Frauen haben ihre Periode. Das ist nicht neu. Doch im von Männern dominierten Spitzensport ist diese Tatsache vielerorts noch immer ein Tabu. Es fehlt an Studien, an Gender-basierten Trainingsplänen, an Offenheit. Für die Sportlerinnen führt das teils zu massiven Problemen.
"Ich verstehe nicht, warum das so lange dauert, bis es einfach normal ist, dass darüber gesprochen wird." Ruth Spelmeyer-Preuß spricht heute zwar offen mit dem Trainer über Einschränkungen während ihrer Periode. Die Leichtathletin ist sich aber auch sicher: Mit 17 oder 18 wäre ihr das noch deutlich schwerer gefallen. "Es muss einfach viel schneller gehen, dass es auch für Jugendliche normaler ist, das anzusprechen", sagt die 30-Jährige. "Wenn ich mir eine Zerrung geholt habe, würde ich das dem Trainer ja auch sagen."
Doch eine exklusive SWR-Umfrage unter mehr als 700 Spitzensportlerinnen in Deutschland zeigt: 55% der Teilnehmerinnen fühlen sich nicht wohl dabei, mit dem Trainer über die Periode zu sprechen. Dabei ist dieses Thema für viele ein relevantes: So gab in der Online-Umfrage die Hälfte der Sportlerinnen an, ihre Leistung werde durch die Periode beeinträchtigt. Eine Rolle könnte spielen, dass fast 80% der Umfrageteilnehmerinnen den Angaben zufolge überwiegend von Männern trainiert werden.
Wie Ruth Spelmeyer-Preuß spricht auch die Gewichtheberin Sabine Kusterer heute mit ihrem Trainer offen über den Zyklus, seit etwa eineinhalb Jahren beziehen die beiden ihn sogar aktiv in den Trainingsplan mit ein. Ihre Erfahrung: "Man kann das Training besser steuern, die Leistung besser optimieren und auch gegebenenfalls Verletzungen vorbeugen." Die 30-Jährige führt länger zurückliegende Verletzungen darauf zurück, dass sie zu diesem Zeitpunkt ihre Tage hatte. Dann fühle sich ihr unterer Rücken häufig etwas weicher an, berichtet sie im Interview mit dem SWR. Beim Gewichtheben aber komme es auf Ganzkörperspannung an - neue Grenzlasten versuche sie daher nun in dieser Phase des Zyklus zu vermeiden. Eine Umstellung von großer Bedeutung für die Gewichtheberin.
Spitzensportlerinnen im Schatten der Männer
"Wir hatten früher einen standardmäßigen Trainingsrhythmus: Zwei hohe Wochen, das sind Belastungswochen und eine gesenkte Woche, die für die Regeneration und Erholung da ist. Wenn man jetzt rechnen kann, kommt man da mit dem Zyklus nicht ganz hin", sagte Kusterer. Mittlerweile reagierten sie und ihr Trainer sogar bei Verschiebungen des Zyklus sofort. "Erst jetzt im Januar ist meine Periode eine Woche früher gekommen. Dann haben wir sofort den Trainingsplan umgestellt, worüber ich sehr erfreut war. Das war das erste Mal - ein Aha-Effekt." In der SWR-Umfrage gaben 40% der Spitzensportlerinnen an, der Zyklus solle stärker bei der Planung von Training und Wettkämpfen berücksichtigt werden.
Prof. Petra Platen, Sportmedizinerin an der Ruhr-Universität in Bochum, beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Thema, gibt aber auch zu, dass in diesem Bereich großangelegte Untersuchungen fehlten. In der Forschung gebe es "viele Studien zum Thema Trainingsadaption, zum Thema Regeneration. Wo man noch so ein ein zwei Prozentchen rausschnipseln kann. Dieser Bereich aber wird völlig vernachlässigt", sagt sie im Gespräch mit dem SWR. "Das ist eigentlich ein Unding und da muss unbedingt mehr getan werden."
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Studien: Erste Erkenntnisse deuten daraufhin, dass Verletzungsanfälligkeit in zweiter Zyklushälfte höher sein könnte
Die Studienlage sei nicht eindeutig, doch erste Erkenntnisse deuteten Platen zufolge daraufhin, dass die Verletzungsanfälligkeit in der zweiten Zyklushälfte etwas höher sein könnte, gerade bei komplexen Bewegungsabläufen, die den Sportlerinnen viel Körperkoordination abverlangten. Zudem gebe es Hinweise darauf, dass zum Beispiel gezieltes Krafttraining in der ersten Zyklushälfte etwas effektiver wirken könnte. Dass es bislang noch an umfangreichen Studien zum Thema fehle, liegt Platens Einschätzung zufolge auch daran, dass die Konzeption einer solchen Studie schwierig sei.
Was weder Sabine Kusterer noch Ruth Spelmeyer-Preuß verstehen: Warum zu diesem Thema von den Frauen nicht mehr Daten gesammelt werden. "Es gibt Monitoring-Programme, wo man einträgt, wie man geschlafen hat, wie der Puls ist. Solche Dinge. Dieser Bereich muss mit einbezogen werden", sagt Spelmeyer-Preuß. Mit einer breiteren, längerfristigen Datenbasis und mehr Wissen darüber, wie die Sportlerin individuell reagiere, könne sich das Training effektiver gestalten lassen. "Letztlich geht es ja nicht darum, besonders viel zu trainieren, sondern halt auch clever." Andere Länder, wie zum Beispiel Großbritannien, seien hier schon deutlich weiter.
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Paris St. Germain und der VfL Wolfsburg arbeiten mit Fragebogen und App
Auch in Frankreich, beim Spitzenklub Paris St. Germain (PSG) zum Beispiel, wird verstärkt seit diesem Jahr auf die Periode Rücksicht genommen. "Wir haben vor jedem Training einen Fragebogen, den wir ausfüllen müssen. Dort kann man auch ankreuzen, wenn man den ersten Tag der Periode hat. Dann kriegen wir auch Eisen-Supplemente wenn wir sie haben und die Trainer wissen auch Bescheid. Das ist ein guter Weg meines Erachtens, das alles diskret ablaufen zu lassen. Denn es wissen alle Bescheid und man muss niemanden persönlich darauf ansprechen", sagte PSG-Torhüterin Charlotte Voll.
Beim Bundesligisten VfL Wolfsburg arbeitet man ähnlich, erzählt Lara Dickenmann: "Wolfsburg ist jetzt tatsächlich der erste Verein, der das miteinbezieht. Wir haben da so eine App, da füllen wir aus, ob wir die Tage haben oder nicht, da füllen wir auch aus, wie wir uns körperlich fühlen. Auch ob wir müde sind, da gibt es so eine Skala. Da wissen die Trainer und Physios jeden Tag, wer hat ihre Tage, wer nicht, wo sind wir im Zyklus, was sie draus machen, weiß ich nicht, aber es wird immer mehr in Betracht gezogen."
Jährliche sportmedizinische Untersuchung um gynäkologische Beratung erweitern
In Interviews, die SWR-Reporterinnen mit mehreren Spitzensportlerinnen führten, nannten die Sportlerinnen immer wieder einen weiteren Punkt: Die jährliche sportmedizinische Untersuchung. Manche Sportlerinnen berichteten zwar, sie müssten in einem Fragebogen angeben, ob sie ihre Tage regelmäßig bekämen oder die Pille nehmen, weiter thematisiert werde das aber jeweils nicht.
Spelmeyer-Preuß schlägt im Interview mit dem SWR vor, die Untersuchung um eine gynäkologische Beratung zu erweitern. Denn auch beim Thema Verhütung seien die Frauen meist noch komplett auf sich allein gestellt - Frauenärzte wegen auch hier fehlender Studien speziell zu Spitzensportlerinnen oft überfragt.
"Ich habe extreme Probleme gehabt deswegen", sagt Spelmeyer-Preuß. In der Hoffnung, besser durchtrainieren zu können, stieg sie von der Pille auf die Spirale um. "Im Zuge dessen hat sich bei mir hormonell ziemlich sicher so viel umgestellt, dass ich zwei Ermüdungsbrüche hintereinander hatte." Statt zwei angestrebter Medaillen bei der Heim-EM in Berlin konnte sie 2018 zu keinen Wettkämpfen antreten, musste monatelang mit dem Sport aussetzen. "2019 war dann das schlimmste Wettkampfjahr überhaupt, weil ich überhaupt nichts mehr konnte und erst jetzt so langsam wieder rankomme. Das hat mir richtig richtig viel verhagelt", ist sich die 30-Jährige sicher.
Da Spelmeyer-Preuß auch von anderen Sportlerinnen ähnliche Erfahrungen schon mitbekommen habe, wäre es ihr wichtig, dass auch solche Fragen zum Beispiel im Rahmen der sportmedizinischen Untersuchung besprochen würden. Denn aktuell stellten sich für Spelmeyer-Preuß und wohl auch viele weitere Spitzensportlerinnen immer wieder die Fragen: „Warum ist der Bereich nicht dabei? Warum ist das uninteressant?“
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