Abtei von Cluny: mittelalterliches Querschiff

Kirchenmusik und Architektur

Musik aus vergangener Zeit: Wie klang das Kloster Cluny?

Stand
AUTOR/IN
Anette Sidhu-Ingenhoff
ONLINEFASSUNG
Dominic Konrad
Sebastian Kiefl

Welche Klangwelten herrschten in der Klosterkirche von Cluny, der größten Kirche des Mittelalters? Die Universität Tübingen und die Technische Hochschule Aachen geben Antworten: Heute kann man verloren gegangene Kirchenräume virtuell wieder hörbar machen. Ein musikhistorisches Klangexperiment mit dem Ensemble Ordo Virtutum unter der Leitung von Stefan Morent.

Das imposanteste Gotteshaus des Mittelalters

Im Mittelalter zählte die Benediktinerabtei von Cluny zu den einflussreichsten religiösen Zentren Europas. Das 910 gegründete Kloster stand direkt unter dem Schutz des Papstes, wurde zum Mittelpunkt eines Klosterverbundes mit über 20.000 Mönchen und zum Ausgangspunkt weitreichender Reformen innerhalb der westlichen Kirche des Mittelalters.

Die hohe Bedeutung Clunys zeigte sich auch in seiner Architektur: Die romanische Klosterkirche, 1130 von Papst Innozenz II. geweiht, war ein Monumentalbau mit einem fünfschiffigen Langhaus, zwei Querhäusern und einer Vorkirche mit zwei Westtürmen.

Abtei von Cluny: mittelalterlicher Glockenturm
Die 1130 geweihte Abteikirche von Cluny war die dritte Kirche des Klosterkomplexes. Nachdem der Konvent der Französischen Revolution zum Opfer fiel, wurde der Großteil der Kirche abgerissen.

Bis zum Bau des Petersdoms in Rom (1626 geweiht) war Cluny das größte Gotteshaus der Christenheit. Dann wurde das Kloster zum Opfer der Französischen Revolution: Von der mittleren Vierung ist lediglich der Südflügel stehen geblieben. Alles andere wurde in der post-napoleonischen Ära abgerissen.

Die Dokumentation im SWR Fernsehen

Wie klang die Musik von Cluny?

Als überregionales Glaubenszentrum war Cluny auch ein bedeutendes liturgisches und kirchenmusikalisches Zentrum des Mittelalters. Doch wie mag die Musik in der immensen Kirche geklungen haben? Die Universität Tübingen und die Technische Hochschule Aachen gehen dieser Frage nach.

Man kann die verloren gegangenen Kirchenräume heutzutage virtuell wiederherstellen – auch ihre Akustik. Auralisation heißt dieses Verfahren zur Simulation des Klangs eines Raumes.

Das Ensemble Ordo Virtutum hat im Südflügel der Ruine von Cluny und im akustischen Labor in Aachen ein Offizium, Gesänge für das Stundengebet, aus dem Mittelalter aufgezeichnet, mit dem Klang der ursprünglichen Kirche und einer virtuellen Rekonstruktion.

Höreindruck: Ensemble „Ordo Virtutum“ singt in der Klosterkirche von Cluny

Buchmalerei: Die Weihung des Hohen Altars der Abteikirche von Cluny durch Papst Urban II. im Jahr 1095
Cluny war eines der wichtigsten geistigen Zentren des Mittelalters. Dass der Konvent direkt dem Papst unterstand und von der weltlichen Gewalt unabhängig war, ermöglichte seine Entwicklung zum Machtzentrum des christlichen Glaubens.

Sakrale Musik im Mittelalter entstand unter Berücksichtigung des Raumklangs

Nach jahrelanger Vorbereitung wurden Aufnahmen mit den 6 Sängern des Ensembles Ordo Virtutum in Frankreich möglich. Das Musée National du Moyen Age im burgundischen Cluny erklärte sich zur Kooperation bereit.

Es ist sicher, dass Kompositionen im 12. Jahrhundert im Bewusstsein entstanden sind, dass ein solcher Raum mitklingt. Der große Konvent mit hunderten von Mönchen brauchte Platz für Liturgie und Prozessionen, und der Raumklang war Teil davon. Das heißt Architektur und Musik standen in Wechselwirkung miteinander.

Cluny - Gesänge der Extase
Die Sänger des Ensembles Ordo Virtutum testen die Akustik der Kirche von Cluny. Bild in Detailansicht öffnen
Cluny - Gesänge der Extase
Das Vokalensemble, das von Musiker und Musikwissenschaftler Stefan Johannes Morent gegründet wurde, versteht sich als Spezialensemble für die Musik des Mittelalters. Bild in Detailansicht öffnen
Cluny - Gesänge der Extase
In Cluny begleitet der SWR die Sänger bei einer Aufnahme des mittelalterlichen Offiziums „In transfiguratione Domini“ von Petrus Venerabilis. Bild in Detailansicht öffnen
Cluny - Gesänge der Extase
Aufnahmen im stimmungsvoll ausgeleuchteten Südarm der ehemaligen Klosterkirche von Cluny. Bild in Detailansicht öffnen
Cluny - Gesänge der Extase
Dank moderner Computeranimation und virtueller Realität wird das Innere der mittelalterlichen Kirche erfahrbar. Bild in Detailansicht öffnen
Cluny - Gesänge der Extase
So könnte der Alltag im größten Kloster des mittelalterlichen Christentums ausgesehen haben. Bild in Detailansicht öffnen
Cluny - Gesänge der Extase
Im schalltoten Raum nimmt das Ensemble Ordo Virtutum seinen Gesang auf. Bild in Detailansicht öffnen
Cluny - Gesänge der Extase
In Echtzeit simuliert der Computer den Hall, mit dem die Musik in der Kirche von Cluny zu hören gewesen wäre. Bild in Detailansicht öffnen

Dem kann man bei einer neuen Aufnahme nur gerecht werden, indem man den historischen Raum einbezieht. Stefan Morent (Lehrstuhl für Digitale Musikwissenschaft und Musik vor 1600 an der Universität Tübingen) initiierte das Forschungsprojekts „Sacred Sound“ und ist künstlerischer Leiter der Produktion in Cluny:   

„Man dachte, das ist ja nur eine Ruine. Eher durch Zufall kamen wir mit der Tonmeisterin darauf, dass es eine enorme Akustik hat, die man so nie erwarten würde. Das hat sich jetzt vor Ort bestätigt. Erstaunlich, dass dieser offene Raum noch so eine geschlossene runde Akustik bilden kann.“

„Die Mönche sind wieder auferstanden“: Musikredakteurin Anette Sidhu-Ingenhoff im Gespräch

Forschungsprojekt erforscht den Klang vergangener Kirchenräume

Im Forschungsprojekt „Sacred Sound – Sacred Space“ („Sakraler Klang und Raum“) arbeiten verschiedene Disziplinen zusammen: Musikwissenschaftler*innen, Akustiker*innen und Fachleute für Digital Humanities. Auch der SWR ist Partner in diesem Projekt.

Die Frage lautet: Welche Beziehungen lassen sich ableiten zwischen liturgischen Formen, religiöser Erfahrung und sakralen Raumkonzepten. Und welche Rolle spielt die Architektur für Musik, die für diesen Raum geschrieben wurde?

Die Musikwissenschaft erhofft sich hier Rückschlüsse auf die Interpretation und neue Perspektiven für die historisch informierte Aufführungspraxis.

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