Ein Stuttgarter Forschungsteam füttert Insektenlarven mit Biomüll. Die Insekten verarbeiten den Müll innerhalb von nur einer Woche zu hochwertigen Rohstoffen.
Stuttgarter Institut betreibt Bioraffinerie mit Insektenlarven
Zehntausende kleine Larven tummeln sich in einem Turm aus blauen Plastikboxen in der Bioraffinerie am Fraunhofer Institut für Grenzflächen und Bioverfahrenstechnik in Stuttgart.
Im Zentrum steht das Insekt Hermetia illucens. Das ist die Schwarze Soldatenfliege, deren Larve relativ viel Bioabfall verwerten kann. Gefüttert werden die Larven etwa mit Kantinenabfällen, die normalerweise in einer Biogasanlage landen würden.
Das Potenzial dieser Abfälle ist groß, wie der Insektenzüchter Konstantin Katz erklärt: "Die Natur kennt ja keinen Abfall. Und da gibt es in jeder Nische irgendein Tier, das sich auf irgendeine Nahrung spezialisiert hat."
Insektenlarven verarbeiten auch Fleisch
Die Larven fressen den Biomüll und werden anschließend weiterverarbeitet. Es ist eine nachhaltige Methode, um Rohstoffe zu gewinnen, die sonst aus Erdöl bestehen. Dabei werden verschiedene Abfälle verwendet, erklärt Susanne Zibek, die wissenschaftliche Leiterin des Projekts: "Wir haben zum einen die Biotonne aus den Haushalten. Wir haben zusätzlich die Abfälle aus der Gastronomie und aus Kantinen, die nicht verwertet werden können und im Prinzip auch die Lebensmittelrückläufe, die verdorben sind."
Das Besondere: Die Larven bekommen auch Fleisch zu fressen. Das ist in der EU eigentlich verboten, da die Larven als Nutztiere gelten. Bei Abfällen ist das jedoch ein Problem, denn Kantinenabfälle können nicht gut separiert werden. Daher hat das Forschungsteam eine Ausnahmegenehmigung zum Füttern tierischer Nebenprodukte bekommen.
Aus den vollgefressenen Insektenlarven werden nachhaltige Rohstoffe
Zusammen mit den Bioabfällen werden die Insektenlarven in Boxen auf dem Dach des Instituts untergebracht. Nach einer Woche haben sich die Larven durch die Kantinenabfälle gefressen. Von den Essensresten ist kaum etwas übrig. Dafür hat sich aber das Gewicht der Larven verzehnfacht.
Anschließend werden die Larven abgetötet, getrocknet und weiterverarbeitet. Dabei entsteht Fett, ähnlich wie bei einer Ölpresse. Aus der Restmasse wird Protein gewonnen, aus dem später Klebstoffe entstehen können.
Insektenlarven werden zu Seife und Shampoo weiterverarbeitet
Das Fett verwendet das Forschungsteam weiter, um Reinigungsmittel und Seifen herzustellen - dafür braucht es sogenannte Tenside, erklärt Sabrina Rechtsteiner, Doktorandin an der Uni Stuttgart: "Für herkömmliche Tenside werden fossile Rohstoffe verwendet oder auch nachwachsende Rohstoffe wie Palmöl oder Kokosöl. Wir erforschen nachhaltige Alternativen zu diesen Tensiden."
Manche Tenside haben eine eher schäumende Wirkung, was sie sehr geeignet für zum Beispiel Shampoos macht. Wieder andere haben eine besonders gute Wirkung als Emulgator und können daher gut in Nahrungsmitteln oder Kosmetika eingesetzt werden.
Chitin der Insekten hat Nutzen für die Medizin
Die Vision der Forschenden ist es, alles aus der Larvenzucht zu verwerten, selbst die Ausscheidungen und den Insektenpanzer, der aus sogenanntem Chitin besteht.
"Das Chitin hat sehr vielfältige Eigenschaften", erklärt der Chemiker Thomas Hahn. Es werde zum Beispiel in der Lebensmittelindustrie als Fettbinder eingesetzt. Und es komme auch in der Textilindustrie und der Medizin zum Einsatz.
Insekten-Bioraffinerie: Der Weg in eine nachhaltige Zukunft
Noch funktioniert das Ganze aber nur im Pilotmaßstab von einigen hundert Kilogramm. Doch wenn der Plan des Forschungsteams aufgeht, könnte in Zukunft deutlich mehr ungenutzter Biomüll von Larven gefressen werden - und weniger nachhaltige Rohstoffe ersetzen.
Die Hoffnung sei, mehr Nachhaltigkeit in den Bereich der Tenside, Schmierstoffe, Kraftstoffe und auch Klebstoffe zu bringen, erläutert Zibek.
So könnten Insektenlarven zu einem möglichen Puzzleteil auf dem Weg in eine nachhaltigere Zukunft werden.