Aufmerksamkeit ist keine endlose Ressource: Wir werden von anderen Personen unterbrochen oder von den eigenen Gedanken, werden abgelenkt durch Unerledigtes oder äußere Reize. Das haben spätestens nach dem "Großexperiment Homeoffice" viele Menschen erfahren.
Konzentration verbraucht viele kognitive Ressourcen
Warum können wir unsere Aufmerksamkeit bei einer bestimmten Sache nicht über längere Zeit auf einem hohen Niveau halten? Die einfache Antwort lautet: Weil es viele kognitive Ressourcen verbraucht. Ein Zustand von dauerhafter Konzentration sei für den Organismus schlicht zu anstrengend, erklärt Sabine Kastner, Neurowissenschaftlerin an der Princeton University.
Handy in Sicht: Bedeutet das Smartphone im Blickfeld immer eine Ablenkung?
Niklas Johannes ist Verhaltensforscher an der Universität Oxford. Am Oxford Internet Institute erforscht er, wie digitale Medien das Wohlbefinden und die Leistungsfähigkeit beeinflussen. Bis vor einigen Jahren war er selbst davon überzeugt, dass Menschen unkonzentrierter sind, wenn ihr Handy im Blickfeld liegt. Bis er genau diese Annahme in einem Experiment untersuchte.
In seinem Versuch sollten die Teilnehmenden eine einfache Aufgabe am Computer erledigen, je nach Probandengruppe lag das Handy in Sichtweite. Die Benachrichtigungen waren entweder an oder ausgeschaltet. Die drei Gruppen unterschieden sich nicht in ihrer Leistung. Trotzdem berichteten die Teilnehmenden, bei denen das Handy auf dem Tisch lag, dass sie sich abgelenkt fühlten.
Das Smartphone lenkt vor allem ab, wenn Arbeit keinen Spaß macht
Das Smartphone lenke vor allem dann ab, wenn einem die Arbeit wenig Spaß mache, erklärt Niklas Johannes. Ist der Griff zum Handy erst einmal erfolgt, scheint alles auf eine kurze Aufmerksamkeitsspanne maßgeschneidert zu sein: Die Inhalte werden immer kürzer und dadurch schneller konsumierbar. Die Tagesschau gibt es auch in 100 Sekunden. Tweets in 280 Zeichen und TikToks in drei Minuten.
Viele Unterbrechungen der Aufmerksamkeit kosten Extrazeit
Könnte unsere sinkende Aufmerksamkeitsspanne nicht auch daran liegen, dass wir immer häufiger bei der Arbeit unterbrochen werden? Eine Antwort kennt Anja Baethge. Die Arbeits- und Organisationspsychologin lehrt und forscht an der Medical School Hamburg. Sie hat zu täglichen Unterbrechungen während der Arbeitszeit promoviert.
Wenn eine Unterbrechung bearbeitet oder verschoben wurde, könne man sich wieder der ursprünglichen Aufgabe widmen, so Anja Baethge. Doch um in diese wieder hineinzufinden, bräuchte es zusätzliche Zeit, die ohne die Unterbrechung nicht notwendig geworden wäre. Und das ist Zeit, die wir womöglich nicht immer haben. Insbesondere dann, wenn sich die Unterbrechungen häufen.
Befragungen der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin kommen zu dem Ergebnis, dass die Arbeitsintensität von Erwerbstätigen schon seit Jahrzehnten auf einem sehr hohen Niveau ist. Die Befragten berichteten vor allem davon, mehrere Aufgaben gleichzeitig bearbeiten zu müssen oder bei der Arbeit unterbrochen zu werden. Pflegekräfte in der Frühschicht zum Beispiel werden bis zu 60 Mal unterbrochen.
Frustration und Stress hemmen die Konzentration
Das Entscheidende bei Unterbrechungen im Arbeitsleben ist eigentlich, dass die Unterbrechung eine zusätzliche Aufgabe darstellt, die man nicht eingeplant hat, so die Psychologin Anja Baethge. Bei einer Studie mit Beamten kam sie sogar auf insgesamt 2 Stunden Ablenkung pro 8-Stunden-Arbeitstag.
Das hat Auswirkungen auf unsere Aufmerksamkeit, vor allem indirekt: Frustration und Stress hemmen die Konzentration. Im Extremfall sogar den Schlaf. Und der ist essenziell für die Aufmerksamkeitsleistung.
Selbst wenn wir einer Unterbrechung nicht nachgehen, sie also erstmal aufschieben, driften die Gedanken zur unerledigten Aufgabe. In der Psychologie spricht man vom "Zeigarnik-Effekt".
Konzentration hält ohne Pause nicht länger als eine Stunde an
Anja Baethge findet jedoch, dass viele Menschen viel zu überzogene Anforderungen an sich stellen, was ihre Konzentrationsfähigkeit auf Dauer angeht. Eigentlich kann man nicht von sich erwarten, mehr als eine Stunde konzentriert zu arbeiten – ohne Pause sogar eher weniger, so Baethge. Eine Unterbrechung sei dann sogar willkommen. Zu den richtigen Zeitpunkten sind Unterbrechungen also gut. Oder wie Anja Baethge sie nennt: Pausen.
Um der Konzentration im Zweifelsfall unter die Arme zu greifen, rät die Arbeitspsychologie zum guten alten "Bitte nicht Stören"-Schild. Das kann im Homeoffice auch ein Chat-Status oder eine feste Abwesenheitszeit sein, die man mit Kolleginnen und Kollegen vereinbart.
Aufmerksamkeit trainieren durch Achtsamkeit und Spaß
Aufmerksamkeit lässt sich trainieren. Zum Beispiel durch Achtsamkeitsübungen. Dass Menschen, die regelmäßig Achtsamkeit praktizieren, sich besser konzentrieren können, ist bereits durch eine Vielzahl an Studien bestätigt. Die Idee: Durch das bewusste Wahrnehmen von Ablenkungen wird die Konzentration gestärkt, indem zum ursprünglichen Fokus zurückgekehrt wird. Zum Beispiel zur Atmung.
Man kann sich aber auch einfach Zeit nehmen, um etwas zu tun, das interessiert und Spaß macht: So lernt unser Gehirn, sich wieder länger auf Dinge zu konzentrieren.
SWR 2021
Arbeitspsychologie Weniger Stress im Job – Wie sich die Belastung bewältigen lässt
Viel zu viel zu tun, Deadlines, Jobunsicherheit: Arbeitsstress kann krank machen. Aber helfen Achtsamkeitsübungen dagegen oder müssen wir uns stärker von der Arbeit distanzieren?
Gesundheit Richtig atmen – Verbindung von Körper und Seele
Atem-Kurse, Atem-Apps und Bücher zum "richtigen Atmen" sind im Trend. Was genau aber passiert im Körper, wenn wir atmen? Und wie kann bewusstes Atmen helfen, entspannter zu leben?
Medien: aktuelle Beiträge
Gesundheit Tripper, Syphilis, Chlamydien – Geschlechtskrankheiten und ihre Behandlung
Juckreiz, Ausschlag, Ausfluss – Symptome einer Geschlechtskrankheit. In Deutschland und weltweit steigen die sexuell übertragbaren Infektionen. Sind die Menschen leichtsinniger? Schlecht aufgeklärt? Von Julia Smilga (SWR 2024) | Manuskript und mehr zur Sendung: http://swr.li/geschlechtskrankheiten | Bei Fragen und Anregungen schreibt uns: daswissen@swr.de | Folgt uns auf Mastodon: https://ard.social/@DasWissen
Kommunikation Richtig übers Klima sprechen – Motivieren statt alarmieren
Zu viel, zu wenig, zu reißerisch, zu lasch: An der Vermittlung der Klimakrise gibt es viel Kritik, das gilt für die Medien wie für die Politik. Aber wie gelingt gute Klimakommunikation? Von Luca Sumfleth (SWR 2023/2024) | Manuskript und mehr zur Sendung: http://swr.li/klima-sprechen | Bei Fragen und Anregungen schreibt uns: daswissen@swr.de | Folgt uns auf Mastodon: https://ard.social/@DasWissen
Medien Hat lineares Fernsehen noch Zukunft?
Streaming ist bequem, immer verfügbar und: billig – zumindest im Verhältnis zu den Kosten für Kabel-TV in den USA. Da sich dort aus Kostengründen immer mehr Nutzer für Netflix und Co entscheiden, stellt sich die Frage, ob lineares Fernsehen noch eine Zukunft hat.
Psychologie: aktuelle Beiträge
Psychologie Geld, Lob, Sinn – Was motiviert uns?
Die einen schwören auf Ratgeber und Coaches, andere sagen: Echter Antrieb muss von Innen kommen. Was motiviert uns wirklich? Und wie erreichen wir Ziele auch ohne Motivation? Von Johanne Burkhardt (SWR 2023) | Manuskript und mehr zur Sendung: http://swr.li/Motivation-Einfluss | Bei Fragen und Anregungen schreibt uns: daswissen@swr.de | Folgt uns auf Mastodon: https://ard.social/@DasWissen
Psychologie Nägelkauen, Haarezupfen, Skin Picking – Wann die Gewohnheit zur Krankheit wird
„Körperbezogene repetitive Verhaltensweisen“ – das ist der Fachausdruck für Angewohnten wie Nägelkauen, das Knibbeln an der Haut („Skin Picking“) oder das Auszupfen von Haaren. Manchmal werden sie krankhaft. Die Psychologin Christina Gallinat forscht zu Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten. (SWR 2024) | Manuskript und mehr zur Sendung: http://swr.li/naegelkauen-von-gewohnheit-zur-krankheit | Bei Fragen und Anregungen schreibt uns: daswissen@swr.de | Folgt uns auf Mastodon: https://ard.social/@DasWissen
Wenn Du Dich weiter über das Thema informieren möchtest oder vielleicht selbst betroffen bist oder Betroffene kennst, könnte Dich der Podcast von Christina Gallinat interessieren. Du findest ihn hier: https://www.skinpicking-trichotillomanie.de/podcast/
Internetkriminalität Raffinierter Online-Betrug – Wie wir uns vor neuen Tricks schützen können
Auf Dating-Apps oder Job-Portalen suchen Online-Betrüger Kontakt zu potenziellen Opfern. Ihre Maschen sind schwer zu durchschauen. Wer betrogen wird, sollte schnellstmöglich handeln. Von Frank Drescher (SWR 2024) | Beratungsstellen für Zeugen und Opfer von Straftaten: https://www.beratungsstellen-opferhilfen.de/ | Manuskript und mehr zur Sendung: http://swr.li/online-betrug | Bei Fragen und Anregungen schreibt uns: daswissen@swr.de | Folgt uns auf Mastodon: https://ard.social/@DasWissen