Eine Panne nach der anderen: Der Starttermin für den ersten bemannten Flug des “Starliners” wurde erneut verschoben. So steht es um das Projekt von Boeing und der NASA.
Der erste bemannte Starliner-Flug zur ISS sollte schon im Juni stattfinden, wegen technischer Probleme wurde der Start mehrfach verschoben. Jetzt haben Boeing und die NASA angekündigt, dass das Raumschiff erst im März 2024 für die Mission bereitsteht.
Stefan Troendle im Gespräch mit SWR-Wissenschaftsredakteur Uwe Gradwohl.
Viele Verschiebungen und Pannen
Stefan Troendle: Was hat die NASA auf der Pressekonferenz bekanntgegeben? Startet der bemannte Starliner-Flug bald?
Uwe Gradwohl: Ein paar Monate gibt es wieder Verschiebung. Der Starliner soll im März 2024 bereit sein für den Flug. Wann er dann tatsächlich fliegt, hängt noch ein bisschen ab vom Verkehrsaufkommen Richtung ISS. Da muss man immer einen entsprechenden Slot finden, zu dem man auch starten und dort andocken kann. Also in den Wochen nach März 2024 soll es dann wohl losgehen.
Stefan Troendle: Es wird wieder verschoben. Die wievielte Verschiebung war das jetzt?
Uwe Gradwohl: Es gab schon einige Verschiebungen. Ich gehe das jetzt mal schnell durch. 2019, da sollte der Starliner zum allerersten Mal zur ISS fliegen. Da gab es keine Verschiebung, aber man kam nie bei der ISS an, weil der Sprit zu früh verbraucht wurde vom Raumschiff. Die Software hat die Triebwerke falsch gesteuert. Der Starliner musste nach zwei Tagen unverrichteter Dinge wieder zur Erdoberfläche zurückkehren.
Dann hat man einen zweiten Anflug versuchen wollen. Der wurde auf den Sankt Nimmerleinstag verschoben. Der fand dann nie statt. Der Starliner stand schon auf dem Startplatz, aber kurz vor dem Start hat man festgestellt, dass Treibstoffventile klemmen, weil sie in der feuchten Luft Floridas korrodiert waren. Also zurück in die Werkstatt.
Und dann gab es tatsächlich vor knapp einem Jahr den ersten erfolgreichen Flug zur ISS, aber eben noch ohne Besatzung. Und jetzt hätte man im Sommer mit Besatzung diesen Qualifikationsflug durchführen sollen, damit man eben diese Lizenz bekommt, auch Astronauten zur ISS transportieren zu dürfen. Und der ist jetzt wieder verschoben. Es ist es schon eine lange Serie von Pannen und Verschiebungen.
Start frühstens im März 2024
Stefan Troendle: Es war ja immer wieder die Rede von technischen Problemen. Worum geht es da? Sind die jetzt behoben?
Uwe Gradwohl: Ich habe schon angedeutet, beim Erstflug waren es Software-Probleme, die mittlerweile tatsächlich behoben sind. Das hat man gestern bei der Pressekonferenz auch noch mal so bestätigt, da gibt es keine Probleme mehr.
Was jetzt eben aufgetaucht ist in den letzten Wochen, war, dass man ein neues Rechenmodell hatte, um die Last in den Fallschirmleinen zu berechnen. Und da hat man festgestellt, dass wenn einer der drei Fallschirme nicht aufgeht, die Last auf den anderen beiden Fallschirmen so hoch sein kann, dass die Befestigungssysteme, die sogenannten "Softlinks" in diesen Fallschirmleinen, dann vielleicht doch nicht halten. Und deshalb will man dann noch mal nachbessern.
Man muss dann diese Fallschirme noch mal testen mit einem Abwurf-Test der Kapsel aus mehreren Kilometern Höhe. Dann schaut man, wie die Fallschirme da aufgehen. Sowas zu machen, ist aufwendig und kann erst im November wieder stattfinden. Von daher kommt man gleich zu ein paar Monaten Verzug.
Und das zweite technische Problem ist mit Klebeband. Also man hat die ganzen elektrischen Kabel in dieser Kapsel mit Klebeband ummantelt und zusammengefasst zu Bündeln. Und es hat sich herausgestellt, dieses Klebeband kann entgegen der ursprünglichen Erwartungen brennen. Es ist brennbar. Das stand in einer Datenbank als verwendbares Material drin und es war aber nicht eindeutig gekennzeichnet, ob es für diesen Zweck, für den es jetzt eingesetzt wurde, auch eingesetzt werden darf.
Jetzt hat sich herausgestellt: Nein, darf es nicht. Also kilometerweise Klebeband muss wieder raus. Das ist zum Glück nicht ganz so fitzelig, weil sich das Klebeband auf den Teflon-beschichteten Leitungen ganz gut wieder ablösen lässt. Aber dauert eben. Von daher kommt man zu mehreren Monaten Verzögerung. Und deshalb denke ich eben auch die Entscheidung: Wir starten frühestens im Frühjahr 2024.
NASA hält an Projekt fest
Stefan Troendle: Kann es denn sein, dass wegen dieser ganzen Probleme das Aus im Raum steht für den Starliner?
Uwe Gradwohl: Nein, das eher nicht. Tatsächlich ist es so, dass die NASA sehr großen Wert darauf legt, dass sie mindestens zwei unterschiedliche Raumschifftypen zur Verfügung hat, um zur ISS zu fliegen. Denn man hat noch sehr wohl in Erinnerung, dass es lange Jahre gab, in denen hatte man kein einziges Raumschiff. Da waren die Shuttle gegroundet, die waren am Boden, konnten nicht benutzt werden wegen technischer Bedenken. Und sie waren eben sehr aufwendig in der Pflege und auch nicht so sicher. Und dann musste man sich bei der russischen Raumfahrt einbuchen und dort Sitzplätze kaufen.
Und damals, als diese Phase begann, hat man schon beschlossen man möchte kommerzielle Unternehmen dazu anhalten, verschiedene Raumschifftypen zu entwickeln. Zwei sind dabei rausgekommen: SpaceX mit dem Crew Dragon und Boeing, mit dem Starliner. Und Crew Dragon fleigt, Starliner noch nicht. Und man möchte unbedingt, dass der fliegt, um eben die Auswahl zu haben, falls eines der beiden Systeme ausfällt.
Noch kein Gewinn für Boeing
Stefan Troendle: Wie viel kostet der Starliner inzwischen? Wurde das Budget nicht brutal überschritten?
Uwe Gradwohl: Ist es auch inzwischen. Also bei SpaceX nicht. Die sind einigermaßen im Zeitplan und im Budgetplan geblieben. Boeing dagegen hat - wie auch SpaceX - einen Festpreis mit der NASA vereinbart. Das ist der Vorteil, den die NASA aus diesem ganzen Verfahren hat. Die konnte eben Festpreise mit den Firmen vereinbaren und sagen: Wir geben euch, Boeing in diesem Fall, 5 Milliarden Dollar. Dafür entwickelt ihr das bitte und macht dann auch die ersten Flüge, die wir fest verabreden. Das ist alles in dem Budget mit drin. Und damit sind wir raus aus der Finanzierungsfrage.
Für Boeing endet das jetzt damit, dass die 5 Milliarden Dollar eben nicht reichen, sondern wenn man das alles zusammenrechnet, kommt man schon deutlich über 6 Milliarden, die da bislang investiert wurden. Das bedeutet für Boeing ist es im Moment ein defizitäres Geschäft, und ob sie jemals Gewinn machen werden, ist eben auch noch offen.
SpaceX-Erfolg für Musk
Stefan Troendle: Wie sieht es bei SpaceX aus? Was macht die Konkurrenz von Elon Musk besser?
Uwe Gradwohl: In jedem Fall hat er tatsächlich, muss man sagen, ein sehr fähiges Team bei SpaceX. Die haben schon wirklich technische Durchbrüche erzielt, wo die Konkurrenz staunte und jetzt eben hinterher entwickeln muss. Stichwort: wiederverwendbare Raketen, die auf ihrem Startplatz aufrecht wieder landen oder auf einer Plattform im Meer. Klang früher alles sehr Science-Fiction-mäßig. Mittlerweile ist es Standard.
Und SpaceX verdient eben auch mit diesen Flügen zur ISS Geld. Ein Ticket kostet so 50 bis 60 Millionen Dollar. Wenn man es durchzählt, es wurden jetzt schon 42 Personen hingeflogen. Beziehungsweise es werden demnächst Personen 39 bis 42 fliegen. Ende August fliegt wieder ein SpaceX-Flug. 40 multipliziert mit 50 Millionen sind 2 Milliarden Dollar, die Musk damit an Umsatz erzielt hat. Also er könnte mit diesem Geschäft mittlerweile durchaus in der Gewinnzone sein. Und das ist eben das, was Boeing noch fehlt.