Beständig, bescheiden, belastbar: Timo Eder hat sich nicht nur ins Olympia-Team geturnt, sondern parallel auch sein Abi geschafft. In Paris will der 19-Jährige seine Vorbilder treffen.
Für einen Abiturienten in Baden-Württemberg ist eine 40-Stunden-Woche schnell gefüllt: 34 Schulstunden, danach die Hausaufgaben und zusätzlich noch für die Prüfungen lernen. Im Gegensatz zu seinen Klassenkameraden, kamen bei Timo Eder wöchentlich noch rund 25 Stunden Training dazu: Denn der Leistungsturner vom MTV Ludwigsburg hat in den letzten Wochen nicht nur für den Schulabschluss gepaukt, sondern auch um einen Platz im deutschen Olympia-Team gekämpft. Wie er das alles unter einen Hut bekommen hat, darüber rätselt Eder selbst.
"Ich verstehe selbst noch nicht so ganz, wie das alles zusammen funktioniert hat. Es gab auch die Möglichkeit, mein Abi ein Jahr später zu machen und mich nur auf die Wettkämpfe zu konzentrieren. Aber ich bin sehr froh, dass ich das nicht gemacht habe. Hätte ich dann weder das Abi geschafft, noch die Olympia-Quali, wäre das bestimmt nicht gut für meinen Kopf gewesen," erzählt Timo Eder im Interview mit SWR Sport. "Also habe ich gesagt: Ich mache die Schule und ich versuche es mit Olympia. Dann sind die Wettkämpfe Anfang des Jahres so gut gelaufen, meine Übungen wurden immer sicherer, die Chancen für Olympia standen immer besser. Jetzt, wo ich fertig mit der Schule und qualifiziert bin, bin ich einfach nur erleichtert und freue mich natürlich auf das, was jetzt kommt."
Leistungen bleiben auch in der höchsten Altersklasse beständig
2023 wagte Timo Eder den Sprung zu den Senioren. Hier konnte der damals 18-Jährige direkt überzeugen und sich bei den Deutschen Meisterschaften die Bronzemedaille am Boden sichern. Seinen Erfolg bestätigte er auch bei den Finals in diesem Jahr: Hinter dem aktuellen Barren-Weltmeister Lukas Dauser und dem dreimaligen Olympia-Teilnehmer Andreas Toba stand Timo Eder auf dem Treppchen. Neben Bronze im Mehrkampf wurde er auch Vizemeister am Pauschenpferd.
Vizeweltmeister am Boden, auch diesen Erfolg feierte Timo Eder bereits, aber im Junioren-Bereich. Jetzt turnt er mit den ganz Großen: "Es macht schon einen Unterschied, weil die mehr Erfahrung haben und auch teilweise schon Medaillen bei Olympischen Spielen geholt haben. Aber bei meinen Übungen konzentriere ich mich immer auf das, was ich jetzt machen muss und lasse mich da auch nicht ablenken durch Einflüsse von außen," so der 19-Jährige.
Timo Eder nutzt seine Chance bei der Olympia-Quali
Am Anfang seiner Karriere sei er etwas abergläubisch gewesen, was Rituale und Abfolgen am Wettkampftag angeht. "Inzwischen weiß ich, dass das alles hauptsächlich im Kopf stattfindet und dass man sich eben nicht zu sehr auf eine bestimmte Art und Weise, wie man sich vor dem Wettkampf verhält, festbeißen sollte. Deswegen mache ich das einfach immer so, wie es kommt," sagt Timo Eder.
So auch in Rüsselsheim, als Lukas Dauser sich beim Qualifikationswettkampf für Olympia an den Ringen eine Verletzung zuzog. Der Favorit beendete das Turnier nach zwei Geräten und öffnete das Türchen für die Konkurrenz, doch die musste auch erst mal abliefern. Timo Eder nutzte seine Chance, gewann den Mehrkampf und brachte sich für Olympia in Stellung: "Bei der Quali habe ich wirklich gut geturnt. Dass ich nominiert werde, habe ich mir dann schon erhofft und hatte auch so ein bisschen mehr damit gerechnet. Als es dann offiziell bekannt gegeben wurde, ist schon eine große Anspannung abgefallen. Das war eine große Erleichterung für mich," erinnert sich Eder.
Turnen | Olympia-Quali Barren-Weltmeister Dauser bricht Wettkampf ab - Timo Eder gewinnt
Schreckmoment bei der finalen Olympia-Qualifikation in Rüsselsheim: Barren-Weltmeister Lukas Dauser musste den Wettkampf verletzt abbrechen. Timo Eder gewann die Ausscheidung.
Eine größere Verschnaufpause blieb Eder allerdings nicht, denn nach der Quali standen noch mündliche Abiturprüfungen an - Deutsch und Geschichte. Die Doppelbelastung ging und geht also weiter: Einkleiden der deutschen Olympia-Mannschaft und Abiball, Trainingslager statt Abschlussfahrt: "Unsere Abifahrt fällt jetzt genau auf den Zeitraum, wo ich in der Olympia-Vorbereitung bin. Deshalb kann ich da leider, aber auch Gott sei Dank, nicht mitkommen," meint Timo Eder.
Sportbegeisterte Familie sorgt für Rückhalt
Etwas zu verpassen, das Gefühl hat Timo Eder dennoch nicht. Auf Social Media sieht man den VfB-Fan auch mal im Stadion, im Urlaub mit Freunden beim Salto ins Meer, oder auf einem Konzert von Ski Aggu. Auf die Frage nach versteckten Talenten bleibt Eder bescheiden. "Also ich würde nicht sagen, dass ich krass lustig bin, aber ich bin für viel Spaß zu haben," lacht Eder. Er schätze seine große Freundesgruppe, aber für seine Kumpels sei er "ein ganz normaler 19-Jähriger, der intensiv Sport treibt."
Neben seinen Freunden gibt auch seine Familie Eder viel Rückhalt. Seine Eltern sind sportbegeistert, sein jüngerer Bruder Jonas turnt ebenfalls. Vom Kinderturnen fand Timo seinen Weg zum Geräteturnen: "Mit neun Jahren bin ich hier ins Kunst-Turn-Forum nach Stuttgart gekommen, wo ich mehr trainiert habe als in Ludwigsburg. Und dann hat sich das einfach so entwickelt. Es gab eigentlich nie den Zeitpunkt, an dem es mir keinen Spaß gemacht hat und dann ist es dabei geblieben."
Von Brody Malone bis LeBron James
Am 27. Juli wird Timo Eder gemeinsam mit einigen seiner Vorbilder in Paris auf der Matte stehen. "Ich finde den US-Amerikaner Brody Malone ziemlich stark. Vor allem, weil er sich letztes Jahr hier beim DTB-Pokal verletzt hatte und es jetzt wieder geschafft hat, fit zu werden. Und dann gibt es natürlich noch die anderen Nationen, vor allem China, Japan und die USA, die alle extrem starke Mannschaften haben, bei denen es auch extrem viel Spaß macht zuzuschauen und bei denen man sich immer was abschauen kann," findet Eder.
Bei den Olympischen Spielen in Paris werden Timos Familie und seine Freundin vor Ort dabei sein. "Sie haben schon Tickets und ich freue mich, dass wir dann auch mal was zusammen unternehmen können, wenn ich gerade keinen Wettkampf habe," so Eder. Denn für andere Sportarten interessiere er sich natürlich auch: "Ich habe gehört, dass die USA mit einem sehr starken Basketballteam anreist, auch mit LeBron James. Das wäre natürlich krass, das Team in echt zu sehen. Aber darauf liegt jetzt nicht der Fokus und es kommt, wie es kommt."
Eder und Co. wollen bei Olympia ins Team-Finale
Der Fokus liegt Ende Juli auf dem Einzug ins Team-Finale. "Das ist auf jeden Fall das Ziel der Mannschaft," so Eder. Er selbst hofft auf einen Mehrkampf-Start: "Das wird sich jetzt in der Vorbereitung zeigen. Da wird es sicher ein paar Übungen geben, bei denen sich der Bundestrainer nochmal anschaut, wie die Leistungen fürs Team am besten sind. Und danach wird sich zeigen, ob ich an allen Geräten antreten kann oder nicht. Wobei ich glaube, dass die Chancen gar nicht so schlecht stehen."
Darüber hinaus scheint der 19-Jährige nicht großartig vorausdenken zu wollen, was Olympia betrifft, sondern lässt alles auf sich zukommen: "Ich weiß ja noch gar nicht so richtig, was mich da erwartet. Ich denke, da werde ich jetzt im Laufe der Vorbereitung auch noch paar Geschichten von den Älteren hören. Ich denke, es wird auf jeden Fall ein krasses Erlebnis, das Dorf zu sehen und die ganzen anderen Sportler. Das erlebt man nirgendwo sonst so. Und deswegen ist es für mich auch eine große Ehre, da teilzunehmen," sagt Timo Eder.
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