„Neues Implantat lässt Querschnittgelähmte wieder gehen“ – mit Meldungen wie dieser macht ein Forschungsteam aus der Schweiz regelmäßig Schlagzeilen. Nun haben die Forschenden aus Lausanne einen neuen Fortschritt mittels Tiefer Hirnstimulation verkündet.
Zwei Menschen, die aufgrund einer Rückenmarksschädigung teilweise gelähmt waren, wurden mit einer sogenannten Tiefen Hirnstimulation behandelt – mit elektrischen Impulsen, die über implantierte Elektroden direkt ins Gehirn geleitet werden.
Das habe ihre Genesung beschleunigt, wie ein Schweizer Forschungsteam aus Lausanne in seiner Studie schreibt, die kürzlich im Fachblatt Nature Medicine erschienen ist.
Elektroden im Hirn können von außen angesteuert werden
Die Tiefe Hirnstimulation ist eine bereits seit Jahrzehnten eingesetzte Methode, bislang vor allem zur Behandlung von Parkinson-Symptomen. In einer mehrstündigen Operation werden den Betroffenen Elektroden ins Gehirn eingesetzt, die von außen mit einem Gerät angesteuert werden können.
Nun soll die Methode auch den Genesungsprozess bei einer teilweisen Querschnittlähmung unterstützen. Denn wenn das Rückenmark nicht komplett durchtrennt ist, können Betroffene durch intensives Training wieder laufen lernen.
Hilfe bei Parkinson: Wieder laufen lernen mit Rückenmarkprothese
Dabei spielen auch Gehirnregionen eine Rolle, die sonst nicht mit dem Laufen in Verbindung stehen. Welche das genau sind, hat das Schweizer Forschungsteam zunächst an Mäusen getestet – dabei fiel die Aufmerksamkeit auf eine Gruppe von Nervenzellen im sogenannten lateralen Hypothalamus.
Beim Menschen liegt diese Region ungefähr auf Höhe der Augenbrauen in der Mitte des Schädels und spielt bei verschiedenen Körperfunktionen eine Rolle, wie der Nahrungsaufnahme und Motivation.
Pilotstudie beim Menschen zeigte Erfolge
Weitere Versuche an Mäusen zeigten: Wird diese Region nach einer Rückenmarksverletzung stimuliert, lernen die Tiere schneller wieder zu laufen. Dieser Erfolg ermutigte das Forschungsteam dazu, die Methode in einer Pilotstudie auch an Menschen zu testen. Wolfgang Jäger ist einer der beiden Patienten, die bislang damit behandelt wurden:
"Zuerst war es ein großer Unterschied, und mit der Zeit, durch das viele Training mit der Stimulation, war dann auch der Muskelaufbau da. (...) Und da hat man dann richtig gesehen, dass auch ohne Stimulation der Erfolg da ist."
Jäger beschreibt die Behandlung als eine Art Booster: Dank der Hirnstimulation fiel ihm das Laufen leichter, so konnte er seine Muskeln schneller wieder aufbauen und kommt mittlerweile sogar weitgehend ohne die Stimulation zurecht. Nur in seltenen Fällen nimmt er noch die Hilfe des Geräts in Anspruch, wie etwa beim Treppenlaufen:
"Wenn man es braucht, sei es zu Hause oder wenn man irgendwo ist, im Urlaub oder bei Bekannten, und man sieht da ist eine Treppe, (…) da kann man das verwenden, und da kommt man selber rauf. Also [es] ist ein schönes Gefühl."
Übertragbarkeit der Erfolge auf weitere Patientin ist unklar
Bei beiden Patienten war die Behandlung erfolgreich und es traten keine unerwarteten Komplikationen auf, so das Forschungsteam.
Fachleute wie Professor Norbert Weidner, der die Klinik für Paraplegiologie an der Uni Heidelberg leitet, sind beeindruckt von der detailreichen Arbeit des Teams im Tiermodell. Bei nur zwei menschlichen Probanden sei jedoch noch vieles im Unklaren, sagt Weidner:
"Daraus kann man einfach noch nicht schließen, inwieweit das auch auf andere Patienten übertragbar ist, diese Effekte, die man sieht. Sind das hier sehr besondere Patienten mit einer sehr besonders ausgeprägten inkompletten Querschnittlähmung? Das sind alles Dinge, die man an dieser Stelle nicht beantworten kann."
Zudem müsse ein klarer und anhaltender Nutzen im Alltag gegeben sein, um die aufwendige Operation in Kauf zu nehmen – auch hier sei noch mehr Forschung nötig.
Weitere Tests sollen zeigen, ob weitere Patienten von der Methode profitieren können
Bei diesem risikoreichen Eingriff sei das Allerwichtigste, dass das Verfahren an einer vernünftigen Patientenzahl getestet und mit den besten derzeit verfügbaren Behandlungsmethoden verglichen werde, erklärt Weidner.
Das würde bedeuten, Menschen mit einer inkompletten Querschnittlähmung ein intensives Gehtraining machen zu lassen und die neue Therapie in einer Vergleichsgruppe durchzuführen, um letztlich sehen zu können, welchen Probanden es nach der Therapie besser geht.
Neue Elektrostimulation hilft Gelähmten ohne Operation
Für die neurologische Forschung leisten die Erkenntnisse also einen wichtigen Beitrag – ob und wie viele Patienten nachhaltig von der Methode profitieren können, müssen weitere Tests zeigen.