiereserven im Körper vorhanden sind.
Fehlregulierung des Hormons Leptin
Bei adipösen Menschen sei diese Regulierung gestört, weil das Leptin zum Beispiel nicht mehr an Rezeptoren binden könne und die Signale somit nicht im Gehirn ankämen, sagt Professor Martin Wabitsch in der Pressekonferenz für die 6. Hormonwoche der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie.
Das sei in den Köpfen der Gesellschaft und auch bei vielen Medizinern und Medizinerinnen immer noch nicht angekommen.
Schwer adipöse Kinder könnten mit herkömmlicher Verhaltenstherapie, also mehr Sport und gesünderer Ernährung, nur maximal 10 Prozent ihres Körpergewichts reduzieren, da die hormonelle Fehlregulation den Kindern dauerhaft ein Hungergefühl vermittle, wogegen sie willentlich kaum ankämen.
Hormonwirksame Medikamente
Wichtig sei daher, zu erkennen, dass adipöse Kinder krank seien und dies kein selbst gewählter Zustand sei, stellt Professor Wabitsch klar. Es brauche neue, mit Medikamenten gestützte Therapieansätze, um diesen Kindern auch langfristig helfen zu können.
Für ihre Behandlung könnten hormonwirksame Medikamente eingesetzt werden, die sogenannten Inkretinmimetika. Bisher wurden diese vor allem bei der Therapie gegen Diabetis mellitus Typ2 verwendet, erklärt Prof. Jochen Seufert, Leiter der Abteilung Endokrinologie und Diabetologie an der Uniklinik Freiburg.
Bisher nur für Einzelfälle
Über die Jahre habe man dann festgestellt, dass diese Medikamente, die körpereigene Hormone imitieren, nicht nur gegen Diabetes helfen, sondern auch im Sättigungszentrum des Gehirns wirkten und so immerhin zu einer Gewichtsreduktion um bis zu 20 Prozent führen könnten.
Das liege daran, dass diese Medikamente ursprünglich für einen anderen Gebrauch zugelassen worden seien und jetzt im sogenannten "Off-Label-Use" auch in schweren Fällen bei der Behandlung von Adipositas verwendet würden, erklärt die Techniker Krankenkasse gegenüber dem SWR. Bislang seien diese Medikamente auch noch nicht in den offiziellen Leitlinien zur Behandlung von Adipositas aufgenommen worden.
Medikamente als Baustein der Therapie
Das müsse sich dringend ändern, sagt Prof. Wabitsch. Die Inkretinmimetika seien ein wichtiger Baustein, um diesen Kindern zu helfen, um sie auf einem gewissen Gewichtsniveau einstellen zu können.
Ansonsten nähmen diese Kinder immer weiter zu - wie auch die aktuellen Zahlen des Robert-Koch-Instituts zeigen: Adipositasprävalenzen bei Mädchen und Jungen steigen mit zunehmenden Alter: Sind es 2 Prozent bei den 3-6-Jährigen , so sind es mit 8,5 Prozent bereits fast vier Mal so viel bei den 14-17-Jährigen.
Weitere Forschung nötig
Warum der medikamentöse Ansatz noch nicht so verbreitet ist, hängt auch daran, dass vieles noch nicht erforscht ist und man gerade bei Kindern sehr genau anschauen muss, welches Präparat sinnvoll ist. Und ein Allheilmittel sind sie natürlich auch nicht.
Diese Medikamente wirkten natürlich nur, solange sie verabreicht würden, sagt Prof Seufert. Das Gewicht dauerhaft und nach Absetzen der Medikamente zu halten, dafür brauche es auch weiterhin einen gesunden Lebensstil.