Stuttgarts umstrittener Hauptsponsor sorgt für Diskussionen. Ein ehemals Spielsüchtiger beklagt den Verkauf der Fans an die Glücksspielindustrie. VfB-Boss Wehrle wehrt sich bei SWR Sport.
Thomas Melchior ist ein Mann der klaren Worte. Und er ist unübersehbar. Zumindest war er es für knapp zwei Wochen in der Stuttgarter Mercedesstraße. Sein mehr als lebensgroßes Konterfei zierte zwei Littfaßsäulen. Seine Botschaft klar: "Der Spielsucht eine kleben." Der ehemals Spielsüchtige hat den Trikotsponsor Winamax auf seinem VfB-Trikot abgeklebt. "Der VfB verkauft mit diesem Sponsor meiner Meinung nach einfach wissentlich ein Teil der Fans an die Glücksspielindustrie. Und ich finde das absolut verwerflich", kritisiert er die Zusammenarbeit des VfB mit dem französischen Online-Wettanbieter.
Der Vertrag läuft über drei Spielzeiten bis 2026, der schwäbische Bundesligist kassiert dem Vernehmen nach 8,5 Millionen Euro pro Jahr - ein guter Deal. Rund ein Zehntel dieses Betrags verzockte einst Melchior, dem die Glücksspielsucht zum finanziellen und persönlichen Verhängnis wurde.
Der ehemalige Bankkaufmann verlor 800.000 Euro, saß wegen Betrug, Unterschlagung und Diebstahl im Gefängnis. Er hatte seine Wetten mit dem Geld fremder Leute finanziert, verfiel schrittweise dem Glücksspiel. Vom Amtsgericht Dresden wurde er zu fünfeinhalb Jahren Haft verurteilt, im Mai 2022 kam er auf Bewährung frei und setzt sich jetzt sich seitdem gegen das massive Sponsoreninvest von Sportwettenanbietern im Profi-Fußball ein.
Alexander Wehrle und das Problem der Fallhöhe
16 von 18 Bundesligisten haben private Wettanbieter als Sponsoren, der VfB jetzt als Hauptsponsor. Durch den Glücksspielstaatsvertrag von 2021 kann ein Wettanbieter in Deutschland eine Lizenz beantragen und legal aktiv werden. Und vermutlich wäre die Debatte gar nicht so groß, hätte Alexander Wehrle nicht folgenden Satz im Zusammenhang mit der Suche nach dem Hauptsponsor fallen lassen. "Wir wollen, dass es passt!"
Vermutlich in der Euphorie rund um das neu gewonnene "Weltmarken-Bündnis" mit 100 Millionen Euro Gesamtvolumen ließ er sich zu diesem Satz hinreißen. Vermutlich auch in der Hoffnung, bis zum Saisonstart noch einen regionalen Investor zu finden, der "passt". Also zu den Werten des VfB, die im VfB Leitbild verankert sind. Sätze wie: "Wir leben klare Werte vor und lassen und an ihnen messen." Ein Satz, der ihm in den vergangenen Wochen häufiger auf die Füße fiel.
Trikotverkauf läuft laut Wehrle so gut wie 2022/2023
Doch der Verkauf läuft angeblich. Laut VfB-Vorstandsboss Alexander Wehrle habe der VfB in den ersten Wochen 15.000 Exemplare des neuen Trikots verkauft, was den Verkaufszahlen der Saison 2022/23 entspreche. "Wir setzen uns mit der Kritik auseinander, das finde ich auch wichtig und richtig. Letztendlich gibt es aber ganz viele in der Bundesliga, die eben auch Wettpartner haben."
Doch viele Fans reagierten wenig begeistert. Beim DFB-Pokalspiel bei der TSG Balingen fragten die Ultras "Werte und Moral unseres VfB - ein reines Glücksspiel?" In Umfragen von SWR Sport vor den ersten beiden Heimspielen gingen viele Aussagen der Anhänger in eine ähnliche Richtung Von "Geht gar nicht" über "Glücksspiel ist immer Kacke" bis hin zu "Für uns war es auch keine Option, so ein Trikot zu kaufen" geht die Kritik. Manche Fans sehen es aber weniger drastisch, einer sagte: : "Ich finde es nicht schlecht. Wichtig ist, dass Geld reinkommt". Dass man mal wieder im Tabellen-Mittelfeld spiele und nicht immer gegen den Abstieg.
Alexander Wehrle will gegenüber SWR Sport die Kritik nicht einfach so stehen lassen: Der neue Sponsor habe "vom deutschen Staat eine Lizenz bekommen, ist also legitimiert". Als die gewünschte Lösung mit einem Hauptpartner aus der Region nicht zustande gekommen sei, hätte man unternehmerisch abwägen müssen: "Verzichtest du auf so einen signifikanten Betrag und musst eventuell Leistungsträger verkaufen? Oder gehst du diese Partnerschaft ein?"
Eine Partnerschaft vor dessen möglichen Folgen Thomas Melchior warnt: "Ich hatte davor gar keine Ahnung, ich hatte auch Spielsucht nicht als Problem im Kopf, schon gar nicht, weil dafür Werbung im Fernsehen lief." Nach seiner ersten Wette über 10 Euro zahlte Melchior schon am nächsten Tag 600 Euro ein. Der "Klick im Kopf" habe ihn angezogen, die Dinge nahmen ihren Lauf. Und Thomas Melchior ist kein Einzelfall. "Bisher dachten wir immer, dass wir rund 500.000 Personen in Deutschland haben, die ein Glücksspielproblem haben. Nach der neuesten Studie gehen wir davon aus, dass es mehrere Millionen sind", sagte Konrad Landgraf von der Landesstelle Glücksspielsucht in Bayern im Februar dem BR-Magazin "quer".
Die Gefahr sei laut Melchior groß, dass es Menschen genau so ergehe wie ihm selbst. "Hier im Stadion sitzt genau das Publikum, was Winamax möchte, was die Sportwetten-Anbieter möchten", kritisiert Melchior. "Das Problem ist, dass viele Fans, die hier im Stadion sitzen, die eigentlich nur ihre Emotionen und Leidenschaft zum Fußball ausleben möchten, praktisch dazu benutzt werden, um künftig Sportwetten-Kunde zu werden."
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Der VfB Stuttgart ist jedoch bei weitem nicht der einzige Proficlub mit Sponsorenverträgen von Sportwettenanbietern. Der FC St. Pauli hat als einziger Profi-Fußballclub keinen Sportwettenanbieter als Sponsor.
Das Thema gilt als umstritten. Deshalb soll Werbung für Sportwetten laut dem Suchtbeauftragten der Bundesregierung, Burkhard Blienert, vor allem im Hinblick auf die EM 2024 stark eingeschränkt werden. Dieses Vorhaben hält Matthias Dahms für nicht praktikabel. Wetten sei laut dem Suchtbeauftragten Blienert trotzdem ein "riskantes Verhalten". In der Tat ist die tatsächliche Anzahl der Sportwettsüchtigen in Deutschland undurchsichtig. Man schätzt die Dunkelziffer auf eine fünf- bis sechsstellige Zahl.
Die Werbung für Sportwetten ist sehr lukrativ. Nichtsdestotrotz ist sie umstritten. Süchtige werden dadurch zum Spielen angestiftet. Schutzmechanismen wie das Oasis-System sollen gegensteuern.
Der Gefahr der Werbung für vulnerable Gruppen scheint sich auch der VfB Stuttgart bewusst zu sein. So laufen die VfB-Herren mit dem Trikotsponsor auf, die Jugendmannschaften bzw. die Kinder nicht, da man sie schützen will. Warum ist die Werbung bei den Herren legitim und bei den Kindern nicht? Diesem moralischen Dilemma muss sich der VfB auch stellen - und macht es. So entschied er sich dazu die Werbung bei den Jugendlichen und Kindern nicht zu präsentieren.
Diese Grundsatzfrage scheint nicht abschließend beantwortbar zu sein. So sponsert tipico eine unserer Sendungen. Der DFL-Vertrag verpflichtet dazu. Ob der große Sportwettenanbietereinfluss nun gut oder schlecht ist – er ist omnipräsent und durchdringt den Markt des Fußballs. Und ändern wird sich daran auf absehbare Zeit nichts.