Bernd Steinmetz betreut Angehörige und Augenzeugen der Amokfahrt in Trier.

Interview mit einem Notfall-Seelsorger

Dritter Jahrestag der Trierer Amokfahrt: "Der Schmerz wird bleiben"

Stand
AUTOR/IN
Dunja von Morzé

Im Dezember 2020 tötete ein Mann in der Trierer Fußgängerzone fünf Menschen mit seinem Auto. Viele andere hat er schwer verletzt und traumatisiert. Manche suchen jetzt erst Hilfe.

Der Notfall-Seelsorger Bernd Steinmetz betreut in einer Gruppe für Nachsorge seit fast drei Jahren Angehörige von Opfern der Amokfahrt, aber auch Betroffene, die durch das Erlebnis traumatisiert wurden. Einige dieser Augenzeugen können jetzt erst über ihre Erlebnisse und Traumata berichten.

SWR Aktuell: Herr Steinmetz, welche Entwicklung sehen Sie bei den Betroffenen, das Erlebte zu verarbeiten?

Bernd Steinmetz: Die Menschen haben sich ganz unterschiedlich geöffnet. Manche der Augenzeugen sehen sich jetzt erst in der Lage, in einer Gruppe über das Geschehen zu sprechen. Einige haben in dieser ganzen Zeit die Fußgängerzone gemieden. In einem Fall hat jemand auch keine Nachrichten mehr in der Zeitung gelesen. Sie haben sich abgeschottet und dabei versucht, ihren Alltag am Laufen zu halten. Manche haben aber über Therapie schon Unterstützung bekommen.

Ein Herz aus Kerzen für eine junge Frau, die bei der Amokfahrt starb. Ein Seelsorger sagt: für viele Menschen in Trier wird der Schmerz bleiben.
Ein Herz aus Kerzen für eine junge Frau, die bei der Amokfahrt starb. Ein Seelsorger sagt: für viele Menschen in Trier wird der Schmerz bleiben.

Bernd Steinmetz: Es wird aber eine Wunde und einen Schmerz geben, der die Menschen nicht verlassen wird. In der Trauerarbeit habe ich ein hilfreiches Bild kennengelernt. Wenn Sie eine Baumscheibe sehen, da gibt es manchmal schwarze Flecken. Das sind Verletzungen, die der Baum erlitten hat. Die Lebensringe gehen um diese Wunden herum. Über die Zeit werden sie ins Leben integriert. Aber der Schmerz bleibt. Er verändert sich, aber er bleibt.

SWR Aktuell: Sind in der Nachsorge die Gruppen getrennt nach den Menschen, die Angehörige verloren haben und denen, die Augenzeugen waren?

Steinmetz: Zunächst waren alle zusammen in einer Gruppe. Wichtig ist, dass die Teilnehmenden die Themen bestimmen. Wir haben daher später, als es um die Form des Gedenkens und der Gedenkstätte ging, die Gruppen getrennt. Da hatten die Hinterbliebenen andere Erwartungen als die Augenzeugen. Die Ergebnisse wurden dann wieder zusammengeführt.

SWR Aktuell: Die Stiftung Katastrophennachsorge ist ja spezialisiert auf Psychotrauma. Es geht also nicht nur darum, Trauer zu bewältigen?

Steinmetz: Es geht beim Trauma ja auch um den Verlust der Kontrolle. Wenn Sie traumatisiert sind, weil neben ihnen Leben entrissen wurde oder ihr eigenes Leben in Gefahr war, haben Sie keine Kontrolle über die Situation. Da müssen Helfer aufpassen, dass sie diesen Kontrollverlust nicht wiederholen. Der Traumatisierte muss die Kontrolle zurückbekommen und selbst entscheiden, wann er zu einem Treffen geht und wann er auch darüber reden mag.

Man sollte behutsam mit den Betroffenen umgehen und es ihnen überlassen, ob sie darüber sprechen können.

SWR Aktuell: Das heißt, ich sollte als Außenstehende Betroffene auch nicht von mir aus darauf ansprechen?

Steinmetz: Jedes unkontrollierte Ansprechen der Hinterbliebenen kann den Kontrollverlust wiederholen. Das kann sogar massive, körperliche Folgen haben, die unter Umständen lebensbedrohlich sind. Man sollte behutsam mit den Betroffenen umgehen und es ihnen überlassen, ob sie darüber sprechen können. Das ist der Unterschied zur Trauer. Aber auch bei Trauer werde ich als Außenstehender ja nicht hingehen und sagen, "Erzähl' mal, das tut Dir gut." Es geht um einfühlendes Verstehen. Das ist auch in den Gruppen der Fall. Ich werde da die Menschen nie ermutigen, über ihren Willen hinaus zu reden. Sondern ihnen den Schutz dafür geben, dass sie dass selbst entscheiden dürfen. Dafür sind wir da.

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SWR Aktuell: Seit November liegen Gedenkplaketten in der Innenstadt. Warum war es den Angehörigen so wichtig, dass es nicht nur einen zentralen Gedenkort gibt?

Steinmetz: Gedenken ist ja eine Form der Verarbeitung. Für die Hinterbliebenen war wichtig, dass die Stelle, wo ihre Angehörigen umkamen, für sie sichtbar wird. Wenn jemand getötet wurde, können Hinterbliebene nicht wie andere Menschen einfach daran vorbeigehen, als ob nichts gewesen wäre. Die Stadt Trier hat von Anfang an gesagt, dass die Hinterbliebenen mitbestimmen sollen. Natürlich gibt es da auch Spannungen.

Ist das nicht auch ein Ausdruck von Solidarität mit dem Leid der Menschen?

Da gibt es Menschen, die die Amokfahrt auch traumatisch erlebt haben, sich gefragt haben, warum sie daran erinnert werden sollen. Das ist ein Konflikt. Daher sind die Gedenkplaketten bewusst dezent gehalten. Aber welche Bedeutung geben sie dem Gedenken? Ist das nicht auch ein Ausdruck von Solidarität mit dem Leid der Menschen? Ein Weg, die Amokfahrt und das Leid zu verarbeiten, ist die Unterstützung und das Verständnis füreinander.

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