Einhörner sind allgegenwärtig – als Plüschtier im Kinderzimmer, Symbol der queeren Bewegung oder in Esoterik-Seminaren. Das weiße pferdeähnliche Fabelwesen steht für Freiheit und Autonomie, aber auch für Reinheit und Heilkraft.
Aber wie fängt man ein Einhorn, woher stammt Einhornpulver und wann wurden die letzten Einhörner gesichtet? Eine Übersicht der 5 wichtigsten Erkenntnisse aus der aktuellen Einhornforschung.
1. Bisher wurden noch keine Fossilien von Einhörnern gefunden
Die Faszination für das Einhorn reicht bis ins dritte und vierte Jahrhundert vor Christus. Damals gehen Zoografen davon aus, dass es das Einhorn wirklich gibt. Der Philologe Bernd Roling von der Freien Universität Berlin berichtet von zoologischen Traktaten aus Indien und Äthiopien, die das Einhorn so beschreiben:
Heute ist unklar, auf welche Beobachtungen sich die frühen Naturkundler gestützt haben könnten. Bis heute gibt es keinerlei fossile Funde, die den beschriebenen Tieren gleichen.
Viele Berichte gehen auf den Griechen Ktesias zurück, der Einhörner in seinem Werk über Indien erwähnt. Danach entwickelt die Kunde von dem exotischen Tier ein erstaunliches Eigenleben. Immer wieder behaupten Reisende, in fernen Ländern Einhörner gesehen zu haben. Naturkundler übernehmen die Informationen in ihre Schriften, von denen wiederum andere abschreiben – nicht zuletzt, weil das Publikum schon damals mit spektakulären Geschichten unterhalten werden will.
2. Um ein Einhorn zu fangen, braucht man eine Jungfrau
Im christlichen Mittelalter verkörpert das freiheitsliebende, schwer zu fangende Einhorn zunächst vor allem Stärke, Reinheit und Unschuld.
Die Jungfrau steht für die biblische Jungfrau Maria und das Einhorn für ihren Sohn Jesus. Der Moment, in dem das Einhorn gefangen wird, symbolisiert die jungfräuliche Empfängnis.
3. Einhornpulver hilft gegen Gift und Krankheit
Das geriebene Horn eines Einhorns soll gegen alle möglichen Krankheiten helfen, etwa gegen Fieber, Eiterbeulen oder Epilepsie. Auch die Universalgelehrte Hildegard von Bingen ist von seiner Wirkung überzeugt. Und es soll Gifte neutralisieren. Darum lassen sich mächtige Menschen, die Angst haben vergiftet zu werden, nicht selten Trinkgefäße aus angeblich echtem Einhorn fertigen. Der Pfarrer und Laienmediziner Johann Coler schreibt Ende des 16. Jahrhunderts in seinem weit verbreiteten "Hausbuch":
Im Hochmittelalter und der Frühen Neuzeit verkauften betrügerische Walfänger Pulver aus Narwal-Stoßzähnen zu horrenden Preisen als "echtes Einhorn". Heute weiß man, dass es sich dabei um bis zu drei Meter lange, wie Schrauben gewundene Stoßzähne der Narwale aus dem Nordpolarmeer handelt.
4. Die letzten Einhörner wurden auf dem Mond gesichtet
Der Glaube an die Existenz des Einhorns hält sich bis ins 19. Jahrhundert. In einem Artikel der "New York Sun" soll es sogar als Beweis für Leben auf dem Mond dienen.
Immer differenziertere Methoden der Wissenschaft verweisen das Einhorn Mitte des 19. Jahrhunderts endgültig ins Reich der Fabeln.
5. Einhörner sind vielseitige Projektionsflächen
Als Projektionsfläche dient das geheimnisvolle, so scheue wie starke Fabeltier seit über 2000 Jahren in verschiedensten Zusammenhängen. Etwa im Einhorn-Symbol der Queer-Bewegung oder dem Buch "Das Neinhorn" von Marc-Uwe Kling und Astrid Henn. Es erzählt von einem kleinen Einhorn in der Trotzphase und ist schon jetzt ein Klassiker der Kinderliteratur.
Die Esoterikbranche knüpft dagegen an die Legende von der Heilkraft des Fabelwesens an. Es gibt Einhorn-Sommercamps und Meditationskurse, die für spirituelle Energie sorgen oder zu einem höheren Bewusstsein führen sollen. Mal wird es als Beschützer, mal als Lichtwesen verstanden, und man kann sogar zu ihm beten. An dieser vielfältigen Faszination dürfte sich auch künftig nichts ändern und die Einhorn-Forschung weitergehen, meinen Bernd Roling und Julia Weitbrecht. Denn, so Weitbrecht, das Einhorn ist ein Tier, ...
Ausstellung
"Einhorn – Eine fabelhafte Geschichte"
Die Sonderausstellung "Einhorn – eine fabelhafte Geschichte" zeigt, dass das Fabelwesen schon seit Jahrhunderten die Menschen beschäftigt. Das Museum Aargau präsentiert in der kleinen Ausstellung Objekte für unterschiedliche Bedeutungen, die dem Tier zugeschrieben worden sind – vom Mittelalter bis zur Gegenwart.
Buchtipp
SWR2 lesenswert Kritik Bernd Roling, Julia Weitbrecht – Das Einhorn. Geschichte einer Faszination
Bernd Roling, Professor für Mittel und Neulatein und Jutta Weitbrecht, Professorin für Ältere deutsche Spache erkunden gemeinsam die Kulturgeschichte des Einhorns. Die Beschäftigung mit dem Einhorn, das als Heilsbringer und Freiheitsdrang bis heute fasziniert, wirft ein Schlaglicht auf die Grundfiguren mittelalterlichen Denkens.
Hanser Verlag, 160 Seiten, 24 Euro
ISBN 978-3-446-27610-9
Bernd Roling, Julia Weitbrecht: "Das Einhorn. Geschichte einer Faszination". Hanser Verlag München 2023
Julia Weitbrecht hat mit dem Philologen Bernd Roling das Buch "Das Einhorn – Geschichte einer Faszination" geschrieben. Als er das Thema vorschlug, reagierte sie zunächst skeptisch. Ihr war das Fabeltier als popkulturelles Phänomen suspekt, im Gegensatz zu ihrem Kollegen.
SWR 2023
Buchkritik Bernd Roling, Julia Weitbrecht: Das Einhorn. Geschichte einer Faszination
Bernd Roling, Professor für Mittel und Neulatein und Jutta Weitbrecht, Professorin für Ältere deutsche Spache erkunden gemeinsam die Kulturgeschichte des Einhorns. Die Beschäftigung mit dem Einhorn, das als Heilsbringer und Freiheitsdrang bis heute fasziniert, wirft ein Schlaglicht auf die Grundfiguren mittelalterlichen Denkens.
Rezension von Andrea Gnam.
Hanser Verlag, 160 Seiten, 24 Euro
ISBN 978-3-446-27610-9