In seinem Romanzyklus "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" nimmt Marcel Proust (1871 - 1922) uns mit auf eine Reise des Sich-Erinnerns. Ihn zu lesen heißt, langsam zu werden, genau hinzusehen und zu beobachten. Spoiler: Im letzten Band findet der Autor die verlorene Zeit sogar wieder.
So beginnt das berühmte Werk "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" von Marcel Proust, dem französischen Schriftsteller, der am 18. November 1922 starb. Im Zentrum steht der Erzähler Marcel, der im Lauf des Romans erwachsen wird, seine Homosexualität entdeckt, unglücklich liebt und seine Zeit in Salons verbringt. Der Zyklus handelt von Gefühlen, Erinnerungen und Wahrnehmungen, Literatur, Kunst und Musik, von Architektur, Psychologie, Philosophie und vielem mehr – ein rund 4.000-seitiges, kaum auszumessendes Werk in sieben Bänden.
À la recherche du temps perdu: von der verlorenen zur wiedergefundenen Zeit
Der letzte Band des Werkes heißt jedoch "Die wiedergefundene Zeit". Es ist die Zeit, in der die Hauptfigur Marcel zu sich selbst kommt. Er wird darin zum Schriftsteller und ahnt, dass Kunst ein Widerstand gegen die Verwerfungen des Lebens und gegen den Tod sein kann:
Proust bejaht diese Frage. Und seine Texte zu lesen heißt, langsam zu werden, genau hinzusehen, Dinge von verschiedenen Seiten zu betrachten – gerade in einer Zeit, in der sich Meldungen und Meinungen überschlagen.
Prousts Mutter ist seine wichtigste Bezugsperson
Marcel Proust wird am 10. Juli 1871 in Auteuil geboren, einem Vorort von Paris. Sein Vater ist ein aufstrebender Arzt aus dem Kleinbürgertum, die Mutter stammt aus einer reichen jüdischen Bankiersfamilie. Die gebildete, belesene Frau ist Prousts wichtigste Bezugsperson. Auch als er erwachsen ist, begleitet sie ihn auf Reisen. In der "Suche nach der verlorenen Zeit" errichtet er ihr mit der Figur der Großmutter ein Denkmal:
Der Junge wächst in einer bewegten Zeit auf, in der der Adel gegenüber dem Bürgertum Macht und Einfluss verliert. Der Deutsch-Französische Krieg war gerade vorüber und in Paris gibt es Arbeiteraufstände durch die "Commune de Paris".
Der Dandy Marcel Proust lebt vom Vermögen seiner Eltern
Nach Abitur und Wehrdienst studiert Proust Jura und Philosophie und veröffentlicht erste kleine Texte in Zeitschriften. Sein Vater möchte ihn als Anwalt sehen. Doch er pocht auf eine ästhetische Existenz als freier Autor und setzt sich durch. Jeden Monat erhält er einen üppigen Betrag von den Eltern, mit dem er dennoch nicht immer auskommt – ein hoch intelligenter, wortgewandter, manchmal etwas hochmütiger Dandy.
In der Dreyfus-Affäre ergreift Proust Partei für den jüdischen Hauptmann
1894 und auf Jahre darüber hinaus erschüttert Frankreich ein Justizskandal, die sogenannte Dreyfus-Affäre um den Artillerie-Hauptmann Alfred Dreyfus – ein jüdischer Hauptmann, der Spionage für Deutschland verdächtigt. Prousts Mutter ist Jüdin, von klein auf ist er von jüdischen Verwandten und Bekannten umgeben, die ihn intellektuell prägen – Proust nimmt Partei für den Hauptmann und fordert dessen Freilassung.
Im selben Jahr, 1894, beginnt seine Liebesbeziehung mit dem Komponisten Reynaldo Hahn.
Homosexualität angedeutet: Marcel Proust duelliert sich mit Jean Lorrain
Öffentlich gesteht Proust seine Homosexualität nie ein. Als ein offen homosexuell lebender Literaturkritiker andeutet, dass wohl auch Proust diese Neigung habe, fordert er ihn zum Duell. Ein symbolischer Akt, beide schießen in die Luft und lassen die Sache auf sich beruhen.
Sehnsucht und Begehren – Der Weltliterat Marcel Proust
1903 stirbt Prousts Vater, 1905 die geliebte Mutter. Ihr Tod stürzt ihn in eine tiefe Krise. Proust lebt mit 34 Jahren vom ererbten Vermögen, in Euro umgerechnet ist er Millionär. 1906 bezieht er seine erste eigene Wohnung, sechs Zimmer am Pariser Boulevard Haussmann 102. Hier beginnt er, vielleicht auch befreit durch den Tod der übermächtigen Mutter, seinen Jahrhundertroman.
Proust schreibt nachts in einem schallisolierten Schlafzimmer
Das Schlafzimmer, das zum Schreibzimmer wird, lässt Proust mit Korkplatten gegen Lärm isolieren. Die Vorhänge sind meist zugezogen. Proust schläft tagsüber und schreibt nachts, im Bett liegend, umgeben von Manuskripten und Büchern. Die Pariser Salons haben ihre Faszination verloren.
Madeleine-Gebäck weckt Kindheitserinnerungen
Proust entwirft mit der "Suche nach der verlorenen Zeit" einen riesigen Kosmos, in dessen Zentrum die Themen Zeit und Erinnerung stehen. Ausgangspunkt ist die berühmte "Madeleine-Szene" im ersten Band – von hier geht es in die Tiefen der Erinnerung und hinaus in die Welt. Marcel trinkt Tee und isst eine Madeleine, ein französisches Gebäck. Denn der Geschmack erinnert ihn daran, wie er als Kind Tee mit Madeleine-Stückchen getrunken hat – und löst eine Kaskade von Erinnerungen aus.
Roman soll Zeit erlebbar machen
Die "unwillkürliche Erinnerung", wie Proust sie nennt, wird zum Motor der "Suche nach der verlorenen Zeit". Es sind euphorisierende Momente, in denen die Zeit aufgehoben ist. Doch das bedeutet für Prousts Schreibstil seitenlange verschlungene Sätze, die man zwei oder dreimal lesen muss, um sie ganz zu verstehen.
Die Druckfahnen des dritten und vierten Bandes versieht Proust mit immer neuen Erweiterungen, kritzelt auf Zettel, die seine Haushälterin Celeste Albaret ordnet. Jahre später schreibt sie ein Buch über ihre Zeit mit Proust mit dem Titel "Monsieur Proust", welches auch auf Deutsch übersetzt ist.
Noch in der Todesnacht, am 18. November 1922, arbeitet er an seinem Text. Marcel Proust stirbt um halb fünf Uhr morgens an einer Lungenentzündung und wird auf dem Pariser Friedhof Père Lachaise beerdigt. Zwischen 1923 und 1927 erscheinen auch der fünfte, sechste und siebte Band seines Romans aus dem Nachlass.
Hörspiel
Zum 100. Todestag von Marcel Proust Marcel Proust: Die Entflohene (1/2): Kummer und Vergessen
Marcel Proust Buch „Die Entflohene“ thematisiert Kummer, Leid und Vergessen nach dem plötzlichen Tod der Geliebten, ein Balanceakt zwischen Trauerarbeit und neuer Lebenslust.