Der Ausbau der Windenergie kommt kaum voran. Sollte die Politik mehr auf die Sonne setzen?
Deutschland ist nicht als besonders sonniges Land bekannt. Windräder produzieren hier doppelt so viel Strom wie Solaranlagen. Doch das könnte sich ändern. Unter günstigen Bedingungen ist solar produzierter Strom heute der "billigste aller Zeiten". So schrieb es kürzlich die Internationale Energieagentur (IEA) in ihrem jährlichen globalen Energiebericht. Sollte die Politik bei der Energiewende stärker als bisher auf Solar- statt auf Windstrom setzen? Selbst unabhängig vom Preis bietet Photovoltaik gegenüber der Windstrom einige Vorteile.
Unter Solarparks können Pflanzen wachsen
Immer mehr Beispiele zeigen: Solarparks können mit Landwirtschaft kombiniert werden. Obst- und Beerenkulturen eignen sich dafür. In Frankreich wachsen schon Weinreben unter Solarpanels. "Agrarphotovoltaik" heißt dieser Trend. Das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme in Freiburg hat schon solche Versuche ausgewertet. Das Ergebnis: Die Ernte fällt unter den Photovoltaikmodulen zwar eventuell etwas schlechter aus, dafür kann der Hof aber den relativ günstigen Strom nutzen. Und die Solaranlage spendet Schatten, schützt also Pflanzen und Böden in Hitzeperioden vor Austrocknung – und es schützt die Beeren vor Hagel. Würden auf vier Prozent der deutschen Agrarflächen zusätzlich Photovoltaikanlagen stehen, ließe sich damit der gesamte deutsche Strombedarf decken, schätzt das Fraunhofer-Institut. Allein die Flächen des Obst- und Beerenanbaus würden demzufolge ausreichen.
Solarparks sind naturverträglicher
Eine im Dezember 2019 veröffentlichte Studie des Bundesverbands Neue Energiewirtschaft ergab, dass sich Vögel, Heuschrecken und Tagfalter schon in herkömmlichen Solarparks verstärkt ansiedeln. Doch werden Solarparks nun verstärkt auch gleich als Biotope angelegt. Unter und zwischen den Solarmodulen ist hier viel Platz für Insekten, Vögel und Hasen. In der Region um Cottbus gibt es bereits fünf dieser "Biotop-Solarparks".
Indem sich Solarparks mit andere Nutzungen kombinieren lassen, verringern sie den Flächenverbrauch. Im Gegensatz dazu lassen sich Windräder schwer mit Biotopen kombinieren, schon deshalb, weil für Vögel die Rotorblätter gefährlich sein können.
Solarstrom lässt sich in Städten erzeugen – und einfacher im Verkehr nutzen.
"Die Energiewende ist ja im Moment de facto ein Projekt des ländlichen Raumes", räumt Wolfram Axthelm im Podcast SWR2 Wissen ein. Er ist politischer Geschäftsführer des Bundesverbands Windenergie. "Die Energiewende muss aber in die Stadt kommen, sonst kriegen wir die Herausforderungen rund um E-Mobilität stellen nicht gebacken". In dicht besiedelten Gebieten lassen sich aber keine Windräder errichten. Und selbst an Siedlungsrändern gibt es Akzeptanzprobleme. Solaranlagen dagegen können problemlos auf Dächern installiert werden. Sie haben buchstäblich Platz auf der kleinsten Hütte.
Solaranlagen sind skalierbar
Das bringt einen weiteren Vorteil. Photovoltaik funktioniert im Großen wie im Kleinen. Dadurch gibt es eine größere Akteursvielfalt, und sie bietet die Vorteile einer stärker dezentralen Energieversorgung.
"Photovoltaik funktioniert von kleinen Einheiten auf dem Balkon bis zu Freiflächenanlagen", sagt Andreas Bett vom Fraunhofer-Institut in Freiburg. Beim Wind ist das nicht so einfach möglich ist, das müssen einfach große Anlagen sein." Das wiederum schränkt sowohl die Flexibilität als auch den Kreis der möglichen Investoren ein.
Solarstrom wird immer billiger
Im August 2020 veröffentlichte der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) eine Studie mit dem Titel: "Fotovoltaik im Energiesystem. Der Joker der Energiewende?" Sie wurde von einem Team der Technischen Universität Hamburg erstellt, aber vom VDI-Fachausschuss "Regenerative Energien" mitverantwortet. Darin halten die Fachleute, ein halbes Dutzend davon mit Professorentitel, fest: Große Solaranlagen können selbst in Deutschland Strom für weniger als 4 ct/kWh erzeugen, und nach der wirtschaftlichen Abschreibung, wenn auch die staatliche Preisgarantie wegfällt, für weniger als 1 ct. Das bedeute, "dass die Fotovoltaikanlagen, die aus dem Erneuerbare-Energien-Gesetz fallen, aus Kostensicht konkurrenzlos Strom ins Netz einspeisen können."
Ist die Politik zu langsam?
Gemessen an diesem Potenzial erscheint vielen Fachleuten die derzeitige Energiepolitik in Bezug auf die Photovoltaik zu zögerlich. "Wir müssten 18 bis 20 Gigawatt an Photovoltaik jedes Jahr zubauen, um eine Chance zu haben, das Pariser Klimaschutzabkommen einzuhalten", konstatiert der Energieexperte Volker Quaschning von der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin. Quaschning beklagt, dass im Erneuerbare-Energien-Gesetz viel zu lange ein jährlicher Zubau von nur 2,5 Gigawatt vorgesehen war. Inzwischen werden die Ziele etwas angezogen. 2020 wurden in Deutschland knapp 5 Gigawatt zugebaut. "Das ist aber immer noch um den Faktor vier zu wenig für den Klimaschutz."
SWR 2020 / 2021
Energie Neue Beschichtung: Durchbruch in der Solarenergie?
Wissenschaftler der Uni Oxford haben herausgefunden, wie sich Solarstrom erzeugen lässt, ohne Solarmodule auf Siliziumbasis. Sie setzen auf Beschichtung der Oberflächen von Alltagsgegenständen wie Rucksäcken, Autos und Mobiltelefonen mit dem neuen stromerzeugenden Material Perowskit.
Martin Gramlich im Gespräch mit Janina Schreiber, SWR Redaktion Umwelt und Klima
Energie: aktuelle Beiträge
Klimawandel Nach Trumps Wahlsieg: So geht es mit dem Klimaschutz weiter
Erwartet wird, dass US-Präsident Donald Trump deutlich weniger Geld in den Klimaschutz stecken wird. Trump setzt auf fossile Rohstoffe wie Kohle statt auf erneuerbare Energien. Und bei der am Montag beginnenden Welt-Klimakonferenz COP29 wird die USA sicherlich nicht den internationalen Klimaschutz maßgeblich voranbringen.
Martin Gramlich im Gespräch mit Janina Schreiber, SWR-Redaktion Umwelt und Klima.
Meeresplanung In der Ostsee wird es eng – Windparks, Schifffahrt, Fischerei
Große Schutzgebiete sollen verhindern, dass die Ostsee zum Industriepark verkommt. Forscher wollen Windparks mit Aquakultur kombinieren. Und aus Fischern könnten Meeresförster werden. Von Luca Sumfleth (SWR 2024) | Manuskript und mehr zur Sendung: http://swr.li/enge-in-der-ostsee | Berichte und Studien: Angaben zur Fischereiausübung in Mecklenburg-Vorpommern | https://www.lallf.de/fischerei/statistik/fischer-und-fahrzeuge/ | Bericht zum Zustand der deutschen Ostseegewässer |https://mitglieder.meeresschutz.info/files/meeresschutz/berichte/art8910/zyklus2024/Entwurf_Zustandsbericht-2024_Anlage_1_Ostsee_2023-10-15.pdf | Studie zu Zukunftsideen verschiedener Interessensgruppen für die Ostsee | https://www.taylorfrancis.com/chapters/oa-edit/10.4324/9781003311171-10/stakeholders-normative-notions-sustainability-viola-schaber-marie-catherine-riekhof-michael-stecher-rudi-voss-stefan-baumg%C3%A4rtner | Hörtipp:
https://www.ardaudiothek.de/episode/das-wissen/hoehere-deiche-an-der-nordsee-wie-die-kueste-dem-klimawandel-trotzt/swr-kultur/13784597/ | Bei Fragen und Anregungen schreibt uns: daswissen@swr.de | Folgt uns auf Mastodon: https://ard.social/@DasWissen
Geowissenschaften Wärme, Strom und Lithium – Neue Chancen für die Geothermie in Deutschland?
"Ende des Jahrzehnts gibt es Handys mit deutschem Lithium“", schätzt der Geowissenschaftler Valentin Goldberg. Vor allem am Oberrhein sind die Voraussetzung gut, Lithium aus der Erde zu gewinnen – als Nebenprodukt der Geothermie. SWR Science Talk mit Valentin Goldberg (SWR 2023) | Mehr zur Sendung: http://swr.li/chancen-geothermie | Bei Fragen und Anregungen schreibt uns: daswissen@swr.de | Folgt uns auf Mastodon: https://ard.social/@DasWissen
Klima: aktuelle Beiträge
Diskussion Festung Europa – Was tun gegen illegale Migration?
166.000 Menschen haben in den ersten neun Monaten dieses Jahres versucht, auf irreguläre Weise in die EU zu gelangen, die meisten von ihnen wollten nach Deutschland. Die Routen sind lebensgefährlich, Menschen gehen verschollen oder kommen ums Leben. Irreguläre Migration ist ein politisches Reizthema, es kann wahlentscheidend sein und die Gesellschaft polarisieren: Rechte nutzen es, um Stimmung gegen Ausländer zu machen. Linke neigen dazu, die Probleme, die illegale Migration mit sich bringt, zu verharmlosen. Was also tun? Gibt es eine menschenwürdige europäische Lösung? Martin Durm diskutiert mit Borhan Akid - Reporter des Studios Jot, Prof. Dr. Herwig Birg - Bevölkerungswissenschaftler, Universität Bielefeld, Svenja Niederfranke - Zentrum für Migration der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik
Wissenschaftspolitik Musk und Co: Trumps Wahlsieg trübt die Stimmung in der US-Forschung
Nach dem Wahlsieg Donald Trumps wartet die amerikanische Nation gespannt darauf, wie er seine teilweise radikalen Wahlversprechen wahrmachen will. Eine Gruppe zittert besonders: Die Wissenschaft. Was will Trump erreichen? Wie sind die ersten Reaktionen von Fachleuten?
Diskussion Von Waschbär bis Traubenkirsche – Wie umgehen mit invasiven Arten?
Ob die asiatische Hornisse, die Traubenkirsche oder der Waschbär: Hunderte Tiere und Pflanzen machen sich in Deutschland breit, die ursprünglich gar nicht von hier stammen. Wie verändern solche invasiven Arten die Tier- und Pflanzenwelt? Bereichern oder bedrohen sie die biologische Vielfalt? Wird man sie wieder los? Und wenn nicht: Wie sollten wir mit den Eindringlingen umgehen? Janine Schreiber diskutiert mit Dr. Uta Eser - Umweltethikerin und Biologin, Prof. Axel Hochkirch - Biodiversitätsforscher an der Universität Trier, Dr. Andreas Kiefer - Umweltministerium Rheinland-Pfalz