Familienplanung in der aktiven Karriere bleibt für viele Athletinnen unvorstellbar. In einer exklusiven SWR-Umfrage unter mehr als 700 Spitzensportlerinnen wird deutlich: Nur jede zehnte Teilnehmerin fühlt sich von ihrem Verein oder Verband dabei unterstützt, ein Kind zu bekommen und weiter am sportlichen Wettbewerb teilzunehmen.
Die Hälfte aller Spitzensportlerinnen gab in der exklusiven Umfrage des SWR an, die sportliche Karriere beeinflusse ihre Familienplanung. 12 Teilnehmerinnen und damit knapp zwei Prozent der 719 Spitzensportlerinnen haben sich schon einmal für eine Abtreibung entschieden, um die sportliche Karriere zu diesem Zeitpunkt nicht zu beeinträchtigen. 57 Teilnehmerinnen (8%) wählten bei dieser Frage die Option "keine Angabe". "In den meisten Köpfen ist verankert, dass es vor allem körperlich so ein krasser Einschnitt ist, dass es schwierig ist, wieder zurück zu kommen und an die Leistungen anzuknüpfen", bringt Leichtathletin Ruth Spelmeyer-Preuß die Bedenken auf den Punkt. Die Positivbeispiele sind noch immer rar, aber sie sind da.
Marion Sulprizio kennt die weit verbreitete Angst aus ihrer Arbeit an der Sporthochschule Köln, wo sie den interdisziplinären Bereich "Sport und Schwangerschaft" leitet. Oft erlebt sie Athletinnen, die meinen, sich entscheiden zu müssen: "Entweder. Oder. Und das war in den in den vergangenen Jahren normal und hat sich so als Kultur eingebürgert. Wenn ich Familie will, dann kann ich eben keine Leistungssportlerin sein." Sulprizio gehört zu denen, die Mut machen: "Physiologisch, biologisch ist das total möglich."
Spitzensportlerinnen im Schatten der Männer
Aus dem Austausch mit Müttern im Leistungssport weiß die Psychologin, dass ganz andere Dinge eine Wichtigkeit haben, einfache Dinge: "Ja, das sind natürlich ganz viele Hilfsangebote aus der näheren Umgebung. Sei es, dass man einen Partner oder eine Partnerin hat, die diese Schwangerschaft eben mitträgt. Die einen unterstützt, die einen irgendwohin fährt möglicherweise. Oder dann, wenn das Kind da ist, dass man jemanden hat, der das auch mal übernehmen kann, wenn man zum Trainingslager fährt."
Hilfsangebot für Sportlerinnen sind nach wie vor rar
Jede dritte Sportlerin gab an, es mangele an Unterstützung, um weiter an Wettbewerben teilnehmen zu können. Unterstützung von den Verbänden wird verzweifelt benötigt. Dr. Petra Tzschoppe ist seit 2014 Vizepräsidentin Frauen und Gleichstellung beim Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) und sieht die Problematik, aber auch die kleinen Schritte, die gegangen werden. Noch vor einigen Jahren fielen Schwangere aus der Sportförderung, während ein verletzter Athlet weiter unterstützt wurde: "Schwangerschaft, quasi selber dran schuld oder wie auch immer, wurde dort mit dem Herausfallen aus der Sportförderung gewissermaßen bestraft." Aber auch Tzschoppe weiß, dass es an den großen Lösungen fehlt. "Es wird sehr viel individuell gelöst", Einzelfallbetreuung sozusagen.
Sportlerinnen fordern in SWR-Umfrage: Periode im Trainingsplan berücksichtigen
Zuletzt war der Deutsche Fußball-Bund positiv aufgefallen. Mit der Rückkehr von Nationaltorhüterin Almuth Schult nach der Geburt ihrer Zwillinge versprach der Verband, entsprechende Rahmenbedingungen zu schaffen. Eine Unterstützung schwangerer Athletinnen und anschließender Rückkehr in den Leistungssport sieht Tzschoppe als Win-Win-Situation: "Eine Investition, eine langjährige, um so eine Sportkarriere noch entsprechend tragfähiger zu machen, indem man auch eine längere Karriereoption mit entsprechenden Rahmenbedingungen ermöglicht. [...], dass Schwangerschaft kein Risiko für die Fortsetzung der Sportkarriere ist, da müssen wir hinkommen." Auch der DOSB ist gefragt. Der Weg dahin führt Tzschoppe aktuell in den Austausch. Zuletzt hatte sie sich mit Kugelstoßerin Christina Schwanitz getroffen, Mutter von Zwillingen und zurück im Leistungssport.
Karriere und Kind: eine individuelle Entscheidung, eigentlich...
Für Miriam Welte war ein Kind während der Karriere kein Thema. Ein Grund: Bahnradsport ist wenig Kind-kompatibel. Die Olympiasiegerin und Weltmeisterin denkt dabei an die vielen Reisen und Trainingslager, wirft dann aber auch ein, "ich weiß auch, dass die Unterstützung definitiv nicht da gewesen wäre."
Ähnlich wie Welte sieht das auch Judoka Alina Böhm. Erst die Karriere, dann die Familie. Eine Krabbelecke neben der Judomatte, für die deutsche Meisterin aktuell nicht vorstellbar. Dazu kommt der rein physiologische Fakt. Leichtathletin Ruth Spelmeyer-Preuß hat das ständig vor Augen: "Also mein Mann ist Wasserballer und die meisten, oder viele in der Mannschaft, haben schon Kinder, weil du als Mann ganz einfach weiter trainieren kannst, also es beeinträchtigt dich körperlich nicht." Für die Olympia-Halbfinalistin ist deswegen klar, "dass ich erst später Mutter werde, als ich eigentlich sein wollte." Karriere und Kind sind für sie gegenläufig: "Für mich persönlich steht sich das im Weg."
Schwangerschaft im Spitzensport: Auch eine finanzielle Frage
Keine Leistung, kein Geld. Das gilt leider zu oft auch noch für Frauen, deren Verträge im Sport eine Schwangerschaft gar nicht miteinbeziehen. Über 60% der Befragten gaben in der exklusiven SWR-Umfrage an, unter 30.000 Euro zu verdienen. Stipendien, Sponsoren etc. inklusive. Ein zentraler Punkt auch für Marion Sulprizio, hier zu unterstützen: "Dass eben diese finanziellen Einnahmen dann nicht komplett auf null gefahren werden. Also dass die Athletin praktisch noch Schuld bekommt, wenn sie ein Kind haben will."
Ein schwangerer Superstar muckt erfolgreich auf
Ein zu Beginn wenig ermunterndes Beispiel hat Spelmeyer-Preuß erlebt. Allyson Felix, US-amerikanischer Superstar, die Frau, die mit sechs Gold- und drei Silbermedaillen, soviel wie keine andere Leichtathletin, bei Olympia gewonnen hat, bekam 2018 ein Kind. Und wurde von ihrem Werbepartner Nike fallen gelassen. Es passte nicht ins Bild. "Wenn das solchen Leuten passiert, dann wird es anderen Leuten, die halt eher um eine Teilnahme an Olympischen Spielen kämpfen, was auch wertvoll ist, ja noch viel eher passieren", sinniert die deutsche 400-Meter-Läuferin noch heute. Denn, "das ist, glaube ich, ein Bereich, der dieses ganze Ding Familienplanung und Leben als Leistungssportlerin sehr schwierig macht." Aber das Beispiel Allyson Felix darf auch Mut machen. Nach einem riesen öffentlichen Aufschrei kam die Kehrtwende: seitdem hat der Sportausrüster in seinen Verträgen eine Mutterschaftsklausel, die eine Fortzahlung für 18 Monate garantiert. Einige andere Sportausrüster sind inzwischen nachgezogen.
Allyson Felix gewann ein Jahr nach der Geburt ihres Kindes übrigens wieder eine WM-Medaille. Auch die deutsche Kugelstoßerin Christina Schwanitz ist nach der Geburt ihrer Zwillinge zurück: ein Jahr später EM-Silber, bei der letzten WM gewann sie Bronze. Die Liste der erfolgreichen Mütter im Leistungssport wird länger. Und die der Unterstützter tatsächlich auch: zuletzt hatte sogar der Welt-Fußballverband FIFA im Dezember 2020 sich verpflichtet, die Arbeitsbedingungen für Frauen zu verbessern: Details wollte die FIFA nicht kommentieren, aber es soll jetzt unter anderem eine Jobgarantie bei Schwangerschaft und bezahlten Mutterschutz geben. Willkommen im 21. Jahrhundert.
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