Zähneknirschen in der Nacht kann schlimme Folgen für das Gebiss haben. Die Ursache Nummer Eins für das Knirschen, Beißen und Mahlen: Emotionaler Stress. Doch auch das Feierabendbier kann Probleme machen.
Die abendliche Routine: Zähne putzen, die Kinder nochmal zudecken, Wecker stellen. Bei vielen Menschen kommt noch etwas dazu: Die Zahnschiene einsetzen.
Denn nachts, wenn Körper und Seele eigentlich zur Ruhe kommen sollten, pressen sie die Zähne zusammen, sie mahlen, knirschen und beißen. Manche drücken die Zunge gegen Zähne und Gaumen, beißen sich in die Wangen – und sie bemerken es häufig nicht.
Weltweit: 20 Prozent pressen und knirschen mit den Zähnen
Und offenbar werden es immer mehr Menschen, die ihre Sorgen im wahrsten Sinne des Wortes zermalmen wollen.
2016 kamen die gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland für rund 1,7 Millionen Aufbiss-Schienen auf. Zehn Jahre zuvor waren es nur rund 950.000. Das hat die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung berechnet. Für die Kassen bedeutet das enorme Kosten: Eine der größten, die Techniker Krankenkasse, hat im Jahr 2017 mehr als 100 Millionen Euro für Schienen ausgegeben.
Internationale Studien zeigen: Weltweit pressen und knirschen 20 Prozent der Bevölkerung mit den Zähnen – sie leiden am sogenannten Bruxismus.
Mit dem Alter nimmt das Knirschen statistisch ab
Betroffen sind Menschen aus allen Teilen der Bevölkerung, sagt Jean-Marc Pho Duc. Er ist Oberarzt an der Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität.
"Wenn man den Bruxismus selbst betrachtet, sieht man einen Altersgipfel im Bereich von 35 bis 45 Jahren." Das sei auch die Phase, wo viele in der Gesellschaft einem gewissen Druck ausgesetzt seien. Zwar könne das Zähneknirschen in jeder Altersphase auftreten, es nehme aber im Alter eher ab.
Das Problem beim Zähneknirschen: Die Zähne werden einem starken Druck ausgesetzt. Jean-Marc Pho Duc: "Insgesamt können weit über 100 Kilo auf den Kiefer wirken. Neuere Studien sagen sogar bis zu 400 Kilo, die hier entfaltet werden. Das sind also irrsinnige Kräfte." Das könne schädigende Auswirkung auf die Zahnhartsubstanz haben und den gesamten Halteapparat belasten. "Das geht bis hin zum Absterben von einzelnen Zähnen."
Schwere Folgen für den Körper
Bei manchen Patienten präsentiert sich den Zahnärzten ein erschreckendes Bild: abgeschmirgelter Zahnschmelz, zerbrochene Kronen, steife Kiefergelenke.
Im schlimmsten Fall entwickelt sich eine sogenannte CMD – eine craniomandibuläre Dysfunktion. Betroffene Patienten können irgendwann den Mund nicht mehr schmerzfrei öffnen oder der Kiefer wird steif.
Zahnärzte und Wissenschaftler diskutieren seit mehr als 100 Jahren kontrovers darüber, was die Ursachen für das Zähneknirschen sein könnten. Eines steht fest: Sie sind vielfältig.
Zähne anpassen durch Knirschen?
Dass die Zähne nicht richtig aufeinander passen, wurde früher als Hauptursache für Bruxismus gesehen. Noch vor wenigen Jahren haben Zahnärzte deshalb systematisch die Gebisse Erwachsener zurechtgeschliffen, um den Biss zu verbessern.
Heute sind sie wesentlich zurückhaltender. Denn im Vergleich der Gebisse von Schlaf-Bruxisten, also nächtlichen Knirschern, und Nicht-Knirschern konnten keine bedeutsamen Unterschiede gefunden werden.
Bruxismus als Schlafstörung
Und so müssen Zahnärzte heute über den Tellerrand schauen, wenn sie nach den Ursachen für das Zähneknirschen forschen. Das nächtliche Knirschen haben Forscher mittlerweile als Schlafstörung kategorisiert. Ingrid Peroz: "Man weiß zum Beispiel, dass Menschen, die Schichtdienst haben und deswegen häufiger an Schlafstörungen leiden, auch viel mehr mit Bruxismus behaftet sind."
Das gleiche gelte für Menschen, die unter einer Schlafapnoe, also Atemaussetzern in der Nacht, litten. Auch Schnarchen und andere Dinge, die den Schlaf stören, stünden in Zusammenhang mit Bruxismus, zum Beispiel Medikamente, aber auch Stoffe wie Kaffee, Niktion oder Alkohol.
Bei Schmerz die Zähne zusammenbeißen
Auch bestimmte Krankheiten und Schmerzen lassen uns die Zähne zusammenpressen. Wolf-Dieter Seeher ist Zahnarzt in München. Er hat sich auf die Behandlung von Menschen spezialisiert, die mit den Zähnen knirschen oder pressen, sogenannten Bruxisten. Er beobachtet, dass Schmerz als Ursache für das nächtliche Zusammenpressen der Zähne in der Medizin in den letzten Jahren in den Vordergrund gerückt wurde:
"Patienten, die Schmerzen haben - zum Beispiel Tumorschmerzen und rheumatische Schmerzen – neigen dazu, mit den Zähnen immer zusammenzupressen, weil sich ganz offenkundig Schmerzen besser ertragen lassen, wenn man die Zähne zusammenbeißt."
Deswegen dürften Zahnärzte laut Seeher nicht nur auf die Zähne gucken, sondern müssten auch den medizinischen Hintergrund der Patienten abklopfen. Denn es gebe viele Dinge, die die Patienten für unerheblich hielten und gegenüber dem Zahnarzt nicht erwähnten.
Hauptursache: emotionaler Stress
Hauptursache für den Bruxismus – hier sind sich die Forscher einig – ist aber eindeutig emotionaler Stress. In der modernen Gesellschaft wird der Kauapparat zum Spiegel von Frust, Sorgen und Pein. Jean-Marc Pho-Duc ist sich sicher: Für viele ist das Zähne zusammenbeißen eine Form, dem täglichen Stress ein Ventil zu geben.
So vielfältig wie die Ursachen für das Zähneknirschen sind, so verschieden sind auch die Behandlungsansätze. Für Wolf-Dieter Seeher ist klar: Wer einem Bruxisten helfen will, braucht Geduld. Er spricht deshalb auch nicht von Heilung, sondern eher von Bruxismus-Management. Und dazu gehört zuerst, die Zähne vor weiterer Zerstörung zu schützen. Meist setzt man hier auf die sogenannte Aufbiss-Schiene.
Entspannungsübungen gegen das Knirschen
Als zweiter Schritt sei dann ein ausführliches Gespräch mit dem Patienten oder der Patientin notwendig. Der Psychologe Ralf Schäfer hat sich den Effekt von Achtsamkeits- und Entspannungsübungen genau angesehen und mit der Schienen-Therapie verglichen.
Sein Fazit: Die Übungen sind mindestens genauso wirksam wie der Zahnschutz aus Kunststoff. Er empfiehlt progressive Muskelrelaxation und Achtsamkeit: Welche Belastungen begleiten den Alltag und wie geht man damit um? Aber auch Yoga oder andere Entspannungstechniken seien seiner Einschätzung nach sinnvoll. Eine andere Möglichkeit stellt Sport dar: Durch die Muskelaktivität könne man ebenfalls Stress abbauen. Und davon profitieren am Ende auch die Zähne.
Produktion 2019