Während der Corona-Pandemie sind 16 Prozent der Kinder dicker geworden, gleichzeitig bewegen sie sich weniger, nutzen Handy und Computer sehr viel intensiver und essen mehr Süßes.
Ermittelt wurden die Daten mit einer repräsentativen forsa-Umfrage unter 1.000 Eltern, die jetzt vorgestellt wurde. Auftraggeber der Befragung waren die Deutsche Adipositas Gesellschaft (DAG) und das Elke Kröner Fresenius Zentrum der TU München. Die Fachwelt reagiert besorgt auf die neuen Daten.
Wenig Bewegung, erhöhter Medienkosum und viel ungesundes Essen
So stieg bei Kindern und Jugendlichen von sechs bis 16 Jahren der Medienkonsum in der Freizeit um 70 Prozent an. Beobachten ließ sich auch ein ungesünderes Essverhalten, die doppelte Zufuhr von ungesunden oder gesüßten Snacks. Außerdem haben viele Kinder sich weniger bewegt, die körperliche Fitness hat abgenommen.
Dr. Susann Weihrauch-Blüher ist Oberärztin an der Universitätskinderklinik Halle an der Saale. Sie ist Expertin für Adipositas im Kinder- und Jugendalter und hat die Elternbefragung wissenschaftlich mit ausgewertet. Das Forscherteam hat die aktuellen Daten mit einer früheren Umfrage verglichen – und kommt zu einer ernüchternden Erkenntnis:
Bluthochdruck, Fettleber und Diabetes Typ 2 als Begleiterkrankungen
Die Folgen werden sich in den nächsten Jahren zeigen, warnt Susann Weihrauch-Blüher. So seien Kinder zunehmend schon in jungen Jahren von Begleiterkrankungen betroffen: Immer häufiger lautet die Diagnose Bluthochdruck, Fettleber oder gestörter Zuckerstoffwechsel – bis hin zu Typ 2 Diabetes, der normalerweise nur bei Älteren auftritt.
Solche Erkrankungen ließen sich, so Weihrauch-Blüher, zunehmend auch schon bei jüngeren Kindern beobachten. Vor zehn, zwanzig Jahren sei das so noch nicht der Fall gewesen. Nach Einschätzung der Kinderärztin sei das eine Entwicklung, die uns den nächsten Jahre auf alle Fälle beschäftigen und auch unser Gesundheitssystem fordern werde.
Kinder aus sozial schwachen Familien häufiger betroffen
Vor allem die Kinder, die schon vor der Pandemie zu viele Kilos auf die Waage brachten, haben noch mehr zugenommen. Dabei spielt die soziale Herkunft eine Schlüsselrolle: Kinder und Jugendliche aus Familien mit geringem Einkommen wurden während der Pandemie doppelt so häufig dicker als Kinder aus wohlhabendem Elternhaus.
In ärmeren Familien gingen auch Bewegung und körperliche Fitness deutlich stärker zurück; gleichzeitig waren die Kinder durch die Pandemie seelisch stärker belastet. Nur bei der verstärkten Mediennutzung spielte das Familieneinkommen keine Rolle.
Alter von zehn bis zwölf Jahren wegen hormoneller Umstellung besondes betroffen
Bei der Auswertung der Daten zeigte sich noch ein weiterer wichtiger Einflussfaktor: das Alter der Kinder. Übergewicht und viele weitere negative Entwicklungen waren bei den 10-12-Jährigen besonders ausgeprägt. Unter anderem nimmt die Mediennutzung deutlich zu in dieser Altersgruppe, auch das Essen wird selbstständiger ausgewählt.
Außerdem kommen viele Kinder zwischen 10 und 12 in die Pubertät – eine Phase, die mit hormonellen Veränderungen einhergeht, die auch eine Gewichtszunahme begünstigen können.
Zu wenig Hilfsangebote für Kinder
Wenn Kinder fettleibig werden, brauchen sie schnell kompetente Hilfe. Das fordert Susann Weihrauch-Blüher von der Deutschen Adipositasgesellschaft. Sie kritisiert, dass es hierzulande zu wenige Angebote dafür gibt – und dass die Krankenkassen sich oft sperren, eine Adipositastherapie für Kinder zu bezahlen. Dabei ist frühes Eingreifen, möglichst schon in den ersten Schuljahren, entscheidend:
In dieser Phase seien Kinder noch im Längenwachstum begriffen. Das heißt, man könne allein dadurch, dass man über einen längeren Zeitraum das Gewicht stabilisiert eine Optimierung der Körperzusammensetzung erreichen und auch eine Adipositas verringern oder sogar entgegentreten. Später bei Kindern, die ausgewachsen sind, sei das nicht mehr möglich. Hier sei dann tatsächlich eine Gewichtsreduktion erforderlich – und das sei bei weitem schwerer als nur das Gewicht zu halten.
Die Deutsche Adipositasgesellschaft hat noch weitere Forderungen für mehr Kindergesundheit, zum Beispiel:
- Werbebeschränkungen für ungesunde Lebensmittel,
- eine Steuer auf Süßgetränke –
- und besseres Schulessen.
Fachleute fordern mehr Bewegung in Kindergärten und Schulen
Für besseres Schulessen sollten laut DAG auch mehr staatliche Subventionen fließen. Wichtig wäre gerade nach zwei Jahren Pandemie auch mehr Bewegung in Kindergärten und Schulen, betont Susann Weihrauch-Blüher: Gemeint sei damit keine Schulsportstunde, sondern einfach aktive Pausen einzulegen, aktive Spiele zu integrieren.
Diese Forderung sei aus vielen unterschiedlichen Gründen im Sande verlaufen, weil es zum Teil einfach nicht umsetzbar sei, weil es auf Länderebene entschieden wird usw. Aber das wäre aus Sicht der DAG ein ganz wichtiger Punkt.