Wegen des Klimawandels können sich über Mücken und Zecken auch neue Krankheiten verbreiten. Müssen wir in Europa bald mit Malaria oder dem Chikungunya-Fieber rechnen? Ralf Caspary im Gespräch mit Dr. Renke Lühken, Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin (BNITM), Hamburg.
Eine neue aktuelle Übersichtsanalyse, bei der 830 vorliegende Studien ausgewertet wurden, zeigt deutlich: Es gibt einen Zusammenhang zwischen dem Klimawandel und bestimmten Krankheiten beim Menschen. Konkret heißt das: Krankheiten, die von sonst tropischen Erregern ausgelöst werden, können verstärkt in unseren Breitengraden auftreten. Zum Beispiel, weil bestimmte Mückenarten von der Wärme profitieren, sich deshalb vermehren und Erreger in sich tragen, die sie an den Menschen weitergeben. Renke Lühken vom Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg im Interview mit SWR2 Impuls:
Ralf Caspary: Welche Tiere tragen in Mitteleuropa am häufigsten Erreger in sich?
Renke Lühken: In Europa haben wir vor allem durch Arthropoden übertragene Krankheitserreger. Dabei geht es um zum Beispiel durch Stechmücken oder Zecken übertragene Krankheiten. Und wir haben insbesondere in den letzten Jahren damit zu kämpfen, dass es neue Krankheitserreger gibt, die sich entweder in Europa ausbreiten, wie zum Beispiel das West-Nil-Virus, was jetzt erstmals in Deutschland zirkuliert, das durch Stechmücken übertragen wird oder wirklich tropische Viren, zum Beispiel das Chikungunya-Virus. Es klingt ja schon so exotisch – diese Erreger werden jetzt auch in Europa zirkulieren können.
Ralf Caspary: Sind das hauptsächlich invasive Arten, die sich jetzt wegen des Klimawandels bei uns niedergelassen haben?
Renke Lühken: Nicht nur. Das West-Nil-Virus zirkuliert seit 2018 in Deutschland. Und das wird durch unsere einheimischen Stechmückenarten übertragen, also Culex, das ist die gemeine Hausmücke, die brütet eigentlich in jeder Regentonne. Und die kann dieses West-Nil-Virus übertragen, das schon ganz lange in Europa zirkuliert und es jetzt im Zuge der Klimaerwärmung auch nach Zentraleuropa geschafft hat.
Und dann gibt es noch einen anderen Prozess. Also es gibt diese invasiven Stechmückenarten, insbesondere die Asiatische Tigermücke. Sie ist jetzt ja auch schon in Deutschland angekommen, als vor allem eine in Süddeutschland etablierte Population, und das ist ein besonders guter Überträger von diesen tropischen Krankheitserregern, wie zum Beispiel Chikungunya, ein Virus. Das zirkuliert noch nicht in Deutschland, aber zum Beispiel in Italien oder Frankreich konnten schon Ausbrüche beobachtet werden.
Mücken bringen mehr tropische Viren nach Europa
Wie ist das beim West-Nil-Virus? Was passiert da genau?
Renke Lühken: Die meisten durch Stechmücken übertragenen Viren haben relativ unspezifische Krankheitsbilder beim Menschen wie Fiebererkrankungen oder Hautausschläge. Meistens verlaufen die auch relativ milde. Die Menschen sind vielleicht eine kurze Zeit leicht krank, fühlen sich mal ein bisschen abgeschlagen. Das sind so Sommergrippe-ähnliche Symptome. Aber dann ist es auch wieder vorbei. Und ein ganz kleiner Prozentsatz hat ein hohes Risiko, einen schweren Verlauf zu haben. Beim West-Nil-Virus gibt es da ein Risiko, zum Beispiel eine Enzephalitis oder eine Meningitis auszubilden, also eine Gehirnhautentzündung oder Hirnstammentzündung. Für solche Entzündungen haben insbesondere auch wieder Risikopatienten, also ältere Leute und Leute mit Vorerkrankungen, ein hohes Risiko.
Ralf Caspary: Welche Rolle spielt die Asiatische Tigermücke bei der Übertragung von Krankheiten?
Renke Lühken: Die Asiatische Tigermücke kann eine ganz große Anzahl von Krankheitserregern übertragen. Deshalb ist sie so relevant daneben, dass sie halt sehr, sehr aggressiv ist und den Menschen sehr viel sticht. Und dass sie so eine Plage ist. Und die überträgt in Europa noch nicht in Deutschland, aber in Südeuropa das Chikungunya-Virus und das Dengue-Virus.
Und die haben beide auch erst mal relativ milde bis keine Symptome. Und beim Chikungunya-Virus haben fünf bis zehn Prozent der Infizierten das Risiko, chronische Gelenkschmerzen zu entwickeln.
Beim Dengue-Virus, das es noch viel seltener in Europa gibt, kann es insbesondere bei einer Zweitinfektion mit einem anderen Dengue-Virusstamm zu inneren Blutungen kommen, das ist ein Hämorrhagisches Fiebervirus.
Ralf Caspary: Gibt es neue Zeckenarten, die auch zu uns eingewandert sind und die neue Erreger in sich tragen?
Renke Lühken: Bis jetzt nicht. Also wir beobachten, dass Arten eingeschleppt werden. Die auch als „Riesenzecke“ bezeichnete Hyalomma-Zecke ist ein ganz wichtiger Überträger vom Krim-Kongo Virus, was zum Beispiel in der Ukraine zirkuliert. Und diese Art wird regelmäßig nach Deutschland eingeschleppt, aber ist scheinbar noch nicht etabliert. Aber sie wird regelmäßig über den Vogelzug eingeschleppt und dadurch, dass auch bei uns die Temperaturen als günstiger werden, kann die Art vielleicht mittel- bis langfristig auch bei uns heimisch werden.
Ralf Caspary: Können durch den Klimawandel neue Krankheiten auf uns zukommen? Wie gefährlich ist das?
Renke Lühken: Insgesamt ist die Situation so, dass es kein großes Risiko für das Individuum gibt. Das Problem ist insbesondere, dass es im Zuge der Klimaerwärmung zu sehr, sehr großen Ausbrüchen kommen kann, bei denen beispielsweise viele tausend Menschen mit dem West-Nil-Virus infiziert werden. Rein statistisch ist es dann wahrscheinlich, dass auch Risikopatienten entsprechend infiziert werden. Dadurch gibt es ein hohes Risiko, dass Menschen entweder sehr schwer erkranken oder im schlimmsten Fall entsprechend sterben.
Ralf Caspary: Was kann man gegen die Ausbreitung dieser Krankheiten tun?
Renke Lühken: Tatsächlich ist Stechmückenbekämpfung wahrscheinlich das erste Mittel der Wahl auch für die anderen Krankheitserreger, die durch Stechmücken übertragen werden. Das ist besonders das West-Nil-Virus, das aktuell schon in Deutschland zirkuliert, und das Chikungunya-Virus.
Das Problem ist, dass in weiten Teilen von Deutschland im Gegensatz zur Oberrhein-Region diese Strukturen der Stechmückenbekämpfung gar nicht etabliert sind, weil diese neu auftretenden Viren ein ganz neu auftretendes Phänomen sind. Und jetzt liegt es an uns, sozusagen diese Strukturen entsprechend aufzubauen.
Man sieht eben eher kleinräumige Zirkulation. Das wird natürlich schlimmer, wenn die Temperaturen entsprechend noch günstiger werden. Und man muss jetzt entsprechend schauen, dass man zum Beispiel Stechmücken-Bekämpfungsprogramme auch in diesen Zirkulations-Gebieten aufbaut.
Ralf Caspary: Gibt es Impfstoffe gegen das Chikungunya-Fieber oder und andere tropische Krankheiten?
Renke Lühken: Das Problem ist, dass es für die meisten durch Stechmücken übertragene Viren wie das Chikungunya-Virus oder das West-Nil-Virus keine für den Menschen zugelassene Impfstoffe gibt. Für das West-Nil-Virus gibt zumindest für Pferde, Impfstoffe. Pferde können auch schwer erkranken. Die kann man impfen. Aber für den Menschen gibt es das aktuell leider noch nicht.
Ralf Caspary: Muss man bei dieser Problematik auf jeden Fall präventiv vorgehen?
Renke Lühken: Genau, es gibt jetzt auch schon Forschungsprojekte in Deutschland, wo zum Beispiel geschaut wird, wie gehen zum Beispiel Griechenland und Italien, also Länder, die schon sehr, sehr lange zum Beispiel mit dem West-Nil-Virus zu kämpfen haben damit umgehen, welche Maßnahmen ergreifen die? Wie wird da Stechmückenbekämpfung organisiert, um genau von diesen Ländern lernen zu können, um solche Strukturen in Deutschland auch aufbauen zu können.
Ralf Caspary (SWR2 Impuls) sprach mit Renke Lühken vom Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg. Eine aktuelle Übersichtsanalyse zeigt: Es gibt einen Zusammenhang zwischen Klimawandel und bestimmten Krankheiten.