Eine neue Studie legt nahe, dass in Regionen, in denen es weniger Fledermäuse gibt, mehr Säuglinge sterben. Doch an der Studie gibt es teils heftige Kritik.
Der Autor der Studie Eyal G. Frank behauptet, dass in Regionen, in denen es weniger Fledermäuse gibt, mehr Säuglinge sterben. Untersucht hat er das anhand von US-Counties – also im Grunde Landkreisen in den USA.
In einigen dieser Gebiete war zwischen 2006 und 2014 eine Pilzkrankheit ausgebrochen, welche die Fledermauspopulation deutlich reduziert hat. Weil die Tiere Insekten fressen, kam es dort - laut der Studie - zu einer Kettenreaktion: Mehr Schädlinge führten dazu, dass mehr Insektizide zu ihrer Bekämpfung angewendet wurden. Die angebliche Folge: eine erhöhte Säuglingssterblichkeit.
Die Studie wurde jetzt in der renommierten Fachzeitschrift Science veröffentlicht – dennoch gibt es Kritik an der Methodik.
Methode des "Natürlichen Experiments"
Grundlage der Analyse war ein sogenanntes "natürliches Experiment". Das heißt: Nicht die Forschenden definieren eine Versuchs- und eine Kontrollgruppe, die sie dann miteinander vergleichen, sondern das natürliche Umfeld bestimmt die Gruppen. Counties, in denen die Pilzkrankheit unter Fledermäusen ausgebrochen war, zählten in dem Fall zur Versuchsgruppe. Counties ohne den Pilzbefall bildeten die Kontrollgruppe.
Laut Autor war diese Verteilung quasi zufällig. Und das ist wiederum entscheidend dafür, ob man aus der Studie auch kausale Zusammenhänge ableiten kann. Der Autor stellt in der Studie eine solche Ursache-Wirkungs-Beziehung her.
Studie wird mitunter sehr positiv bewertet
Julia Mink, Juniorprofessorin für Umweltökonomik an der Uni Bonn, bewertet das positiv: "Also als ich das Papier gelesen habe, habe ich gesagt 'Okay, das hört sich plausibel an, dass das ungefähr zufällig passiert ist mit der Fledermausausbreitung'." Insgesamt finde sie die Methode des natürlichen Experiments recht überzeugend und auch sinnvoll, um kausale Zusammenhänge herzustellen.
Der Autor schließt aus seiner Analyse: Aufgrund der reduzierten Fledermauspopulation habe der Einsatz von Insektiziden in den Jahren nach dem Ausbruch der Pilzerkrankung um etwa 30 Prozent zugenommen. Die Säuglingssterblichkeit unter den Bewohnern der betroffenen Counties habe - verursacht durch den höheren Pestizideinsatz - über diese Jahre ebenfalls etwa acht Prozent höher gelegen als in der Kontrollgruppe.
Außerdem seien die landwirtschaftlichen Einnahmen drastisch gesunken. Der Gesamtschaden in der Versuchsgruppe soll fast 27 Milliarden Dollar betragen.
Zweifel an kausalen Zusammenhängen
Rita Triebskorn, Professorin für Physiologische Ökologie der Tiere an der Uni Tübingen, zweifelt diese Schlussfolgerung an. Sie sieht keine ursächlichen Zusammenhänge belegt.
"Solche Zusammenhänge sind multifaktoriell. Es gibt ganz viele Faktoren, die mit anderen Faktoren zusammenspielen, die dann wiederum was anderes beeinflussen.". Der Autor berücksichtige dies nicht ausreichend, sagt Triebskorn.
Wie viele Fledermäuse gibt es in Baden-Württemberg?
Christoph Rothe, Professor für Statistik an der Uni Mannheim, betont, dass sich diese Diskussion nicht so einfach auflösen lässt:
"Die wichtige Annahme ist: Wenn dieser Pilz aus irgendeinem Grunde da nicht hingekommen wäre, wenn die Fledermäuse alle da noch leben würden wie sonst, dann wären diese Landkreise alle parallel gelaufen. Und das muss man im Endeffekt glauben. Und da kann man bei allen Studien, die solche Techniken anwenden, sehr, sehr lange und breit diskutieren, weil es immer tausend Einzeldetails gibt, die das so ein bisschen fragwürdig erscheinen lassen."
Kritik an statistischer Methode
Einen Punkt hätte der Autor der Studie laut Christoph Rothe in jedem Fall besser machen können: Ein neueres statistisches Verfahren anwenden. Das Verfahren aus der Studie sei nicht mehr zeitgemäß.
"Da gab es über viele Jahre so ein Standardverfahren, das praktisch immer in der Literatur verwendet wurde. Und da gab es so vor drei, vier Jahren in der Literatur dann so Papiere, die gesagt haben 'Moment, da müssen wir ein bisschen vorsichtig sein. Es gibt eine ganze Reihe von Gegebenheiten, unter denen diese Verfahren verzerrte und ungewöhnliche Ergebnisse liefern, die wir nicht haben wollen."
Der Autor diskutiere diesen Kritikpunkt zwar kurz, käme dabei aber zum Schluss, dass das verwendete Verfahren grundsätzlich kein Problem darstelle. Rothe kritisiert jedoch, dass man zu diesem Schluss erst kommen könne, wenn man ein besseres Verfahren getestet habe und beide zu gleichen Ergebnissen führen.
Studie zeigt wohl zumindest eine Tendenz
Martin Huber, ist Professor für Angewandte Ökonometrie und Politikevaluation an der Uni Freiburg in der Schweiz. Er ist optimistisch, dass die angewandte Methode zu aussagekräftigen Ergebnissen geführt hat. Der Ansatz der Studie sei überzeugend, auch wenn traditionelle Methoden verwendet wurden, welche noch durch flexiblere Methoden ergänzt werden sollten. "Von dem, was ich gesehen habe, würde ich aber nicht erwarten, dass die Effekte groß anders sind.", so Huber.
Bei der Betrachtung einzelner Jahre müsse man aber vorsichtig sein. "Es kann sein, dass wir das hier für ein bestimmtes Jahr nicht exakt messen können, weil es immer mit Unsicherheit auch behaftet ist, weil die Methode vielleicht nicht die beste ist.". Doch im Mittel betrachtet, würden die Ergebnisse eine eindeutige Tendenz aufzeigen.
Insektizide gelangen teilweise in Nahrungsmittel
Fledermäuse und Säuglingssterblichkeit müssen weiter erforscht werden
Inwieweit ein Schrumpfen der Fledermauspopulation mit einer erhöhten Säuglingssterblichkeit bei Menschen und wirtschaftlichen Schäden zusammenhängt, muss also noch weiter erforscht werden - mit neueren statistischen Methoden und möglicherweise auch mit größeren, interdisziplinären Forschungsteams.
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