Das Gegenüber mit „du“ anzureden, ist heute gang und gäbe. „Du“ wird als locker und freundschaftlich interpretiert, „Sie“ dagegen als distanziert und förmlich. Die Frage der richtigen Anrede zieht sich durch die ganze Sprachgeschichte.
Wenn sich die Beschäftigten in einem Unternehmen duzen, signalisiert das eine lockere antihierarchische Struktur; wenn sich eine Professorin von ihren Studierenden keinesfalls duzen lassen will, zeigt sie unmissverständlich, wer das Sagen hat. Bietet ein Lehrer in der Oberstufe den Schülern das Du an, signalisiert das eine antiautoritäre Haltung. Wie Menschen sich gegenseitig anreden, verrät viel über eine Gesellschaft.
Heute scheint das Duzen das Siezen zu verdrängen. Mit dem Du assoziiert man einen freundlichen und lockeren Umgangston, flache Hierarchien, Kooperationsbereitschaft. Sie dagegen gilt als distanziert und unpersönlich. Vereinfacht gesagt: Du ist gut, Sie ist schlecht. Also, wird argumentiert, sollten alle zu allen Du sagen.
Ist das ein Problem? Ja: Denn das Du kann nur dann seine Wirkung erzielen, wenn es im Sie seinen Widerpart hat, wenn es der Unterscheidung dient. Wenn alle immer Du sagen, verliert das Du seine Besonderheit.