Freiburger Münster

Sexualisierte Gewalt in der Kirche

Missbrauchsbericht deckt "toxische Strukturen" im Erzbistum Freiburg auf

Stand
AUTOR/IN
Markus Gutting

Nach der Veröffentlichung des Missbrauchsberichts im Erzbistum Freiburg ist klar: Kirchliches Recht wurde zugunsten von Tätern ignoriert. Der Bericht beleuchtet 45 Jahre unter drei Erzbischöfen.

Der frühere Erzbischof von Freiburg, Robert Zollitsch, hat viele Jahre lang sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen systematisch vertuscht, ebenso sein Vorgänger Oskar Saier. Das geht aus dem Bericht zum Missbrauch in der Erzdiözese Freiburg hervor, der am Dienstag im Rahmen einer Pressekonferenz in der Katholischen Akademie vorgestellt wurde. Der Vorsitzende der Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs in der Erzdiözese Freiburg, Magnus Striet, sagte einleitend: "Dieser Tag ist von vielen erwartet worden, er setzt aber keinen Schlusspunkt." Er nannte den Abschlussbericht "ein Hellfeld auf toxische Strukturen, nicht auf Einzeltäter". Das Dunkelfeld, so Striet, sei vermutlich noch viel größer als das, was jetzt vorgestellt werden könne. Er nannte einordnend die Zahl von 540 betroffener Personen und 250 beschuldigter Priester.

Druck durch investigativen Journalismus spielte entscheidende Rolle

Allerdings betonte Striet den konkreten Arbeitsauftrag der Kommissions-Arbeitsgruppe, nämlich ausschließlich die kirchlichen Strukturen von Macht im Erzbistum Freiburg im Zusammenhang mit Missbrauch zu analysieren und darzustellen. Ohne den Druck eines investigativen Journalismus wäre dieses Verfahren niemals möglich gewesen, unterstrich Striet.

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Auch der Betroffenenbeirat der Freiburger Erzdiözese ging bereits im Vorfeld der Veröffentlichung des Abschlussberichts von einer hohen Dunkelziffer aus, bestätigte seine Vorsitzende Sabine Vollmer. Es gebe viele Betroffene, die sich immer noch schämten und noch niemandem anvertraut hätten, so Vollmer weiter. Sie hoffe, dass diese Menschen "mit der Veröffentlichung des Missbrauchsberichts diese Gefühle überwinden und sich melden."

In einer Extra-Sendung wurde die Pressekonferenz zur Veröffentlichung des Missbrauchsberichts im SWR Fernsehen live gestreamt und inhaltlich eingeordnet:

Missbrauchsbericht beleuchtet die letzten 45 Jahre unter drei Erzbischöfen

Der schon länger angekündigte Bericht wurde nach Verzögerungen nun von der unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs in der Erzdiözese Freiburg unter Vorsitz von Magnus Striet veröffentlicht und vorgestellt. Beleuchtet wurden darin die vergangenen 45 Jahre, also die Zeit unter den Erzbischöfen Oskar Saier, Robert Zollitsch und Stephan Burger. Zentral war die Frage, was die Verantwortlichen über sexuellen Missbrauch gewusst oder sogar vertuscht haben.

Die Ausführungen der beiden Vertreter der Arbeitsgruppe Machtmissbrauch und Aktenanalyse, Eugen Endress und Edgar Villwock, waren so klar wie eindeutig: Die früheren Erzbischöfe Oskar Saier und Robert Zollitsch haben demnach vorsätzlich und wissentlich vertuscht und klar gegen kanonisches (kirchliches) Recht verstoßen. Anstatt die Missbrauchs-Beschuldigten nach geltendem Recht zur Rechenschaft zu ziehen oder gar weltliche Rechtsbehörden einzubeziehen, haben sie es vorgezogen die Priester zu schützen, ihre Taten zu verheimlichen (selbst gegenüber internen Stellen im erzbischöflichen Ordinariat oder im Vatikan) und staatliche Organe auf Abstand zu halten. Schlimmer noch: Betroffene und ihre Angehörigen wurden eher eingeschüchtert, als sie in ihrem Leid und seinen psychischen Folgen zu unterstützen und zu begleiten. Dem derzeitigen Erzbischof von Freiburg, Stephan Burger, wurde im Abschlussbericht bescheinigt, dieses eklatante Missverhalten seiner Vorgänger erkannt und die entsprechenden Konsequenzen daraus gezogen zu haben.

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Erzbischof Burger nach Abschlussbericht "fassungslos"

Nach der Vorstellung des Berichts durch Vertreter der AG Aktenanalyse hat Erzbischof Stephan Burger ein erstes Statement zu den Ergebnissen abgegeben. Er sei fassungslos darüber, wie unverantwortlich seine Vorgänger gehandelt beziehungsweise nicht gehandelt hätten. Besonders fassungslos mache ihn die Tatsache, dass Erzbischof Oskar Saier als Kirchenrechtler wissentlich gegen das kanonische Recht verstoßen, es geradezu ignoriert habe. Dies gelte genauso für Robert Zollitsch, der vor seiner Bischofsernennung langjähriger Personalreferent der Erzdiözese war.

Besonders schmerzlich und schwer zu ertragen sei für ihn, dass durch ein solch eklatantes Fehlverhalten von Verantwortlichen der Kirche als Seelsorger die Botschaft Jesu Christi letztlich pervertiert wurde, sagte Stephan Burger. Der Schutz von Priestern als Täter sei über das Leid von Betroffenen des Missbrauchs gestellt worden. Das wolle er ganz entschieden ändern und die Strukturen im Erzbischöflichen Ordinariat dahingehend neu ordnen, dass Missbrauchsfälle von Anfang an mit der notwendigen Transparenz aufgearbeitet werden.

"Die Botschaft Jesu Christi wurde pervertiert!"

Burger erklärte, er werde sich auch selbst einem entsprechenden Kontrollmechanismus unterstellen. "Die Wahrheit wird euch frei machen" - dieses Wort von Jesus Christus im Johannes-Evangelium sei für ihn Richtschnur für das weitere Handeln und Hoffnung für alle Betroffenen. Dennoch heilten dadurch die Wunden der Betroffenen nicht, so Burger, weshalb auch das verantwortliche Handeln für und im Sinne Betroffener eine immer währende Aufgabe bleibe. Als eine solche bezeichnete er auch die Sensibilisierung von Haupt- und Ehrenamtlichen in kirchlicher Arbeit für grenzachtenden Umgang, die im Rahmen von regelmäßigen Präventionsschulungen bereits begonnen habe.

Alterzbischof Robert Zollitsch will vorerst zu Studie schweigen

Der langjährige Freiburger Erzbischof Robert Zollitsch will sich vorerst nicht zu den Ergebnissen des Berichts über Missbrauch und Verschleierung im Erzbistum äußern. "Aus Rücksicht auf die Betroffenen von sexualisierter Gewalt und aus Respekt vor einer notwendigen und vollständigen Aufarbeitung" habe sich Zollitsch Schweigen auferlegt, teilte sein Sprecher am Montag mit. Zollitsch stelle seine "eigenen persönlichen und rechtlichen Belange ausdrücklich hintan".

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Qualitative Untersuchung der AG Machtstrukturen und Aktenanalyse

In dem Bericht gehe es darum zu zeigen, welche kirchlichen Strukturen Missbrauch begünstigten und dessen Vertuschung ermöglichten, so ein Sprecher des Erzbistums. Es handle sich damit um eine qualitative Untersuchung, die anhand von der AG Machtstrukturen und Aktenanalyse ausgewählter Fälle die Strukturen exemplarisch beleuchte. Die Fälle würden im Bericht insbesondere aus Gründen des Betroffenenschutzes vollständig anonymisiert. Eine quantitative Untersuchung - also Zahlen zu Beschuldigten und Betroffenen - liegen für die Erzdiözese Freiburg bereits weitgehend durch die 2018 veröffentlichte MHG-Studie vor.

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Missbrauch-Abschlussbericht wird online gestellt

Im Anschluss an die Pressekonferenz werde der Bericht auf der Seite der Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs in der Erzdiözese Freiburg sowie auf einer Sonderseite der Erzdiözese Freiburg zum Herunterladen zur Verfügung stehen, teilte der Bistumssprecher weiter mit. Auf dieser laufend aktualisierten Sonderseite der Erzdiözese seien auch zahlreiche weitere Informationen zum Themenbereich Aufarbeitung und Aufklärung zu finden. 

Hintergrund: Macht und Missbrauch im Erzbistum Freiburg

Unmittelbar nach der Veröffentlichung der MHG-Studie im Jahr 2018 wurde in der Erzdiözese Freiburg eine Kommission "Macht und Missbrauch" zur Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen eingesetzt. Diese Kommission berief die unabhängige Arbeitsgruppe "Machtstrukturen und Aktenanalyse", bestehend aus pensionierten Juristen und Kriminalbeamten. Deren Aufgabe war es, anhand eigenständig ausgewählter Fälle Mentalitäten, Mechanismen, Verantwortlichkeiten und Strukturen, die zu Vertuschung und Machtmissbrauch geführt und beigetragen haben, umfassend und grundsätzlich zu analysieren und aufzuklären.

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