Die Hamburger Fotografin Paula Markert hat Jahre lang zum Thema Rechtsterrorismus und Fremdenhass gearbeitet. Ihr Projekt „Eine Reise durch Deutschland. Die Mordserie des NSU“ ist nun im Stadthaus Ulm zu sehen. Sie befragt sich selbst und das ganze Land, wie dieser Terror möglich war – ein Thema, das leider nicht erledigt ist.
Ausstellungstitel offenbart Widersprüchlichkeit
Paula Markert hat ihrem Projekt, das gerade im Stadthaus Ulm ausgestellt wird, einen mehrteiligen Titel gegeben. Teil eins hat was von Stadt-Land-Fluss, klingt beinahe touristisch: „Eine Reise durch Deutschland“. An manchen Stellen wirken die Bilder sogar fast romantisch – etwa beim Foto einer Burgruine im Abendlicht. Teil zwei des Titels aber macht alles Wohlgefühl zunichte. Er lautet: „Die Mordserie des NSU“.
„Das war mir wichtig, dass das Alltägliche, was in den Bildern an der Oberfläche erstmal zu sehen ist, dann noch mal so aufgebrochen wird, dass das sich auch im Titel widerspiegelt“, sagt Markert.
„So eine Reise ist ja auch so ein Eintauchen, das ist ja eine intensive Beschäftigung mit was, was man bisher vielleicht so noch nicht kannte. Und da ist so eine fotografische Reise, als Autorin sich auf die Reise begeben, vielleicht das Wichtige“, ergänzt Ausstellungs-Kurator Robert Pupeter.
Assoziatives Geflecht aus Fotografien und Texten
„Eintauchen ins Alltägliche“, und ins „Unbekannte“ – wie bitte? „Alltägliches“ scheint völlig deplatziert, es geht hier schließlich um die größte rechtsterroristische Anschlagsserie in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. „Unbekanntes“ wiederum klingt seltsam, angesichts von Jahren intensiver Berichterstattung. Und Paula Markert kennt dieses Metier bestens.
Stattdessen knüpft Paula Markert ein assoziatives Geflecht aus einzelnen Fotografien und Texten. Jedes dieser Elemente bekommt viel Raum – im Künstlerbuch, das die Ausstellung begleitet, und an den Museumswänden ebenso. Auf gerade mal dreißig Bilder und ein Dutzend Texte ist der Themenkomplex komprimiert, der bei jeder Online-Suchanfrage hunderttausende Treffer erzeugt.
Markert fokussiert den Blick auf wenige Ansichten von Landschaften, Tatorten und beteiligten Personen. Dazu stellt sie knappe Texte aus Protokollen, Gesetzen und Vernehmungen.
Darunter ist immer wieder absolut Bestürzendes, wie der Bericht eines türkischen Geschäftsinhabers in Köln, der dem ermittelnden Polizisten nach einem Anschlag sagt, das sei die Tat von Neonazis und Rassisten – worauf der Beamte den Zeigefinger auf die Lippen legt und zu verstehen gibt: Psst, schweig!
Paula Markert stellt unbequeme Fragen
„Ich betrachte die Arbeit auch als so eine Art Selbstbefragung, weil ich bin Teil der Gesellschaft“, sagt Paula Markert – und erläutert: „Rassistische Strukturen in den Ermittlungsbehörden, rassistische Strukturen in der Gesellschaft sind natürlich irgendwie eine Art von Begünstigungen für solche Taten. Und das war für mich wichtig: mich und mein Verhältnis zu diesem Land und das Land zu befragen.“
Einem Land, dem Paula Markert die unbequeme Frage stellt, ab wie vielen Anschlägen man eigentlich noch von Einzeltätern sprechen kann.
Paula Markerts Deutschlandreise gräbt sich tief ins Gemüt der Betrachter. Dort rumort das, was man sieht und liest, es dampft den NSU-Komplex ein auf seinen bitteren Kern – nämlich: dass wir nicht fertig sind mit dem tödlichen Wahn des Rechtsextremismus, und womöglich niemals sein werden.
„Ich habe die Hoffnung, dass das eher Fragen aufwirft anstatt zu einfache Antworten zu geben, weil leider gibt es auch in diesem NSU-Komplex sehr wenige einfache Antworten“, sagt Paula Markert.
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