Canstatter Wasen, Oktoberfest – Alkohol gilt als Teil unseres Kulturguts. Es ist jedoch auch ein Zellgift. In Deutschland gehen jährlich über 20.000 Krebsneuerkrankungen und mehr als 8.000 Krebstodesfälle auf das Konto des Alkohols.
SWR2 Impuls Redakteur Martin Gramlich sprach mit Gerd Nettekoven, dem Vorstand der Stiftung Deutsche Krebshilfe.
Martin Gramlich: "Ein Gläschen in Ehren kann niemand verwehren," und "Auf einem Bein kann man nicht stehen." Das sind bekannte Sprüche zum Thema Alkohol. Die Botschaft dahinter ist ein bisschen: „Na so schlimm wird es schon nicht sein mit dem Alkohol.“
Ganz anders sehen das aber Fachleute zur Krebsbekämpfung. Für die gemeinsame nationale Krebspräventionswoche, die Mitte September 2022 stattfand, haben die Deutsche Krebsgesellschaft, das Deutsche Krebsforschungszentrum und die Deutsche Krebshilfe einen Alkoholatlas herausgegeben. Und sie warnen darin vor Alkohol als Risikofaktor für Krebserkrankungen.
Gerd Nettekoven ist Vorstandsvorsitzender der Deutschen Krebshilfe. Dabei handelt es sich um eine gemeinnützige Organisation, die es sich zum Ziel gemacht hat, Krebskrankheiten in all ihren Erscheinungsformen zu bekämpfen.
Welche Rolle spielt Alkohol als Risikofaktor bei Krebs?
Gerd Nettekoven: Alkohol ist verantwortlich für insgesamt 20.000 Krebsneuerkrankungen pro Jahr und für 8.000 Krebstodesfälle. Das ist eine Zahl, die deutlich macht, dass hier ein erhebliches Risikopotenzial vorliegt. Man muss das natürlich immer im Gesamtzusammenhang sehen. Das Thema Alkohol ist im Rahmen unseres gesamten Krebs betreffenden Präventionsfeldes wichtig.
Experten gehen davon aus, dass insgesamt 40 Prozent aller Krebsneuerkrankungen durch eine gesunde Lebensweise vermeidbar wären. Und wenn man dann mal zugrunde legt, dass wir in Deutschland insgesamt 510.000 Neuerkrankungen haben, dann ist der Faktor gesundheitsbewusstes Verhalten schon extrem wichtig. Und Alkohol spielt in der Tat auch hier eine Rolle.
Welchen Arten von Krebs kann Alkohol in besonderem Maß auslösen? Für was ist er besonders gefährlich?
Gerd Nettekoven: Alkoholbedingter Krebs betrifft vor allem die Organe des Verdauungstraktes, also Speiseröhre, Darm, aber auch die Leber und die weibliche Brust und auch den Mund-Rachenbereich und Kehlkopfkrebs und möglicherweise sogar Magen und Bauchspeicheldrüse, hier ist die wissenschaftliche Datenlage aber derzeit noch nicht so gut. Also: zahlreiche Krebserkrankungen können alkoholbedingt entstehen.
Von welchen Alkoholmengen sprechen wir da, die das Krebsrisiko erhöhen? Geht das beim ersten Bier los, beim ersten Glas Wein? Oder ist das etwas, was bei größeren Mengen relevant wird oder eben das Risiko deutlich steigert?
Gerd Nettekoven: Das ist wirklich eine spannende und auch gute Frage. Also man muss zunächst mal festhalten: Alkohol ist in jeder Menge krebserzeugend. Einen gänzlich risikofreien Konsum gibt es nicht. Das Erkrankungsrisiko steigt aber mit einer zunehmenden Alkoholmenge:
Als risikoarmer Konsum gilt für Männer 24 Gramm Reinalkohol pro Tag. Das sind ein Glas Bier, 0,3 Liter oder ein kleines Glas Wein. Für Frauen gilt die Hälfte. Und das Ganze aber dann auch bei zwei bis drei alkoholfreien Tagen in der Woche. Also das gilt als risikoarmer Konsum. Wir als Deutsche Krebshilfe empfehlen natürlich dennoch auf Alkohol weitgehend zu verzichten.
Es heißt ja manchmal auch, dass mäßiger Konsum von Alkohol sogar positive Effekte haben könnte, speziell was zum Beispiel Gefäße anbelangt. Aber sie sagen, da ist zumindest mit Blick auf das Krebsrisiko tatsächlich eher null Alkoholstrategie anzuraten?
Gerd Nettekoven: Ja, wir müssen natürlich im Blick haben, dass Alkohol ein Kulturgut ist. Ich hatte gerade die Mengen genannt. So weit würden wir auch als Deutsche Krebshilfe nicht gehen, dass wir hier zu Verboten greifen. Natürlich empfehlen wir komplette Enthaltsamkeit. Aber so weit würden wir nicht gehen.
Was uns schon beunruhigt, ist der übermäßige Alkohol in unserer Gesellschaft, der Missbrauch von Alkohol. Und das sind natürlich schon auch Alarmsignale für uns, bei denen wir dann vor dem Hintergrund der Zahlen, die evidenzbasiert und wissenschaftlich bewiesen sind, als Deutsche Krebshilfe dann natürlich auch entsprechend agieren müssen. Und daher haben wir auch im Rahmen der Krebspräventionswoche das Thema Alkohol in den Fokus gerückt.
Was sind aus Sicht der Krebshilfe, aber auch aus Sicht der anderen Gesellschaften, der Deutschen Krebsgesellschaft oder dem Deutschen Krebsforschungszentrum, wirkungsvolle Maßnahmen, um dieses doch präsente Bild von Alkohol oder auch den Stellenwert von Alkohol in der Gesellschaft etwas einzudämmen?
Gerd Nettekoven: Ja, wir haben uns ja auch schon für Steuererhöhungen ausgesprochen. Wir haben uns für ein Werbeverbot ausgesprochen, und wir haben uns auch dafür ausgesprochen eine Erhöhung des Abgabealters für Alkohol auf 18 Jahre durchzuführen. Steuererhöhungen sollten sich spürbar auf die Preise auswirken und regelmäßig wiederholt werden.
Das sind Erfahrungen, die gemacht worden sind, beispielsweise auch beim Tabak: Ein Preisanstieg von zehn Prozent, das wissen wir, kann den Konsum um sechs Prozent reduzieren. Daher sehen wir dies schon als sinnvolle Maßnahme an.
Das gilt auch für die Werbung. Mehrere Studien haben gezeigt, dass gezielte Werbung mit einem höheren Alkoholkonsum im Zusammenhang steht. Und mit einer Erhöhung des Abgabealters auf 18 Jahre soll erreicht werden, dass junge Menschen erst später das erste Mal Alkohol konsumieren.
Denn, das wissen wir ja auch, je früher Jugendliche ihr erstes alkoholisches Getränk zu sich nehmen, das ist im Grunde genommen auch analog zum Tabak, umso größer ist natürlich auch das Risiko, hier abhängig zu werden. Das wollen wir mit diesen Maßnahmen, die natürlich auch nur die Politik letztendlich erwirken kann, erreichen.
Wie sieht es aus, mit dem Punkt öffentliche Aufklärung: Wissen die Leute genug Bescheid, wie gefährlich Alkohol ist, gerade im Hinblick auch auf Krebserkrankungen?
Gerd Nettekoven: Alkohol ist eine Droge, die abhängig machen kann, das wissen, glaube ich, die meisten Menschen. Und auch das Alkohol die Leber schädigt ist, denke ich, hinlänglich bekannt.
Dass Alkohol aber über 200 Krankheiten verursachen kann, darunter jetzt nicht nur Krebs, das ist noch nicht allen bekannt. Und das ist auch der Grund, warum wir das Thema Alkohol zu einem Thema der diesjährigen Krebspräventionswoche gemacht haben, um die Menschen für dieses Thema zu sensibilisieren. Wir wollen das Bewusstsein in der Bevölkerung und in der Gesellschaft schärfen und auch zum Nachdenken anzuregen.