Der Triumph der deutschen Faustballer bei der WM in Mannheim ist für SWR-Sport-Reporter Patrick Stricker sein Sportmoment des Jahres 2023. Ein Rückblick auf ein besonderes Turnier.
Ein Gefühl, das in mir immer für jede Menge Glückshormone sorgt, ist der Zustand kindlicher Vorfreude. Diese Momente, in denen man realisiert: Gleich ist es soweit. Gleich passiert etwas, auf das man lange gewartet, hingefiebert oder hingearbeitet hat.
Früher verspürte ich dieses Gefühl vor allem kurz vor der Bescherung an Heiligabend, später dann unmittelbar vor dem Bestehen der Führerschein- oder Abiprüfungen. Noch besser finde ich es aber, wenn ich diese kindliche Vorfreude bei anderen Menschen beobachten darf. So wie am 29. Juli 2023.
Patrick Thomas machte Deutschland zum Faustball-Weltmeister
Johannes Jungclaussen hatte an jenem Samstagnachmittag plötzlich ein Funkeln in seinen Augen, das ich wohl für lange Zeit nicht vergessen werde. Der Angreifer der deutschen Faustball-Nationalmannschaft rannte seinem Mitspieler und Kapitän Fabian Sagstetter in die Arme, klatschte sich mit ihm ab, grinste von einem Ohr bis zum anderen.
Im WM-Finale gegen Österreich in Mannheim hatte sich Deutschland gerade drei Matchbälle gesichert, der Titelgewinn war zum Greifen nah. Nach einer letzten Auszeit der Österreicher, dem goldenen Rückschlag von Patrick Thomas und knapp zwei Minuten voller kindlicher Vorfreude war es schließlich vollbracht: Deutschland, Faustball-Weltmeister 2023.
Dieser WM-Triumph ist mein Sportmoment des Jahres, weil er für mich viele der Dinge vereint, die die Berichterstattung über Sport beziehungsweise über Sportlerinnen und Sportler sowie ihre Leistungen so besonders machen. Am meisten beeindruckt hat mich dabei die Leidenschaft, mit der sich die zehn sympathischen Nationalspieler und ihr Betreuerteam um Bundestrainer Olaf Neuenfeld auf dieses Turnier vorbereitet haben. Und vor allem: mit der sie es durchgezogen haben.
Faustball, das ist seit diesem Sommer eine Sportart, die ihr Schattendasein als Randsportart hinter sich gelassen hat. Eine perfekt organisierte Heim-WM in Mannheim, mit spannenden Spielen im Rhein-Neckar-Stadion und Spektakel am Finalwochenende in der SAP-Arena, dazu die stark nachgefragten Live-Übertragungen bei SWR Sport: Eine Woche lang schraubte der Faustball eifrig an seinem Image, gewann viele Fans und eine neue Popularität hinzu.
Neuer Ruhm, alte Bedingungen: Faustballer sind keine Profis
Faustball, das darf bei all dem frischen Anstrich aber nicht vergessen werden, wird nach wie vor von Amateuren gespielt - nicht von Profis. Jungclaussen, Sagstetter und Co. investieren zwar "profiartig" viel Zeit in Training, Bundesliga-Spiele und Turniere, Geld für den Lebensunterhalt ist dadurch aber nicht zu verdienen.
Auch für den Pfungstädter Patrick Thomas nicht, der international jahrelang den Ruf als weltbester Angreifer genoss. Neben vier anderen WM-Helden beendete er im September seine Karriere in der Nationalmannschaft, wo er eine Lücke hinterlässt, die wesentlich größer ist als seine sage und schreibe 22 Zentimeter messende Handinnenfläche.
Faustball-Deutschland steht vor einem Umbruch
An den riesigen Umbruch, vor dem Rekord-Weltmeister Deutschland jetzt also steht, war am späten Nachmittag des 29. Juli freilich noch nicht zu denken. Knapp zwei Stunden nach dem Matchball, die rund 10.000 Fans waren schon längst auf dem Heimweg, hatten die Faustballer die Mannheimer Arena endlich für sich alleine.
Wo eben noch eine lautstarke Final-Party tobte, gab es nun auch Momente der Ruhe und des Innehaltens. Momente, in denen ich bei den Spielern einen Mix aus völlig unterschiedlichen Gefühlslagen wahrnahm.
Faustball gesellt sich 2023 zu Eishockey und Basketball
Da war Erschöpfung, klar, die WM-Woche hatte körperlich wie mental einiges an Kraft gekostet. Vor allem war da aber der Stolz über das Erreichte, über das eigene, kleine Kapitel in der deutschen Sportgeschichte.
Dieses Kapitel ist zwar lange nicht so groß wie jenes, das in diesem Jahr bereits von deutschen Eishockey-Spielern geschrieben wurde oder von den Basketballern noch geschrieben werden sollte. Aber: Es existiert. Mit ihrem Triumph bei der Heim-WM sorgte die Faustball-Nationalmannschaft wahrhaftig für ein Halleluja. Kindliche Vorfreude war da absolut angemessen.