Die PIAAC-Studie untersucht Lese-, Rechen- und Problemlösefähigkeiten Erwachsener. Deutschland liegt im Mittelfeld, doch die Lesefähigkeit sinkt, während die Bildungsungleichheit wächst.
Am 10. Dezember wurde die neue PIAAC-Studie (Programme for the International Assessment of Adult Competencies) vorgestellt. Dieses „PISA für Erwachsene“ untersucht die Lese-, Rechen- und Problemlösefähigkeiten von Menschen im Alter zwischen 16 und 65 Jahren.
Zusammengenommen bilden diese Fähigkeiten nicht nur die Grundlage für die persönliche und berufliche Entwicklung, sondern auch für die Bewältigung der komplexen Anforderungen des modernen Lebens - so die OECD, die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, die diese Studie im Jahr 2022 und 2023 durchgeführt hat.
Rund 160.000 Personen aus 31 Ländern nahmen teil. Die Ergebnisse zeigen, wie sich grundlegende Kompetenzen Erwachsener in Deutschland entwickelt haben und wie diese im internationalen Vergleich abschneiden.
Deutschland landet in der PIAAC-Studie im guten Mittelfeld
Besonders gut schnitten Finnland, Japan, Schweden, Norwegen, die Niederlande und Estland ab. Länder wie Israel, Litauen, Polen, Portugal und Chile landeten am unteren Ende der Rangliste.
Deutschland belegt laut Andreas Schleicher, Bildungsdirektor der OECD, einen Platz im guten Mittelfeld. Doch auch hierzulande gibt es besorgniserregende Entwicklungen. Der Anteil der Erwachsenen mit sehr schwachen Leseleistungen sei weiter gestiegen. Jede und jeder Fünfte habe Schwierigkeiten mit einfachen Aufgaben wie der folgenden: In einer Kita werden die Eltern auf einem Aushang gebeten, ihre Kinder bis spätestens 10:00 Uhr zu bringen. Die Frage lautet: Bis wann sollten die Kinder spätestens eintreffen?
„Also da muss man im Grunde nicht mehr tun, als aus einer einfachen Liste Informationen zu extrahieren. Und da sehen wir, dass dann ein großer Teil der Erwachsenen mit solchen Aufgaben wirklich Schwierigkeiten hatten.“, erklärt Andreas Schleicher.
Rückläufige Lesekompetenzen und wachsende Bildungsungleichheit
Die Ergebnisse der Studie zeigen jedoch auch, dass die Lesefähigkeiten der Erwachsenen in nahezu allen Ländern zurückgegangen sind. Nur in Finnland und Dänemark gab es eine Verbesserung.
Gleichzeitig nimmt die Bildungsungleichheit in Deutschland zu. Dabei vergrößert sich der Abstand zwischen den Leistungsstärksten und Leistungsschwächsten Erwachsenen in Deutschland weiter. Dieses Bild ist bereits aus den PISA-Jugendstudien bekannt und setzt sich im Erwachsenenalter offenbar fort.
Schleicher vergleicht die Situation mit anderen Ländern wie den USA, Singapur, Neuseeland und Israel: „Das sind also die fünf Länder, wo man sagen muss, der Leistungsabstand in der Bevölkerung ist am größten. Ein Teil davon erklärt sich durch soziales Gefälle. Ein Teil durch andere Faktoren. Aber insgesamt sind das die Länder mit den größten Herausforderungen.“
Mathematik: Lichtblick mit Herausforderungen
Bei mathematischen Kompetenzen schneiden deutsche Erwachsene allerdings etwas besser ab als bei der Lesekompetenz. Besonders die ältere Generation (55 bis 64 Jahre) erreicht ein hohes Leistungsniveau. Die jüngeren Erwachsenen liegen dagegen nur noch knapp über dem Durchschnitt.
„Also da muss man sagen, das insgesamt recht gute Ergebnis für Deutschland erklärt sich weitgehend mit den sehr guten Leistungen der älteren Gruppe“, erklärt der Bildungsforscher.
Das ist ein Befund, der Hoffnung machen kann, denn - so Schleicher - was uns heute an mathematischem Wissen abverlangt wird, ist schließlich auch deutlich mehr als noch vor zehn Jahren.
Erfolgsmodelle: Was Deutschland von anderen Ländern lernen kann
Es gehe auch anders, betont Schleicher. Finnland und Singapur zeigen, dass eine Trendumkehr möglich ist. Besonders Finnland beeindruckt mit einem Bildungssystem, das konstant Spitzenleistungen hervorbringt. „In Finnland hat jemand mit Schulabschluss ein ähnliches Kompetenzniveau wie in Deutschland jemand mit Universitätsabschluss.”, so Schleicher.
Die Leistungen der finnischen Schüler seien sogar noch deutlich besser als die Leistungen der Hochschulabsolventen in anderen Ländern. Qualifikationen sind also nicht mit Kompetenzen gleich zu setzen
Kompetenzen bringen Vorteile am Arbeitsmarkt
Ein zentrales Ergebnis der Studie ist der Zusammenhang zwischen Kompetenzen und Arbeitsmarkterfolg. Heute reagiert der Arbeitsmarkt deutlich stärker auf individuelle Fähigkeiten. Das bedeutet, Menschen mit guten mathematischen Kompetenzen und hohem Bildungsstand haben bessere Job- und Einkommenschancen als vor zehn Jahren. Umgekehrt verschlechtern sich die Perspektiven für gering qualifizierte Personen. All das sind gute Argumente, weiter und deutlich stärker in Bildung zu investieren.
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