Ärztin mit Stethoskop. (Foto: picture-alliance / Reportdienste, Jens Büttner)

Potenzial Geflüchteter wird nicht genutzt

Warum eine ukrainische Ärztin in Trier als Verkäuferin arbeiten soll

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Nicole Mertes
Nicole Mertes arbeitet als Redakteurin im SWR Studio Trier (Foto: Nicole Mertes)

Der sogenannte Jobturbo von Bundesarbeitsminister Heil (SPD) soll Geflüchtete schneller in den Arbeitsmarkt bringen. Doch für Hochqualifizierte bringt er neue Hürden mit sich.

Die Ärztin ist Ende 30 und vor zwei Jahren vor dem Krieg in der Ukraine geflüchtet. Seitdem lebt sie in Trier. Während sie anfangs noch dachte, so schnell wie möglich in die Ukraine zurückzugehen, richtet sie sich jetzt aufs Bleiben ein. Sie möchte auch hier als Ärztin arbeiten. Doch das ist ein anstrengender und steiniger Weg. Es kann Jahre dauern, bis sie wieder in ihrem Beruf in einem Krankenhaus arbeiten kann.

Ärztin muss auf nächsten Sprachkurs warten

Die Ärztin kam mit ihren zwei kleinen Kindern im März 2022 aus der Ukraine nach Trier. Ein Jahr musste sie warten, bis sie mit einem Deutschkurs beginnen konnte. Im Dezember schloss sie den Sprachkurs B1 ab. Seitdem wartet sie darauf, dass es weitergeht. Doch der nächste Sprachkurs für sie beginnt erst im Juni. Insgesamt hat sie also 18 Monate auf Sprachkurse gewartet.

Das Jobcenter zahlte die Übersetzung ihrer Zeugnisse zu Studienabschluss und Berufserfahrung. Es sagte ihr zu, dass es auch alle Sprachkurse finanziert. Sie braucht Sprachniveau C1, also fast wie Muttersprachler. Dann muss sie noch einen Fachsprachtest Medizin bestehen. Danach kann sie versuchen, Berufspraxis als Ärztin in Deutschland zu sammeln, um sich auf die sogenannte Kenntnisprüfung vorzubereiten. Jetzt sieht es so aus, als ob ihr das Programm "Jobturbo" von Bundesarbeitsminister Heil (SPD) in die Quere kommt.

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Jobturbo birgt neue Probleme für Hochqualifizierte

Eigentlich sollte das "Jobturbo" genannte Programm Geflüchtete schneller in den Arbeitsmarkt integrieren. Das ist an sich für die Menschen wünschenswert, denn verglichen mit anderen Ländern in Europa dauerte es in Deutschland bisher oft länger, bis Geflüchtete die Chance bekommen, zu arbeiten. Jetzt soll das Jobcenter schon ab einem Basissprachniveau vermitteln - so sieht es das Programm vor.

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Doch auf diesem Sprachniveau gibt es keine Stellen für qualifizierte Fachkräfte, sondern nur Hilfsarbeiterjobs. So kommt es, dass Geflüchtete mit Studienabschluss und Erfahrung in ihrem Beruf erst einmal ausgebremst werden. Wer Jobangebote des Jobcenters ablehnt, der bekommt keinen Sprachkurs des Niveaus B2, so sieht es das Programm "Jobturbo" vor.

Ärztin soll bei der Arbeit im Supermarkt Deutsch lernen

Die Ärztin, die eigentlich so schnell wie möglich das Sprachniveau C1 erreichen müsste, um die notwendige Fachsprachenprüfung in Medizin bestehen zu können, soll nach dem Plan des Jobcenters Trier jetzt erst jobben und bei der Arbeit Deutsch lernen. Die Ärztin hätte auch Interesse daran, wieder im medizinischen Bereich zu arbeiten, in einer Klinik oder einer Arztpraxis, wenn sie auch ohne deutsche Approbation noch nicht als Ärztin arbeiten kann, sondern nur als Helferin. Doch sie bekam bisher vom Jobcenter ein Angebot als Pflegehelferin im Seniorenheim und als Aushilfe im Handel.

Wenigstens wieder im Krankenhaus arbeiten, wünscht sich eine Ärztin aus der Ukraine. Bis ihr Studium und ihre Berufserfahrung in Deutschland anerkannt werden, können Jahre vergehen.  (Foto: picture-alliance / Reportdienste, Sebastian Widmann)
Wenigstens wieder im Krankenhaus arbeiten, wünscht sich eine Ärztin aus der Ukraine. Bis ihr Studium und ihre Berufserfahrung in Deutschland anerkannt werden, können Jahre vergehen.

Auch anderen hochqualifizierten Frauen geht es ähnlich wie der Ärztin. Eine Frau, die in der Ukraine als selbständige Unternehmerin tätig war, sollte in Trier Müll sortieren. Einer Lehrerin wurde vom Jobcenter eine Stelle als Putzfrau angeboten.

Für mich ist da eine Grenze erreicht, wo man die Integration behindert."

Achim Hettinger arbeitet beim "Service Anerkennung und Qualifizierung Trier", der zum Palais e.V. gehört. Er berät Geflüchtete und Migranten, wie sie erreichen, dass ihre Berufserfahrung anerkannt wird. In diesem Jahr haben schon mehr als 350 Menschen hier Hilfe gesucht, etwa die Hälfte davon kommt aus der Ukraine. "Für mich ist da eine Grenze erreicht, wo man die Integration behindert", sagt er.

Er hat auch schon erfolgreich mit dem Jobcenter verhandelt, ob es nicht mehr Sinn macht, gut qualifizierten Menschen zuerst die Chance zu geben, Deutsch auf höherem Niveau zu lernen. Vor allem in Berufen, in denen händeringend Personal gesucht wird, wie im Gesundheitsbereich. Die Jobangebote sollten etwas mit dem Beruf und der Erfahrung der Menschen zu tun haben, findet er. Das Jobcenter habe da durchaus einen gewissen Spielraum.

Ärztin will wieder in ihrem Beruf arbeiten

Die Ärztin aus der Ukraine will auf jeden Fall irgendwann wieder in ihrem Beruf arbeiten, auch wenn es Jahre dauert. Sie hatte die Gelegenheit, in einer medizinischen Einrichtung ein Praktikum zu machen. Sie hofft, dass sie nach dem Deutschkurs, der im Juni beginnt, nicht wieder ein halbes Jahr warten muss, bis es weitergeht. Ganz hat sie die Hoffnung noch nicht aufgegeben, irgendwann wieder in die Ukraine zurückzugehen. Auch wegen ihrer Kinder richtet sie sich jetzt aber erst einmal darauf ein, in Deutschland zu bleiben und hier auch beruflich Fuß zu fassen.

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