Das Kabelbakterium Electronema wird Mikrobe des Jahres 2024. Wie leiten die Bakterien Strom und wie weit ist der Weg noch bis zu ihrer Anwendung als Bio-Kabel?
2024 trägt das Kabelbakterium Electronema den alljährlich von der Vereinigung für Allgemeine und Angewandte Mikrobiologie (VAAM) verliehenen Titel "Mikrobe des Jahres".
Die ersten mikrobiellen Ketten, also stromleitende Stränge aus Kabelbakterien, wurden vor 12 Jahren von Forschenden am schlammigen Grund von Gewässern entdeckt. Seit der Entdeckung dieser Kabelbakterien hoffen Forschende darauf, sie in Zukunft als biologisch abbaubare Stromkabel nutzen zu können.
Zehntausende Bakterien bilden Ketten
Kurze Stromkabel können die Mikroben bereits bilden. Genauer bis zu fünf Zentimeter lange Ketten aus Zehntausenden von Bakterienzellen. Die einzelnen Bakterien sind dabei durch stromleitende Proteinfasern in ihrer Zellhülle untereinander verbunden.
Die Kettenform ermöglicht dem mehrzelligen Kabelkörper eine effiziente Arbeitsteilung. So können die Kabelbakterien dank ihrer Fähigkeit, Strom zu leiten, Elektronen vom Sediment, dem Ort der Oxidation, zum Sauerstoff an der Sedimentoberfläche fließen lassen.
Damit sind die Kabelbakterien die einzigen Organismen, die Sulfid in einer Zone verbrauchen können, wo es keinen Sauerstoff gibt. Sie können dadurch mikrobielle Aktivitäten stimulieren, die sonst nur mit Sauerstoff möglich sind. So finden sich Kabelbakterien häufig in Gewässern, die mit Kohlenwasserstoffen belastet sind – etwa nach einer Benzin- oder Ölverschmutzung.
Kabelbakterien beschleunigen Schadstoffabbau in Gewässern
Die Aktivität der Kabelbakterien kurbelt den natürlichen Schadstoffabbau deutlich an: Sie steigern beispielsweise den Abbau aromatischer Kohlenwasserstoffe oder organischer Stoffe wie Faulschlamm in den Sedimenten überdüngter Seen. Es gibt bereits Ideen, Kabelbakterien gezielt zur Wiederaufarbeitung kontaminierter Standorte zu nutzen.
Zudem könnten Kabelbakterien dabei helfen, Treibhausgase zu verringern, zum Beispiel in überfluteten Reisfeldern. Versuche zeigten bereits, dass durch Ansiedelung des Kabelbakteriums Electronema im Wurzelbereich von Reispflanzen die Methanemissionen um über 90 Prozent verringert werden kann.
Wie genau sie das machen, ist noch nicht erforscht. Forschende vermuten, dass die Bakterien die Sauerstoffversorgung der Reiswurzel anzapfen, was ein ständiges Recycling von Sulfat im Boden ermöglicht und die Bildung von Methan verhindert.
Mikrobe als biologisch abbaubarer Stromleiter
Die größte Hoffnung liegt jedoch auf der Verwendung der Kabelbakterien als Bio-Kabel. Schließlich wird zur Zeit weltweit nur ein Fünftel der jährlich über 50 Millionen Tonnen Elektroschrott recycelt. Biologisch abbaubare Stromleiter könnten einen wichtigen Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit leisten.
Die leitfähigen Strukturen der Kabelbakterien wurden bereits patentiert. Bis zu einer kommerziellen Umsetzung ist der Weg allerdings noch weit. Denn zunächst einmal müssen die Kabelbakterien im Labor vermehrt werden und das hat bisher noch nicht geklappt.
Die elektrische Leitfähigkeit der Kabelbakterien wird jedoch bereits praktisch genutzt. So verbindet die spanische Künstlerin Anna Pasco Bolta im Rahmen ihrer Kunstprojekte mithilfe der stromleitenden Electronema-Filamente Mikrofon und Verstärker miteinander.