Zwischen der Einschleppung neuer Arten und ihrer massiven Ausbreitung liegen oft Jahrzehnte. Das erschwert es, das Risiko zu bewerten und die einheimischen Pflanzen zu schützen.
Invasive Arten sind wie Gift für die heimische Artenvielfalt und intakte Ökosysteme. Um das Risiko von invasiven Pflanzen besser einschätzen zu können, haben Forscher in einer Studie weltweit tausende von Pflanzenarten untersucht. Die Ergebnisse zeigen: Das Risikopotenzial ist kaum kalkulierbar: Eingeschleppte Pflanzenarten können sich jahrzehntelang unauffällig verhalten, bevor sie plötzlich zu "Zeitbomben" werden und massive Schäden anrichten.
Die sogenannte Verzögerungsphase dauert im Schnitt 40 Jahre. Es gibt aber auch Arten, die über 300 Jahre lang schlummern, bevor sie ihre invasive Schlagkraft ausleben.
Invasive Arten schaden Mensch, Tier und Umwelt
Wenn Pflanzen- und Tierarten beginnen, sich an einem neuen Lebensraum zu etablieren ist ungewiss, wie sie sich dort einfügen werden. Eingeschleppte Tiere wie der Waschbär oder das Nutria haben sich hierzulande stellenweise zu Plagen entwickelt. Genauso in der Pflanzenwelt: Riesenbärenklau, Japanischer Knöterich oder Indisches Springkraut. Invasive Arten verdrängen heimische Arten und können ganze Ökosysteme zerstören.
Außerdem können invasive Pflanzen unserer Gesundheit schaden. Ökologe Franz Essl und Mitautor der Studie nennt ein prominentes Beispiel - Heuschnupfenallergiker werden es kennen: das Beifußblättriges Traubenkraut. “Ursprünglich war diese einjährige Pflanzenart heimisch in Nordamerika. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde sie nach Deutschland eingeschleppt, hat sich aber in den ersten Jahrzehnten völlig unauffällig verhalten. Erst in den letzten 20 bis 25 Jahren, hat sich diese wärmeliebende Art in ganz Mitteleuropa massiv ausgebreitet.”
Unser heimischer Bergahorn ist anderswo eine invasive Art im Schlummermodus
Verzögerungsphasen bei pflanzlichen Invasoren haben die Forschenden bei etwa einem Drittel der 3.500 untersuchten Pflanzen festgestellt. Eine hier heimische Art bricht den Rekord: Der Bergahorn ist in Deutschland weit verbreitet und in Mitteleuropa sogar die häufigste Ahornart.
In seinem natürlichen Verbreitungsgebiet ist er weniger invasiv, in Großbritannien hingegen stört er das Ökosystem massiv - nach einer satten Verzögerungszeit von 320 Jahren. Der Bergahorn wurde um 1600 auf die britische Insel gebracht, verbreitete sich dort aber erst ab 1933 sprunghaft.
Risiko durch invasive Pflanzen: Klimawandel als Weckruf
Die Autoren der Studie sehen den Klimawandel als wichtigen Faktor bei den festgestellten Verzögerungsphasen invasiver Pflanzen. Bei 98 Prozent der Arten mit Schlummermodus haben sich die Klimaräume bzw. die klimatischen Bedingungen zwischen Verzögerungsphase und der Phase der starken Ausbreitung geändert. Der Klimawandel kann zu einer Verschiebung der Klimazonen führen, was wiederum die Verbreitung von (invasiven) Pflanzenarten beeinflussen kann.
Dringender Forschungsbedarf zu invasiven Arten
Die Forscher können noch nicht genau sagen, warum manche Pflanzen eine Verzögerungsphase haben und andere nicht. Längere Schlummerphasen treten eher bei mehrjährigen Pflanzen auf, die sich selbst bestäuben können. Neben klimatischen Bedingungen gibt es weitere Faktoren, die zu Verzögerungsphasen bei invasiven Pflanzen führen können. Bisher ist die Datenlage allerdings nicht ausreichend, um weitere Schlüsse zu ziehen.
Unterschätztes Risiko: Die Verzögerung bis zur massenhaften Ausbreitung
Die Gründe für Verzögerungsphasen und was genau sie beendet, also die sprunghafte Ausbreitung auslöst, muss für die Risikobewertung nicht-heimischer Arten dringend erforscht werden. Die Gefahr eine neue Art zu unterschätzen ist groß, wenn sie erst nach Jahrzehnten oder Jahrhunderten ihre fatalen Auswirkungen zeigt.
"Die Verzögerungsphasen maskieren, was sich in der Zukunft abspielen kann. Wobei aber nur am Anfang, wenn man Gegenmaßnahmen setzen möchte, die Chance besteht auf Erfolg, solange die Vorkommen noch klein sind", warnt Franz Essl.
Im eigenen Haus und Hof auf invasive Arten verzichten
Die zentrale Erkenntnis der Studie ist, dass das Risiko, das von invasiven Pflanzen ausgeht, unberechenbar ist. Umso wichtiger ist ein sorgsamer Umgang mit nicht-heimischen Arten.
Bei der Gartengestaltung ist das ebenso essenziell wie bei der Wahl der Tiere, die man hält. Zwei bekannte Invasoren, die Deutschland Probleme bereiten, sind der Ochsenfrosch und der Kalikokrebs. Beide Arten sind wahrscheinlich durch den Menschen als Aquarientiere bzw. Angelköder in die Umwelt gelangt. Seither breiten sie sich unkontrolliert aus und verdrängen unsere heimischen Arten.
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Weitere Themen sind illegaler Kaviar, indische Bienenkriegerinnen und erste Erfahrungen mit einer Impfung gegen die Bienenseuche Faulbrut.
Das Umweltmagazin mit Sabine Schütze, 23.11.2023
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