Kinder entwickeln bei einer Coronainfektion meist nur schwache Symptome und stecken sich auch seltener an. Wie ansteckend sie selbst sind, konnten die Wissenschaftler bisher nicht klären.
In Deutschland sind seit Beginn der Pandemie etwa 8800 Menschen an Covid-19 gestorben, davon waren nur drei unter 18 Jahre alt.
Damit unterscheidet sich die Altersverteilung bei Covid-19 von anderen Infektionskrankheiten. Dort gelten Kinder zum Teil als sogenannte „Treiber“ der Infektion, sie verbreiten das Virus also in der Bevölkerung.
Medizin Kinder sind wahrscheinlich keine Treiber beim Corona-Infektionsgeschehen
In Stuttgart wurden jetzt die vorläufigen Ergebnisse der baden-württembergischen Kinderstudie vorgestellt. Demnach sind Kinder seltener mit dem Coronavirus infiziert als ihre Eltern.
Studie in Baden-Württemberg untersucht Rolle der Kinder bei Corona-Pandemie
Im aktuellen Infektionsgeschehen des Coronavirus Sars-CoV-2 spielen Kinder diese Rolle nicht – zumindest nicht in Baden-Württemberg. Das ist das Ergebnis einer großangelegten Studie, die die Landesregierung von Baden-Württemberg in Auftrag gegeben hatte. Vier Unikliniken im Land hatten sich dafür zusammengeschlossen und rund 2500 Kinder unter 11 Jahren mit je einem Elternteil untersucht.
Mit einem Abstrichtest wurde kontrolliert, ob Eltern und Kinder akut mit dem Coronavirus Sars-CoV-2 infiziert waren.
Mehr Erwachsene als Kinder von Corona-Infektion betroffen
Das war nur bei zwei von den insgesamt fast 5000 Studienteilnehmern der Fall: Ein Kind und das zugehörige Elternteil waren infiziert, beide berichteten nur von leichten Symptomen.
Außerdem wurde das Blut der Kinder und Erwachsenen auf Antikörper untersucht. So wollten die Forscher herausfinden, ob sie schon in der Vergangenheit eine Infektion durchlebt hatten – vielleicht sogar ohne es zu merken.
Bei 64 Teilnehmerinnen und Teilnehmern konnten Antikörper auf das Coronavirus nachgewiesen werden: Bei 45 Eltern und 19 Kinder. Die Forscher schließen daraus, dass in Baden-Württemberg mehr Erwachsene von einer Corona-Infektion betroffen waren als Kinder.
Kitas und Grundschulen in BW sollen wieder öffnen
Beim Infektionsgeschehen in den letzten Monaten hätten Kinder also eine untergeordnete Rolle gespielt – da sie selber nicht erkrankt waren, konnten sie auch niemanden anstecken.
Damit liefert die Studie eine Situationsbeschreibung der bisherigen Pandemie in Baden-Württemberg. Die Landesregierung zog daraus den Schluss, dass Kinder nicht stärker als andere Bevölkerungsgruppen eingeschränkt werden müssen, um die Ausbreitung des Virus zu verhindern und beschloss, die Kitas im Land wieder zu öffnen.
Eine Frage wird mit dieser Studie jedoch nicht beantwortet: Ob infizierte Kinder genauso ansteckend sind wie infizierte Erwachsene, ob sie das Virus also genauso leicht weitergeben, bleibt offen.
Geringe Fallzahlen bei Kindern auch durch wenige soziale Kontakte erklärbar
Denn durch die frühen Schul- und Kitaschließungen zu Beginn der Pandemie hatten viele Kinder kaum noch Kontakte außerhalb der Familie und damit kaum Gelegenheiten, sich mit dem Virus zu infizieren. Die geringen Fallzahlen von Kindern, die die Infektion in der Studie aus BW bereits durchgemacht haben, könnten damit zusammenhängen.
Die Frage, ob sich Kinder genauso leicht anstecken wie Erwachsene und ob sie das Virus dann auch genauso weitergeben, ist wissenschaftlich noch nicht endgültig geklärt.
Der Virologe Christian Drosten von der Charité in Berlin hatte in einer vieldiskutierte Studie gezeigt, dass Kinder genausoviele Viren im Rachen aufweisen wie Erwachsene. Zu diesem Ergebnis kamen auch andere, internationale Studien.
Virologie Corona-Studie: Kinder offenbar genauso infektiös wie Erwachsene
Untersuchungen von Rachenabstrichen ergaben, dass Kinder das neue Coronavirus wohl genauso leicht übertragen können wie Erwachsene.
Fachverbände fordern baldige Öffnung von Kitas und Schulen
Jedoch ist die reine Anwesenheit von Viren in den Atemwegen noch kein Nachweis, dass diese auch genauso stark weitergegeben werden. Da Kinder weniger Symptome haben, also beispielsweise weniger husten, könnte es sein, dass sie zwar infiziert sind, aber weniger Menschen anstecken. Das erklärten Kinderärzte und Fachärzte für Hygiene in einer Stellungnahme von vier Fachgesellschaften. Auch sie plädierten für eine schnelle Öffnung von Schulen und Kitas, wenn Hygienestandards und Abstandsregeln eigehalten werden.
Viele Fragen zur Rolle der Kinder bei der Verbreitung der Pandemie bleiben offen
Ob Kinder also durch die frühen Schul- und Kitaschließungen einfach besonders gut vor einer Infektion geschützt waren und ob sie auch in Zukunft eine untergeordnete Rolle bei der Verbreitung des Virus spielen werden, ist wissenschaftlich nicht endgültig geklärt. Auch die Studie aus Baden-Württemberg kann diese Fragen nicht beantworten.
Experten schauen daher mit großem Interesse auf repräsentative Studien, zum Beispiel aus Schweden. Dort wurden in der Pandemie die Schulen nicht komplett geschlossen und erste Ergebnisse mit Antikörpertests zeigen, dass hier Kinder nicht seltener eine Infektion durchlebt haben als Erwachsene. Ob sie das Virus aber auch genauso viel weitergegeben haben, kann man aus diesen Ergebnissen nicht ableiten.
Ältere Studien zu Kindern mit Corona sind nach Expertenmeinung nicht valide
Zitiert wird zum einen oft eine isländische Studie, die im Fachjournal „New England Journal of Medicine veröffentlich wurde. Sie verbreitete die Hoffnung, dass Kinder bei der Verbreitung von Sars-CoV-2 keine wichtige Rolle spielen würden. Die Validität der Studie wird jedoch von deutschen Virologen angezweifelt, da zum Beispiel nur freiwillige Teilnehmer dazu interviewt wurden, die wiederum nur einen kleinen Teil der Bevölkerung widerspiegeln.
Zum anderen wird häufig auf eine chinesische Kontaktstudie verwiesen, die die sogenannte „Attack Rate“ untersucht hat: Aso die Zahl der Personen, die dem Virus ausgesetzt waren und sich daraufhin tatsächlich infiziert haben. Getestet wurden etwa 400 Infizierte und fast 1300 Kontaktpersonen. Die Wissenschaftler zogen das Fazit, dass Kinder sich genauso häufig infizierten wie Erwachsene. Demnach hätten Kinder und Erwachsene das gleiche Corona-Risiko. Doch auch hier sind die Datenquellen nicht eindeutig und auch nicht unbedingt auf Deutschland übertragbar. Daher lässt sich ihre Aussagekraft nur schätzen.
Kinder entwickeln in der Regel nur milde Symptome nach einer Ansteckung
Wenn Kinder an Covid-19 erkranken, entwickeln sie oft nur milde Symptome wie ein bisschen Husten, Schnupfen und manchmal Durchfall. Selbst Fieber bekommen weniger als die Hälfte der betroffenen Kinder. Allerdings haben auch Kinder Entzündungsanzeichen in der Lunge.
Vermutungen, warum Covid-19 bei Kindern oft milde verläuft
Weshalb Kinder bei einer Infektion mit dem neuartigen Corona-Virus oft keine oder nur schwache Symptome entwickeln, ist bisher nicht klar. Es gibt noch keine Studien, warum Kinder und junge Erwachsene so häufig von Covid-19 verschont bleiben, nur Vermutungen.
Kinder haben offenbar eine stärkere unspezifische Abwehr
Eine mögliche Erklärung ist, dass das angeborene, unspezifische Immunsystem bei Kindern den neuen Coronavirus effizienter abwehrt als das bereits trainierte Immunsystem der Erwachsenen. Da das kindliche Immunsystem wenig Erfahrung mit gängigen Erregern hat, konnte es noch keine spezifischen Antikörper gegen sie ausbilden. Um das auszugleichen, ist die unspezifische Abwehr der Kinder stärker.
Das ist ein klarer Vorteil gegen ein neues Virus wie SARS-CoV-2. Eine starke allgemeine Reaktion gegen Erreger kann das neue Coronavirus offenbar besser in Schach halten, als die Immunabwehr von Erwachsenen, die sich bereits auf bestimmte Erreger zugespitzt hat.
Kinder sind möglicherweise weniger anfällig für bestimmte Viren
Der britische Infektiologe Dr. Andrew Freedman von der britischen Cardiff University erklärt, dass es auch andere Virusinfektionen gibt, bei denen Kinder keine oder nur ganz leichte Symptome zeigen. Zum Beispiel die Epstein-Barr-Virusinfektion, die bei Älteren das Pfeiffersche Drüsenfieber verursacht. Warum ist bis heute nicht geklärt.
Eine weitere These lautet, dass das Virus an spezielle Rezeptoren andocken muss. Genau das scheint es aber bei Kindern nicht oder nicht besonders gut zu schaffen.
Professor Reinhard Berner, Leiter der Pädiatrischen Infektiologie am Uniklinikum Dresden, meint, dass diese Rezeptoren bei Kindern und jungen Erwachsenen möglicherweise einfach noch nicht so weit entwickelt sind. Deshalb könne sich das Virus in den meisten Kindern gar nicht erst richtig festsetzen und Entzündungsreaktionen auslösen.
All das sind aber nur Spekulationen.
Corona - Bisher wenige dramatische Verläufe bei Kindern
Dass Kinder durch das neuartige Corona-Virus weniger gefährdet sind, zeigt die bisherige Entwicklung. Sie stecken sich offenbar ähnlich häufig an wie Erwachsene, werden aber nicht krank. Der Dresdner Infektiologe Berner beschreibt, dass Kinder unter 10 Jahren, die mit dem Corona-Virus infiziert sind, meist gar keine Symptome zeigten. Und bis ins junge Erwachsenenalter – also bis Anfang 20 - sind in der Regel mildere Verläufe der Lungenkrankheit bekannt.
Doch gefeit sind auch Kinder und Jugendliche nicht gegen Covid-19. Auch sie können einen schweren Verlauf der Krankheit Covid-19 haben und müssen dann intensivmedizinisch behandelt werden. Und es ist auch schon zu Todesfällen gekommen. Es gibt allerdings keine Statistik, die weltweit aufschlüsselt, wie viele Kinder bereits an Covid-19 gestorben sind.