Fünf Jahre ging Linus in eine Betriebs-Kita von Roche in Grenzach-Wyhlen (Kreis Lörrach). Im vergangenen Herbst war er dort plötzlich nicht mehr erwünscht. Zunächst wurde der Familie der Platz gekündigt, dann ruderte die Kita aber zurück. Der Junge hätte bleiben dürfen, allerdings sollte er aus seiner Gruppe mit den gleichaltrigen Kindern in die Krippen-Gruppe wechseln. Für die Familie war das nicht hinnehmbar.
Linus mag es unter Gleichaltrigen zu sein
Linus ist ein aufgeweckter Junge. Er interessiert sich dafür, was um ihn herum geschieht, er mag es, wenn es lebendig ist und er unter Gleichaltrigen ist. Bis Februar besuchte er gemeinsam mit seinen Freunden die Kita. Er nahm am Morgenkreis teil und ging mit der Gruppe auf Ausflüge. Jetzt verbringt er die Vormittage zuhause, allein mit einer Pflegekraft.
Eltern erhalten Kündigung - Linus darf nicht in Kita bleiben
Im Herbst wurde der Familie der Kita-Platz gekündigt. "Entsetzen, Traurigkeit, Unverständnis", das waren die Gefühle, die die Mutter, Julia Matilainen, empfunden hatte, als sie die Nachricht erhielt. Fünf Jahre habe es gut funktioniert in der Kita. Warum sich das plötzlich geändert haben soll, war für die Familie nicht nachvollziehbar.
Kurzzeitig konnte sich die Kita mit Linus` Familie einigen
Mit der Unterstützung anderer Eltern konnte zunächst eine Einigung mit der Kita gefunden werden. Linus' Eltern organisierten zusätzliche Pflegekräfte, die das Kita-Personal entlasten sollten. Die Kündigung wurde zurückgenommen und Linus durfte bleiben.
Die Kita wollte Linus aber zusätzlich aus seiner bisherigen Gruppe nehmen und in die Krippe zu den Ein- bis Zweijährigen zurückstufen. Das war für die Familie Matilainen nicht hinnehmbar. Julia Matilainen findet: "Das ist nicht der Inklusiv-Gedanke. Was macht man denn mit erwachsenen Menschen mit einer Einschränkung? Müssen die auch in die Krippe, weil sie geistig in dem Entwicklungsstand zurückgeblieben sind?“
Die Überforderung der Kita mit einem Inklusions-Kind wie Linus kann die Familie grundsätzlich nachvollziehen. Aber genau deswegen habe man zusätzliches Personal organisiert. Das Kita-Personal hätte sich also nicht mehr um Linus kümmern müssen, so Julia Matilainen. Lediglich um Teilhabe sei es gegangen.
Kita unterliegt der Schweigepflicht
Linus ehemalige Einrichtung ist eine Betriebs-Kita des Pharma-Unternehmens Roche. Der Träger ist aber die Dieter-Kaltenbach-Stiftung in Lörrach. Die geschäftsführende Vorständin der Stiftung, Iris Teulière, teilt die Sichtweise der Familie Matilainen nicht. "Inklusion bedeutet immer, dass das Team Inklusion trägt." Auch die zusätzliche Pflegekraft sei Teil des Teams. Sie sei unterstützend für das Team da, aber nicht allein für das Kind. "Das Kind ist Teil des Teams und die Kollegin auch," so die Vorständin der Stiftung.
Zu den konkreten Vorwürfen der Familie Matilainen dürfe sich die Stiftung nicht äußern. Sie unterliege der Schweigepflicht. Auch zu den Gründen für die Kündigung und die Zurückstufung in die Krippe möchte Iris Teulière nichts sagen.
Grundsätzlich gebe es bei Kindern mit Förderbedarf wie Linus aber immer drei Seiten zu berücksichtigen. "Die Seite des Kindes, ob es ihm noch gut geht? Die der anderen Kinder, ob die Situation tragbar für sie ist oder zu schwierig wird. Und die des Teams."
Roche steht hinter der Entscheidung der Kita
Auch bei Roche möchte man sich zum konkreten Fall nicht äußern. Die Leiterin der Kommunikationsabteilung, Faten Gaber, teilt aber mit: "Wir stehen voll hinter der pädagogischen Expertise der Dieter-Kaltenbach-Stiftung und somit auch hinter der Entscheidung." Roche selbst könne auf die Entscheidung keinen Einfluss nehmen. Die Stiftung sei unabhängig.
Leidtragender des Vorfalls ist Linus. Seine Freunde sieht er jetzt kaum mehr. Dabei sei er gerne in Gesellschaft. Aber auch die anderen Kinder in seiner Gruppe hätten nicht verstanden, warum Linus nicht mehr kommen darf. "Wir haben von anderen Eltern gehört, dass einzelne Kinder in Tränen ausgebrochen sind und sich gefragt haben: Wieso ist unser Freund Linus nicht mehr da?" sagt Julia Matilainen.
Kinder mit Förderbedarf - Linus ist kein Einzelfall
Für Familie Matilainen ist der Fall abgeschlossen. Klagen möchte sie nicht. Im Sommer geht Linus bereits in die Schule, wo er neue Kinder kennenlernen wird. Mit ihrem Schritt in die Öffentlichkeit erhoffen sich die Eltern aber anderen Familien in ähnlichen Situationen helfen zu können. "Linus ist definitiv kein Einzelfall", ist Julia Matilainen überzeugt.
Auf Anfrage des SWR bestätigen auch unterschiedliche Verbände bereits von Vorfällen dieser Art gehört zu haben. Offizielle Zahlen gibt es dazu aber nicht. Die Familie wünscht sich, dass in ähnlichen Fällen eine Lösung im Sinne des Kindes gefunden wird. Wenn Inklusion nicht gelingt, solle man das Kind nicht als das Problem ansehen, sondern gemeinsam an Lösungen arbeiten. Die Rahmenbedingungen sollten dann so gestaltet werden, dass Inklusion eben möglich ist, so ihre Forderung.