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Wie Natur auf unsere Psyche wirkt – Wohlfühlen im Wald

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AUTOR/IN
Brigitte Kramer
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Ulrike Barwanietz
Candy Sauer

Gärtnern oder durch Wald und Wiesen streifen kann helfen, psychische Erkrankungen vorzubeugen oder sie zu behandeln. Allein schon die Zahl der Bäume vor der Haustür senkt das Risiko für Depressionen.

Biologinnen, Psychiater, Psychotherapeutinnen und Geologen wollen wissenschaftlich belegen, was viele intuitiv wissen: Naturkontakt reduziert Stress und hebt die Stimmung. Außerdem erhöht es unsere Aufmerksamkeit und kann bei Angsterkrankungen, Burn-Out oder anderen stressbedingten Krankheiten helfen.

Bäume vorm Haus reduzieren das Risiko von Depressionen

Aletta Bonn ist eine von rund 25 Forschenden in Europa, die im Rahmen des Projektes "Doctor Forest" untersuchen, wie sich Natur, insbesondere Wald, auf uns Menschen auswirkt. Sie ist Professorin für Ökosystemleistungen und forscht am Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung in Leipzig:

"Es geht nicht nur um die tolle, intakte Natur, vielleicht auch in Naturschutzgebieten, sondern die ganz alltägliche Natur, die wir täglich erfahren. Hier konnten wir mit Daten aus langjährigen Kohorten arbeiten, wo 10.000 Menschen in einer Live-Adult-Studie in Leipzig untersucht wurden, über fünf Jahre. Dort konnten wir zeigen, dass je mehr Straßenbäume tatsächlich vor der direkten Haustür sind, desto geringer das Risiko, Antidepressiva verschrieben zu bekommen."

Mehrstöckiges Stadthaus, links und rechts Bäume: Menschen in der Stadt, die in der Nähe von Straßenbäumen wohnen, haben ein geringeres Risiko, Antidepressiva verschrieben zu bekommen, so eine Leipziger Studie des EU-Projektes Dr. Forest
Menschen in der Stadt, die in der Nähe von Straßenbäumen wohnen, haben ein geringeres Risiko, Antidepressiva verschrieben zu bekommen, so eine Leipziger Studie des EU-Projektes Dr. Forest

Beispiel Großbritannien: Spaziergang auf Rezept

Eine Studie aus Großbritannien hat ebenfalls gezeigt, dass täglich eine halbe Stunde im Grünen spazieren gehen die Lebenszufriedenheit signifikant verbessert.

Ins britische Gesundheitssystem hat Naturkontakt schon Einzug erhalten. Laut Aletta Bonn gäbe es im angelsächsischen Bereich durchaus Möglichkeiten, sich vom Hausarzt eine grüne Tätigkeit verschreiben zu lassen, wie zum Beispiel Gesundheitsspaziergänge oder auch Gesundheitsgärtnern.

Das kleine Grün in der Stadt kann schon bei der Stressregulation im Gehirn helfen
Das kleine Grün in der Stadt kann schon bei der Stressregulation im Gehirn helfen

Reicht auch der begrünte Balkon?

Die Frage, wie viel Grün grün genug ist, beschäftigt den Psychiater Mazda Adli. Er forscht an der Berliner Charité zu psychischer Gesundheit in der Stadt. Adli hat mit dem Bundesumweltamt 2022 eine Studie durchgeführt, die gezeigt hat, dass die Stressregulation im Gehirn davon abhängt, wieviel Grünfläche um das eigene Zuhause herum existiert: Je mehr grün, desto größer die Stressresilienz der Teilnehmenden.

"Es gibt mittlerweile den Ausdruck der Umweltgerechtigkeit, die sich mit der Frage befasst, wie gut und wie gerecht der Zugang zu den natürlichen Ressourcen in der Stadt geregelt ist. Ich glaube, darüber werden wir uns noch sehr viele Gedanken machen müssen. Es muss nicht immer gleich ein Riesenpark sein, der vor der eigenen Haustüre ist, sondern es reichen wahrscheinlich auch schon Taschenparks, das kleine Stadtgrün."

Eine belgische Studie aus dem Jahr 2020 hat offengelegt, dass Stadtkinder, die regelmäßig in den Park gehen, weniger aggressiv sind und sich intellektuell besser entwickeln.

Städte sind ein Risikofaktor für unsere psychische Gesundheit

Die Gefahr für depressive Erkrankungen ist in der Stadt eineinhalb mal höher als auf dem Land, wie eine schwedische Studie von 2018 belegt hat.

"2050 werden wahrscheinlich zwei Drittel der Menschen rund um den Erdball Stadtbewohner sein. In Deutschland werden wir dann 85 Prozent Stadtbewohnende haben. Und wenn es stimmt, dass das Schizophrenie-Risiko mindestens doppelt so groß ist in der Stadt, dann ist es allerhöchste Zeit, jetzt zu verstehen und wie wir dafür sorgen können, dass Städte Orte bleiben und werden, die für unsere Psyche zuträglich sind."

Auch der Effekt von Kleinprojekten wie den Baumscheiben in Freiburg sollte nicht unterschätzt werden, meint die US-amerikanische Biologin Kelly Baldwin Heid.

Im Rahmen von “Freiburg packt an” kann man eine Patenschaft für eine oder mehrere Baumscheiben übernehmen - die kleinen Flächen entwickeln sich oft zu wertvollen Biotopen mitten in der Stadt, die von Wildbienen und Vögeln gern besucht werden
Im Rahmen von “Freiburg packt an” kann man eine Patenschaft für eine oder mehrere Baumscheiben übernehmen. Die kleinen Flächen entwickeln sich oft zu wertvollen Biotopen mitten in der Stadt, die von Wildbienen und Vögeln gern besucht werden

Naturschutz als Selbstfürsorge

Kelly Baldwin Heid widmet den Freiburger Baumscheiben ihre Doktorarbeit zum Thema Öffentliche Gesundheit und Natur. Heid sagt über die 450 Baumpatinnen, die in Freiburg ehrenamtlich Bäume und die darum liegenden Beete betreuen:

"Sie haben keine Kinder. Sie sind im Ruhestand, aber sie haben diese Baumscheibe. Es ist, als ob sie sich um sie kümmern wie um ihr Kind. Sie haben Ziele, sie sind stolz, wenn sie sich um so etwas kümmern. Ich glaube, dass die Gefühle, die sie spüren, aus dieser Verbindung zur Natur und aus der Sorge um die Natur kommen."

Die Biologin macht klar: Naturkonsum ist nicht dasselbe wie Naturpflege.

"Wenn man einen Garten anlegt und einen Bestäubergarten pflanzt, der gut für die Bienen, die Vögel und die Schmetterlinge ist, ist das auch gut für unsere Gesundheit, die öffentliche Gesundheit, für unsere psychische Gesundheit und unsere körperliche Gesundheit. [...] Und wenn die Menschen diese Verbindung herstellen können, macht das einen großen Unterschied in den Städten und in den Stadtteilen."

Naturkontakt ist für den Menschen überlebenswichtig. In diesem Sinne ist Naturschutz eine Form von Selbstfürsorge. Wer gesund bleiben möchte, an Körper und Geist, sollte den Kontakt zur Natur suchen.

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