Die Corona-Krise dürfte bald ein Fall für Internationale Schiedsgerichte werden. Vor ihnen können internationale Konzerne gegen einzelne Staaten klagen, wenn deren Politik die Pläne der Firmen durchkreuzt. Die Urteile sind oft willkürlich und blockieren ökologische und soziale Reformen. Neben Deutschland trifft es auch viele arme Länder.
2011 erklärt Bundeskanzlerin Angela Merkel den Ausstieg aus der Kernenergie. Wenig später klagt der schwedische Energiekonzern Vattenfall bei einem internationalen Schiedsgericht in Washington und verlangt sechs Milliarden Euro Schadensersatz für die frühzeitige Schließung zweier Kernkraftwerke. Das Verfahren läuft noch. Beobachter räumen Vattenfall gute Chancen ein.
Passiert jetzt ähnliches durch die Corona-Krise?
Große Anwaltskanzleien haben längst auch die Corona-Krise als überaus lukratives Geschäftsfeld entdeckt. Auf ihren Webseiten umwerben sie Unternehmen, die sich durch staatliche Maßnahmen gegen die Seuche geschädigt fühlen.
Beklagte Regierungen könnten zwar argumentieren, ihr Handeln gegen Investorinteressen sei notwendig gewesen, um die Gesundheit der Bürger zu schützen, erklärt Nathalie Bernasconi, Rechtsanwältin am Internationalen Institut für nachhaltige Entwicklung in Genf:
"Es ist schwer vorauszusagen, inwieweit Tribunale dieses Argument akzeptieren werden. In den meisten Investitionsschutzverträgen wird es nicht erwähnt. Die Maßstäbe sind sehr streng. Die Regierung muss das Tribunal davon überzeugen, dass die von ihr getroffenen Maßnahmen in geringstmöglichem Maße ins Wirtschaftsleben eingegriffen haben." (Nathalie Bernasconi)
Was sind Schiedsgerichte?
Wenige kennen diese Schiedsgerichte, die so manche Regierung in Angststarre versetzen. Sie sind Bestandteil von 3.000 zwischenstaatlichen Investitionsabkommen. Die Idee ist an sich nachvollziehbar: Die Schiedsgerichte sollen ausländische Investoren vor staatlicher Willkür schützen. Fühlen sich ausländische Unternehmen unfair behandelt, können sie, und nur sie, auf der Basis dieser Verträge klagen – bei für jeden Einzelfall neu ernannten Schiedsgerichten aus hochbezahlten Fachjuristen. Solche Tribunale tagen oft geheim; ihre Urteile sind unanfechtbar; sie sind weltweit vollstreckbar. Investor-Staat-Streitbeilegung, kurz ISDS, nennen das die Experten.
- Pakistan wurde bereits verurteilt zur Zahlung von fast sechs Milliarden Dollar Es hatte einem australischen Investor die Lizenz zum Gold- und Kupferabbau verweigert.
- Ein kanadisches Unternehmen fordert fast sechs Milliarden Dollar von Rumänien. Lokale Gerichte hatten der Firma den Goldbergbau mit Zyanid verboten
- Ein Bauunternehmer fordert von Kroatien eine halbe Milliarde Dollar, weil ein kroatisches Gericht den Bau einer Luxus-Ferienanlage in Dubrovnik gestoppt hat.
- An die 50 Schiedsgerichtsklagen haben derweil Investoren gegen Spanien eingereicht. Spanien hatte vor 20 Jahren mit satten Subventionen Solarinvestoren angelockt, dann aber ab 2009 die Subventionen drastisch zurückgefahren. Das reduzierte die Gewinne der Investoren. Sie klagen wegen Bruchs des Vertrauensschutzes – die Urteile fallen sehr unterschiedlich aus.
Über tausend ISDS-Verfahren mit einem Streitwert von 700 Milliarden Dollar haben Investoren bis heute angestrengt; rund 100 Milliarden Dollar mussten die Steuerzahler oft armer Länder bezahlen – zumeist an multinationale Konzerne.
Wer sind die Richter?
Die Schiedstribunale selbst kommen ad hoc zustande:
- Der klagende Investor bestimmt eine Person als Richter oder Richterin
- Der beklagte Staat eine zweite
- Auf die dritte einigt man sich, oder sie wird nach den Verfahrensregeln bestimmt.
Anschließend beginnt ein Prozess, der jahrelang dauern kann: Schriftsätze werden ausgetauscht und Telefonkonferenzen geführt; bei Verhandlungen treffen Armeen von Anwälten und Experten aufeinander. Schließlich ergehe, wie ein Fallbeil, das Urteil, erklärt Professor Bruno Simma. Der pensionierte Richter am Internationalen Gerichtshof arbeitet heute als Schiedsrichter:
"Das Besondere bei ICSID ist jetzt, dass, wenn ein Schiedsspruch erlassen wird, dieser Schiedsspruch überhaupt nicht mehr angefochten werden kann vor einem nationalen Gericht. Die Konvention, diese ICSID-Konvention, sagt: Die Schiedssprüche haben die Rechtsnatur eines rechtskräftigen nationalen Urteils." (Bruno Simma)
Aber nur ausländische Investoren können diese Schiedsgerichte anrufen – inländische Firmen müssen den üblichen Rechtsweg gehen. Viele sehen darin eine Ungleichbehandlung.
Sind die Schiedsrichter wirklich neutral?
Bruno Simma kritisiert, dass viele seiner Schiedsrichterkollegen nicht wirklich unabhängig sind. Denn es gibt kein ständiges Gericht – sie werden fallweise beauftragt. So kann es vorkommen, dass jemand, der in einem Verfahren als Richter urteilt, in einem ähnlichen anderen Fall als Anwalt tätig ist – undenkbar im normalen Rechtswesen:
"Und da kommt es dann schon vor, dass er in einem Schiedsgericht sitzt und entscheiden muss: Wie ist also der Punkt X zu beurteilen, den er ein paar Wochen vorher als Anwalt in einem Verfahren mit allerbesten Argumenten scharfsinnig als Blödsinn erklärt hat.“ (Bruno Simma)
Schiedsrichter haben eigene Interessen
Hinzu kommt: Schiedsrichter bei Investor-Staat-Disputen werden gut bezahlt und wollen in der Regel wieder engagiert werden – sei es erneut als Schiedsrichter oder als Anwalt. Sie sind folglich auch daran interessiert, dass es möglichst viele Klagen gibt. Viele Investoren aber klagen nur, wenn Schiedsgerichte Investoren auch viele Verfahren gewinnen lassen.
Prozess-Finanzierung: Ein eigenes Milliarden-Geschäft
Und: Schiedsverfahren sind ein Riesengeschäft für eine weitere, fast unbekannten Industrie mit Milliarden-Umsätzen Denn die Prozesse sind teuer; allein die Verfahrenskosten belaufen sich auf, im Schnitt, acht Millionen Euro. Für eine Klage braucht ein Unternehmen also viel Geld, das spezielle Firmen bereitstellen. Sogenannte Prozess-Finanzierer, in der Regel Investmentfonds, finanzieren auf eigenes Risiko viele Investorenklagen. Verliert der Investor, bekommt der Prozess-Finanzierer nichts; gewinnt er aber, bekommt der Finanzier zwischen 30 und 50 Prozent der erstrittenen Schadenersatzsumme.
Ein hochspekulatives Geschäft also, meint Rechtsanwältin Nathalie Bernasconi vom Internationalen Institut für nachhaltige Entwicklung in Genf. Der Fall Spanien zeige: Die Urteile sind unberechenbar, aber genau das macht sie für Finanzierer interessant:
"Sie können als Prozess-Finanzierer ganz einfach mehrere Investoren motivieren, gegen dieselbe staatliche Maßnahme zu klagen. Über all diese Klagen entscheiden dann vielleicht zehn unterschiedliche Schiedsgerichtshöfe, die mit unterschiedlichen Schiedsrichtern besetzt sind. Und entsprechend führen die Verfahren zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen. Als Prozess-Finanzierer aber müssen sie nur einen einzigen Fall gewinnen, um sehr viel Geld zu verdienen. Und die Aussichten dafür sind ziemlich gut." (Nathalie Berasconi)
Für betroffene Staaten lautet das Fazit: Es ist für sie nicht nur völlig unvorhersehbar, welche Chancen die Klage eines Investors hat; nein, der Investor kann oft auch noch, dank unbegrenzter Fremdfinanzierung, völlig risikolos Schiedsverfahren anzetteln und in Ruhe abwarten, ob der bedrohte Staat nicht freiwillig nachgibt, erklärt Pia Eberhardt, Sprecherin der Brüsseler Organisation Corporate Europe Observatory.
Doch die EU erkenne inzwischen, dass die Schiedsgerichtsbarkeit in einer tiefen Legitimationskrise steckt. Auch deshalb, weil in den letzten Jahren hunderttausende Europäer gegen neue Handels- und Investitionsabkommen wie TTIP und CETA auf die Straße gegangen sind. Deshalb denkt die EU über neue Verfahren nach, sieht aber weiter die Notwendigkeit, Investoren zu schützen. Sie strebt deshalb einen Multilateralen Investitionsgerichtshof an, berichtet Markus Krajewski, Professor für öffentliches Recht an der Universität Erlangen-Nürnberg:
"Das soll ein ständiger Gerichtshof sein, wo dann wirklich auch Richter fest installiert sind; der auch tatsächlich öffentlich tagt; dessen Urteile eben auch alle veröffentlicht werden." (Markus Krajewski)
Weder Krajewski noch Pia Eberhardt allerdings können sich mit dieser Lösung anfreunden. Denn das grundsätzliche Problem bliebe, sagt Eberhardt:
"Die ganz grundsätzliche Frage: Wofür brauchen wir das überhaupt? Was ist eigentlich das Problem mit europäischen Gerichten? Warum sind sie gut genug für Sie und mich, aber nicht für den ausländischen Investor? All diese ganz grundsätzlichen Fragen werden durch diese Vorschläge der europäischen Kommission überhaupt nicht berührt." (Pia Eberhardt)
SWR 2020/2021