Mit der wachsenden #BlackLivesMatter-Bewegung wird auch bei uns über alltäglichen Rassismus debattiert. Aber wie kommen Rassismus und die damit verknüpfte Kolonialgeschichte in der Schule zur Sprache? Was steht in den Schulbüchern und wie nehmen Jugendliche das Thema wahr?
Während ein Teil der Lehrerinnen und Lehrer sich bemüht, Kolonialismus und seine Folgen lebensnah und zeitgemäß aufzubereiten, kommt das Thema bei anderen gar nicht oder nur aus einer weißen Perspektive vor.
Kolonialmacht Deutsches Reich: Völkermord an Herero und Nama
Kamerun, Togo, Deutsch-Ostafrika und Deutsch-Südwestafrika – von 1884 bis 1918 hatte Deutschland gleich mehrere Kolonien auf dem afrikanischen Kontinent. Hinzu kamen Schutzgebiete in der Südsee.
Der erste Völkermord des 20. Jahrhunderts kostete rund 10.000 Nama und 40.000 bis 60.000 Herero im heutigen Namibia ihr Leben und wurde von Deutschen verübt. An drei Tagen im Jahr erinnern die Herero an diesen Genozid.
Soll Deutschland den Völkermord an den Herero und Nama anerkennen und folgt daraus, dass auch Reparationen gezahlt werden müssen? Tatsächlich hat die Bundesregierung im Juli 2016 erstmals das Massaker an Herero und Nama im heutigen Namibia als Völkermord anerkannt. Sie ist aber der Auffassung, dass sich daraus keine Rechtsfolgen ergeben.
Auseinandersetzung mit kolonialer Vergangenheit hängt von Lehrer*innen ab
In Deutschland findet das Thema Kolonialgeschichte jedoch kaum statt. An den Schulen steht Kolonialismus zwar auf dem Lehrplan, doch meist wird er unter der Überschrift Imperialismus behandelt. Da geht es dann zum Beispiel um die Aufteilung Afrikas unter den Kolonialmächten. Wie viel Raum die Auseinandersetzung mit der kolonialen Vergangenheit erhält und aus welcher Perspektive sie betrachtet wird, hängt von Lehrer oder Lehrerin ab.
Eigentlich hat die Bundesregierung angekündigt, die Aufarbeitung des kolonialen Erbes anzugehen. Der Koalitionsvertrag aus dem Jahr 2018 ist das erste Regierungsprogramm, das sich damit befasst und die koloniale Phase in die Gedenkkultur aufnehmen will. Was den Schulunterricht angeht, haben die meisten Bundesländer, die ja für die Bildung zuständig sind, das Thema Kolonialgeschichte verpflichtend in die Lehrpläne geschrieben. In Baden-Württemberg sollen es in Zukunft vier Unterrichtsstunden sein.
Deutsche und europäische Perspektive dominiert noch immer im Schulbuch
Eine Aufgabe aus einem Schulbuch für den Geschichtsunterricht in der 9. und 10. Klasse. Die Perspektive in den meisten Unterrichtsmaterialien ist eine europäische, zum Beispiel wenn es um Konflikte mit den anderen Kolonialmächten Frankreich und Großbritannien geht. Die Perspektive der Opfer, die Gewalt, die man für die Kolonisierung einsetzte, aber auch der Widerstand gegen die Kolonisierung kommen nicht vor.
Gutes Unterrichtsmaterial ist Mangelware
Wichtig ist, im Unterricht unterschiedliche Perspektiven einzubeziehen und auch Kontroversen einzubringen. Tatsächlich ist es schwierig für Lehrerinnen und Lehrer, Material zu finden, dass die Seite der kolonisierten Menschen darstellt, weil es zum Beispiel kaum Zeitzeugenberichte gibt.
Die Geschichtslehrerverbände in verschiedenen Bundesländern haben auf ihren Internetseiten Informationen zu unterschiedlichen Materialien zusammengestellt. Es geht aber auch darum, das Material, das man hat, kritisch und aus unterschiedlichen Perspektiven einzuordnen.
Neue Perspektiven werden oft von den Jugendlichen selbst in den Unterricht eingebracht, vor allem wenn sie einen Migrationshintergrund mitbringen. Sie greifen öffentliche Debatten auf, zum Beispiel um Straßennamen oder Denkmäler. Und sie stellen andere Fragen, wie Geschichtslehrer Birger Hass festgestellt hat.
Fortbildung für Lehrerinnen und Lehrer notwendig
Fortbildungen für Lehrerinnen und Lehrer ist für guten Unterricht zur Kolonialgeschichte wichtig. Der überwiegende Teil von ihnen hat keinen Migrationshintergrund und keine eigenen Rassismus-Erfahrungen. Bildungsforscher Karim Fereidooni schlägt vor, dass sich Lehrkräfte folgende Fragen selbst stellen:
- Inwiefern haben Rassismus-relevante Wissensbestände mein Leben beeinflusst? Also was hat Rassismus mir beigebracht?
- Was passiert in meiner Schule und in meinem Unterricht Rassismus-Relevantes?
- Inwiefern befördern meine Unterrichtsmaterialien, also z.B. das Schulbuch, Rassismus-relevante Wissensbestände?
Karim Fereidooni empfiehlt: "Lehrer*innen sollten Rassismus-Kritik als ganz normale professionelle Kompetenz begreifen. Genauso, wie sie in der Lage sein sollten, ihren Schülerinnen mathematische oder grammatikalische Strukturen beizubringen, sollten Lehrer*innen in der Lage sein, das Analyse-Instrument der Rassismus-Kritik zu verwenden."
Verpflichtende Schulungen für Lehrerkräfte gibt es nicht. Ob und wie sich jemand zu Rassismus-Kritik weiterbildet, hängt allein vom Engagement des Einzelnen ab. Und auch das Angebot solcher Weiterbildungen ist bisher überschaubar.
Insgesamt fehlt bisher ein Konzept, wie mit dem Thema Kolonialgeschichte an Schulen umgegangen werden soll.
SWR 2021
Kolonialgeschichte
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Mit drei Kreuzen unter auf Deutsch verfassten Schriftstücken traten Afrikaner ihr Land ab. Schließlich stellt Kaiser Wilhelm den „Schutzbrief“ für Ostafrika aus.
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Seit 2011 herrscht Bürgerkrieg in Libyen. Italien versucht zu vermitteln. Rom und Tripolis haben enge Beziehungen, die weit zurückreichen.
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Im Streit um zwei Kinderbücher zum Film „Der junge Häuptling Winnetou“, die der Ravensburger Verlag aus dem Programm genommen hat, werde mit Halbwahrheiten und Übertreibungen gezielt Stimmung gemacht, sagt SWR2 Literaturkritiker Carsten Otte. Ironischerweise folge die erregte Diskussion rhetorischen Mustern, die das Niveau selbst der kitschigsten Winnetou-Szene deutlich unterböten.
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20.1.2021 | Unter extrem hohen Sicherheitsvorkehrungen wird Joe Biden am 20. Januar 2021 als Präsident der Vereinigten Staaten vereidigt.
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Ein Gedicht zur Inauguration eines Präsidenten – das ist Tradition in den USA. Amanda Gorman ist nun die jüngste, die diesen Auftrag bekommt. Knapp drei Wochen zuvor wurde sie von Joe Bidens Frau Jill darum gebeten.
In dem Gedicht verarbeitet sie Bilder und Gedanken zum Sturm aufs Kapitol zwei Wochen zuvor. Aber auch die Hoffnung ihrer eigenen Generation, rassistische Diskriminierung zu überwinden. Sie spricht von sich als dünnem, schwarzes Mädchen, das von Sklaven abstammt und von einer alleinerziehenden Mutter großgezogen wurde, das davon träumen kann, Präsidentin zu werden, nur um sich selbst in einer Situation zu finden, in der sie für einen Präsidenten vorträgt. | #jetztschonhistorisch
Den vollständigen Text finden Sie hier: http://swr.li/AmandaGorman
Gespräch Amanda Gormans Lyrik
Amanda Gorman hat bei Joe Bidens Amtseinführung mit ihrem Gedicht „The hill we climb“ für Gänsehaut gesorgt. Paul Ingendaay, Amerikanist und Europakorrespondent der FAZ, erklärt im Lesenswert-Gespräch die Verbindung von Lyrik und politischer Macht in den USA und warum ein vergleichbarer Auftritt in Deutschland nur schwer vorstellbar ist.