Damit Deutschland die Klimaschutzziele erreicht, müssen in den nächsten Jahren viele neue Windkraftanlagen gebaut werden – zusätzlich zu den 31.000 bestehenden. Doch Naturschützer sorgen sich: Besonders geschützte Greifvogelarten können mit den Rotorblättern der Windräder kollidieren. Und die Anlagen stören Lebensräume seltener Arten. Bedeutet mehr Klimaschutz also weniger Artenschutz?
Mit neuen technischen Systemen soll sich die Gefahr von Vogelschlag minimieren lassen. Naturschützer schlagen auch vor, die Naturlandschaften aufzuteilen in Vogelschutz- und Windkraftzonen.
KI: IdentiFlight soll Vögel erkennen und Abschaltsignal senden
Wie viele Tiere und welche Vogelarten genau werden tatsächlich durch Windkfraftanlagen beeinträchtigt und getötet? Die Datenlage ist schwierig, da eine systematische Erfassung Tiere fehlt. Bei der staatlichen Vogelschutzwarte Brandenburg führen Naturschützer eine Datenbank, die in ganz Deutschland Zufallsfunde von getöteten Greifvögeln und Fledermäusen an Windrädern festhält. Immerhin: Lars Lachmann, Biologe und Vogelschutzexperte beim Naturschutzbund Deutschland (NABU), in Berlin, sagt, dass „sehr, sehr wenige Vogelarten“ betroffen seien. Vor allem Rotmilan, Mäusebussard und größere Adlerarten. „Kleine Vögel wie Singvögel sind eben nur relativ selten betroffen.“
Doch wie kommt man weg von den Zufallsfunden hin zu belastbaren Zahlen und Informationen darüber, welche Vögel genau und wie viele betroffen sind?
Ein Hamburger Projektentwickler will das Kamerasystem IdentiFlight in den deutschen Markt einführen. Die Mitarbeiterin Maria Rohde beschreibt das System, das sich auf einem 10 Meter hohen Turm befindet: „Obendrauf befindet sich das Kamerasystem, das aus den zwei einzelnen Systemen besteht. Man sieht die acht Weitwinkelkameras, die unten kreisförmig angeordnet sind. Die sind dafür da, den Luftraum permanent zu überwachen. 360 Grad. Und obendrauf sitzt eine Stereo-Kamera. Die ist frei beweglich und kann, wenn die acht Weitwinkelkameras einen Vogel entdecken, sich auf diesen ausrichten, an den Vogel heranzoomen. Und die kann dann tatsächlich unterscheiden: Ist das ein Rotmilan, ein Seeadler oder ein anderer Vogel?“
Mithilfe künstlicher Intelligenz (KI) solle das System lernen, die Arten zuverlässig zu unterscheiden. Unterschreitet ein Vogel dann einen kritischen Radius und kommt den Rotorblättern zu nahe, werde vom „System aus ein Abschaltsignal direkt an die Windkraftanlage gesendet", so Maria Rohde.
Dank neuer Technik könnten konfliktträchtige Standorte genutzt werden
Das Entwickler-Team kalkuliert mit knapp 1.000 Abschaltungen im Jahr, was für den Windrad-Betreiber im Durchschnitt einen Ertragsverlust von vier Prozent bedeuten könnte. Weniger Gewinn, dafür könnten im Gegenzug auch konfliktträchtige Standorte genutzt werden. Das wäre der große Vorteil.
Im Auftrag des Kompetenzzentrums Naturschutz und Energiewende hat ein unabhängiges Gutachterbüro den Einsatz des Kamerasystems an sechs unterschiedlichen Standorten untersucht. Das überaus positive Fazit von Elke Bruns, Leiterin der Abteilung Fachinformation im Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende, kurz KNE, in Berlin: Das System sei reif für die Praxis – als Erstes aus einer Reihe von Neuentwicklungen.
Repowering: alte Windräder gegen neue, leistungsstärkere tauschen
Damit Deutschland seine Klimaziele erreicht, fordern wissenschaftliche Gutachten eine Verdreifachung des jährlichen Windkraftausbaus. Naturschützer sind besorgt, weil nicht nur geschützte Greifvögel mit den Rotorblättern der Windräder kollidieren könnten, sondern z.B. auch Auerhühner gestört würden.
Prof. Ulrich Schraml ist in Baden-Württemberg für den Schutz des Auerhuhns zuständig. Der Vogel ist akut vom Aussterben bedroht. Sein Lebensraum ist durch Massentourismus, Zersiedelung und Straßenbau zerschnitten – und vielleicht auch durch Windräder im Wald.
Andreas Markowsky wiederum ist Windmüller. Er plant und betreibt mit seiner „Ökostromgruppe Freiburg“ Solarparks, Wasserkraftwerke und Windräder. Eines seiner dienstältesten Projekte steht in 1.100 Metern Höhe auf dem Gipfel des Rohardsbergs bei Elzach. Eine lichte Bergkuppe im Schwarzwald.
Das Windrad erzeugt an diesem für den Süden Deutschlands sehr windreichen Standort im Schnitt 2,5 Millionen Kilowattstunden Ökostrom im Jahr. Das entspricht der Strommenge, die knapp 1.000 Haushalte verbrauchen. Eigentlich will Andreas Markowsky mehr für den Klimaschutz rausholen – indem er das alte durch ein neues, leistungsstärkeres Windrad ersetzt. In der Windbranche heißt das Repowering. Markowsky erhofft sich von einer neuen Anlage die fünffache Strommenge.
Windkraftgebiete und Schutzzonen trennen?
Das Problem: Das Gebiet ist Lebensraum des Auerhuhns. Und das zuständige Landratsamt Emmendingen teilt mit: „Das Repowering am geplanten Standort würde nach der fachlichen Bewertung zu einer Verschlechterung des Erhaltungszustands der lokalen Population führen.“
Ulrich Schraml sagt, durch seine Forschung sei gut dokumentiert, dass Windräder einen Einfluss auf die Nutzung des Lebensraums von Auerhühnern haben könnten. Also dass in einem Umkreis von bis zu 850 Metern rund um ein Windrad ein potenziell geeigneter Lebensraum nicht bzw. seltener von den Auerhühnern genutzt wird. „Wir hatten vor zehn Jahren noch mehr als doppelt so viele von den Tieren im Schwarzwald“, so Schraml. In absoluten Zahlen bedeutet das: Die Auerhuhn-Population im Nord- und Südschwarzwald dürfte nur noch bei 200 bis 250 Tieren liegen.
Auerhuhn-Forscher Schraml möchte Windmüller sensibilisieren, bei der Standortsuche das Vorkommen des Auerhuhns zu berücksichtigen. In mehr als der Hälfte der Fläche des Schwarzwalds spiele das Auerhuhn gar keine Rolle. Und in den zahlreichen grauen Bereichen der Landkarte – wo Auerhühner lebten, es sich aber um keine sensible Kernzone der geschützten Art handle –, da könnten Windräder genehmigungsfähig sein, wenn Schutzmaßnahmen ergriffen oder Lebensräume fürs Auerhuhn an anderer Stelle aufgewertet werden. Schramls Credo: Die Balance zwischen Eingriff und Ausgleich muss stimmen.
Klimaziele: Windkraftausbau müsste bis 2030 verdreifacht werden
Doch wie viel Zeit bleibt für das Ringen zwischen Arten- und Klimaschutz? Das von der Denkfabrik Agora Energiewende publizierte Gutachten mit dem Titel "Das Klimaschutz-Sofortprogramm" geht davon aus, dass der jährliche Windkraftausbau an Land bis 2030 glatt verdreifacht werden muss, um die deutschen Klimaziele und das Ziel der Klimaneutralität bis 2045 erreichen zu können. Andere Studien und Prognosen stützen diesen Befund.
Dass der Ausbau der Windenergie in Deutschland seit 2018 eingebrochen ist, rückt das Ziel in weite Ferne. Bis 2025 wird ein rundes Viertel aller bestehenden Windräder in Deutschland – also rund 8.000 Stück – die 20-jährige Betriebslaufzeit erreichen. Viele der alten Anlagen werden dann wohl abgebaut – außer es gelingt, sie durch neue zu ersetzen. Das wird – wie das Auerhuhn-Beispiel zeigt – ziemlich kompliziert.
SWR 2021 / 2022
Energie: aktuelle Beiträge
Klimawandel Nach Trumps Wahlsieg: So geht es mit dem Klimaschutz weiter
Erwartet wird, dass US-Präsident Donald Trump deutlich weniger Geld in den Klimaschutz stecken wird. Trump setzt auf fossile Rohstoffe wie Kohle statt auf erneuerbare Energien. Und bei der am Montag beginnenden Welt-Klimakonferenz COP29 wird die USA sicherlich nicht den internationalen Klimaschutz maßgeblich voranbringen.
Martin Gramlich im Gespräch mit Janina Schreiber, SWR-Redaktion Umwelt und Klima.
Meeresplanung In der Ostsee wird es eng – Windparks, Schifffahrt, Fischerei
Große Schutzgebiete sollen verhindern, dass die Ostsee zum Industriepark verkommt. Forscher wollen Windparks mit Aquakultur kombinieren. Und aus Fischern könnten Meeresförster werden. Von Luca Sumfleth (SWR 2024) | Manuskript und mehr zur Sendung: http://swr.li/enge-in-der-ostsee | Berichte und Studien: Angaben zur Fischereiausübung in Mecklenburg-Vorpommern | https://www.lallf.de/fischerei/statistik/fischer-und-fahrzeuge/ | Bericht zum Zustand der deutschen Ostseegewässer |https://mitglieder.meeresschutz.info/files/meeresschutz/berichte/art8910/zyklus2024/Entwurf_Zustandsbericht-2024_Anlage_1_Ostsee_2023-10-15.pdf | Studie zu Zukunftsideen verschiedener Interessensgruppen für die Ostsee | https://www.taylorfrancis.com/chapters/oa-edit/10.4324/9781003311171-10/stakeholders-normative-notions-sustainability-viola-schaber-marie-catherine-riekhof-michael-stecher-rudi-voss-stefan-baumg%C3%A4rtner | Hörtipp:
https://www.ardaudiothek.de/episode/das-wissen/hoehere-deiche-an-der-nordsee-wie-die-kueste-dem-klimawandel-trotzt/swr-kultur/13784597/ | Bei Fragen und Anregungen schreibt uns: daswissen@swr.de | Folgt uns auf Mastodon: https://ard.social/@DasWissen
Geowissenschaften Wärme, Strom und Lithium – Neue Chancen für die Geothermie in Deutschland?
"Ende des Jahrzehnts gibt es Handys mit deutschem Lithium“", schätzt der Geowissenschaftler Valentin Goldberg. Vor allem am Oberrhein sind die Voraussetzung gut, Lithium aus der Erde zu gewinnen – als Nebenprodukt der Geothermie. SWR Science Talk mit Valentin Goldberg (SWR 2023) | Mehr zur Sendung: http://swr.li/chancen-geothermie | Bei Fragen und Anregungen schreibt uns: daswissen@swr.de | Folgt uns auf Mastodon: https://ard.social/@DasWissen
Vögel
Diskussion Ab in den Süden – Was fasziniert uns an Zugvögeln?
Zugvögel haben etwas Geheimnisvolles. Wenn die Kraniche ziehen, dann werden wir wehmütig und denken an Aufbruch und das Überwinden von Grenzen. Einmal frei sein wie ein Vogel, wer wäre das nicht gern? Gregor Papsch diskutiert mit Prof. Dr. Peter Berthold - Ornithologe, ehemaliger Leiter der Vogelwarte Radolfzell, Prof. Dr. Josef H. Reichholf - Zoologe und Evolutionsbiologe, Nell Zink - Schriftstellerin
Feature Glück für einen allein gibt es nicht – Klangbilder einer Agrikulturlandschaft
Die Gegend um das Dorf Brodowin hat sich radikal verändert, seit hier Biolandwirtschaft betrieben wird. Das kann man auch hören. Nicht nur die Vögel sind zurück. Ein Klangbild.
Von Kirsten Reese und Anselm Weidner| SWR 2024
Naturschutz Die Wahl zum Vogel des Jahres hat begonnen
Heute hat die öffentliche Online-Wahl zum Vogel des Jahres 2025 begonnen. Dazu haben die Naturschutzverbände NABU und LBV aufgerufen. Zur Wahl stehen Hausrotschwanz, Kranich, Waldohreule, Schwarzspecht oder Schwarzstorch. Keiner der Vögel ist gefährdet, aber jeder steht für ein Naturschutzthema.