März 2020. Die Coronakrise, der Testfall für das Homeoffice: Arbeitskonzentration, Kommunikation, Vereinbarkeit von Privatleben und Arbeit. Was hat gut geklappt, wo lagen die Probleme, was kann man für die Zukunft lernen?
Präsenzkultur 2016: Nur rund 12 Prozent der Beschäftigten im Homeoffice
Susanne Steffes ist Juniorprofessorin am ZEW, dem Mannheimer Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung. Sie hat schon vor Corona begonnen, die Arbeit im Homeoffice zu erforschen. Mit Wissenschaftlern des ZEW und des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung befragt sie seit 2012 alle zwei Jahre Betriebe und Beschäftigte über ihre Homeoffice-Erfahrungen. Die Ergebnisse sind repräsentativ für Unternehmen in der Privatwirtschaft ab fünfzig sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten.
Arbeitgeber fürchten Ineffektivität, Arbeitnehmer schätzen Konzentration
Die Befunde vor Corona waren ziemlich ernüchternd. Bis zum Jahr 2016 arbeiteten nur ca. 12 Prozent der deutschen Beschäftigten regelmäßig im Homeoffice. Das ist eine für Deutschland typische Präsenzkultur. Unternehmerinnen und Führungskräfte lehnten Homeoffice vor Corona ab, weil sie fürchteten, zu Hause werde nicht effektiv genug gearbeitet. Doch siebzig Prozent der Befragten sagten in einer Studie der AOK zum Arbeitsleben im Jahr 2019, dass sie im Homeoffice prinzipiell konzentrierter arbeiten können.
Steigerung des Homeoffice-Anteils seit Corona
Seit der Coronakrise arbeiten etwa 30 Prozent der Beschäftigten im Homeoffice. Und zwar fünf Tage in der Woche. Und das klappt eigentlich relativ gut. Das ist die Quintessenz der Studien, die bisher während der Coronakrise zur Homeoffice-Arbeit durchgeführt wurden.
Laut der „HDI Berufe-Studie 2020“ vom September 2020 sind 28 Prozent der berufstätigen Baden-Württemberger ins Homeoffice gewechselt, was dem Bundesdurchschnitt entspricht; in Rheinland-Pfalz waren es mehr, nämlich 33 Prozent.
Zwischenergebnis fällt bei Beschäftigten eher positiv aus
Florian Kunze von der Universität Konstanz, dessen Team Beschäftigte zwölfmal im Homeoffice befragt hat, verweist auf seine Zahlen. Zum Beispiel bei der Frage, wie gut gearbeitet wird: Fast 80 Prozent sagen darin, dass sie eigentlich sehr produktiv sind, wenn sie zu Hause arbeiten und auch mit sehr hohem Engagement dabei sind. „Engagement“ bezieht sich darauf, wie motiviert jemand ist, arbeiten zu wollen. Diese hohen Zahlen kamen für die Forschung überraschend.
Und wie gut waren Privatleben und Arbeit unter einen Hut zu bringen? Die Mehrheit der Befragten sagt ähnlich wie vor Corona, dass sich beides stark miteinander vermischt hat. Aber im Durchschnitt bewerten sie das nicht negativ, denn im Großen und Ganzen war es für sie miteinander vereinbar.
Laut „HDI Berufe-Studie 2020“ fordern 41 Prozent der in Baden-Württemberg Beschäftigten nach der Corona-Krise mehr Heimarbeitsplätze. Damit ist dieser Wunsch hier stärker als in jedem anderen Bundesland, denn der Bundesdurchschnitt liegt bei 35 Prozent.
Homeoffice: problematisch für Alleinerziehende und Eltern ohne Kinderbetreuung
Alles bestens also? Nicht ganz, denn nicht alle haben so viel Glück und verfügen über ein eigenes Arbeitszimmer und über Kinderbetreuung. Für Alleinerziehende sieht das ganz anders aus. Außerdem müsse man bei den Studienergebnissen nicht nur zwischen Männern und Frauen unterscheiden, meint Susanne Steffes vom Mannheimer Leibniz Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung. Sondern auch zwischen Eltern mit und ohne Kinderbetreuung.
In puncto Arbeitskonzentration macht Kinderbetreuung bei Frauen fast keinen Unterschied aus: mit oder ohne Kind sind die Werte ungefähr gleich hoch. Männer dagegen, die Kinder betreuen, gaben um zehn Prozent häufiger an, dass sie sich nicht so gut konzentrieren konnten. Anders sieht es wieder aus, wenn es um die Effizienz der Arbeit geht, wie viel man also pro Zeiteinheit schafft. Vierundvierzig Prozent der Frauen, die Kinder betreuten, sagten, dass sie weniger effektiv arbeiteten, aber nur sechsundzwanzig Prozent der kinderlosen Frauen. Bei Männern sind die Unterschiede nicht so groß.
Erstaunliche Ergebnisse, die Susanne Steffes so deutet: Frauen, die in Homeoffice gingen, wurden stärker belastet und abgelenkt, auch wenn sie sich intensiv auf ihre Arbeit konzentrierten.
Fazit: pro Woche zwei bis drei Tage im Homeoffice erwünscht
Homeoffice ist dann gut, wenn man sich selbst frei dafür entscheiden kann und wenn es die Büroarbeit nicht völlig ersetzt. Das kommt bei allen Studien zum Homeoffice heraus. In der Konstanzer Studie von Florian Kunze sieht der Zukunftstrend daher so aus: Die Wunschvorstellung liegt in der Tendenz zwischen zwei und drei Tagen Homeoffice pro Woche.
In Zukunft, so Kunze, wird es die Attraktivität eines Unternehmens erhöhen, wenn es seinen Beschäftigten ermöglicht, flexibel sowohl im Büro als auch im Homeoffice zu arbeiten. Die alte Furcht mancher Unternehmerinnen und Unternehmer, dass zu Hause weniger gut gearbeitet werde, hat mit Corona jedenfalls stark abgenommen. Einige Unternehmen senden bereits entsprechende Signale.
Unternehmen schwenken um: Rund 50 Prozent bauen Homeoffice aus
Nicht nur Siemens möchte in Zukunft Homeoffice ermöglichen. Nach Studien der Fraunhofer Gesellschaft und des Münchner Instituts für Wirtschaftsforschung sind inzwischen knapp mehr als die Hälfte der deutschen Unternehmen bereit, Homeoffice künftig anzubieten oder auszubauen. Die Bereitschaft der Unternehmen, Homeoffice anzubieten, ist inzwischen aber an Grenzen gestoßen. Die von Bund und Ländern vorübergehend eingeführte Homeoffice-Pflicht für Unternehmen endete am 30. Juni 2021. Ein grundsätzliches „Recht auf Homeoffice“ konnte das Bundesarbeitsministerium nicht durchsetzen.
"Recht auf Homeoffice": 60 Prozent der Tätigkeiten gar nicht Homeoffice-fähig
Das Hauptargument gegen ein generelles Recht auf Arbeit lautet: Es sind eher qualifizierte Büro- und Dienstleistungstätigkeiten, die überhaupt in Homeoffice durchgeführt werden können. Dagegen sind circa 60 Prozent aller anderen Tätigkeiten nicht Homeoffice-fähig, vor allem in der Produktion.
Die Mannheimer Forscherin Susanne Steffes sieht daher ein Gerechtigkeitsproblem, wenn künftig diejenigen, die sowieso schon besser bezahlt werden, ihr Recht auf Homeoffice einfordern könnten, andere aber nicht. Und das zum Teil sogar innerhalb ein und desselben Unternehmens. Inzwischen fragen sie bereits Managerinnen und Manager, wie sie mit dieser Situation umgehen können.
Gewerkschaften fordern Recht auf selbstbestimmtes Arbeiten
„Ein Recht auf selbstbestimmtes mobiles Arbeiten muss her!“ – fordert dagegen für die Gewerkschaften ganz entschieden Bertold Brücher. Er ist Referatsleiter für Sozialrecht im DGB-Bundesvorstand. Wenn sich Homeoffice in Zukunft ausweiten wird, so sein Argument, wäre es fahrlässig, seine Gestaltung allein dem freien Spiel der Kräfte zu überlassen. Ein Gesetz zum Recht auf Homeoffice müsse daher absichern, dass Arbeitszeiten nicht uferlos ausgedehnt werden können und der Arbeits- und Gesundheitsschutz auch zu Hause eingehalten wird: vom ergonomisch gestalteten Arbeitsstuhl bis hin zum richtigen Abstand zum Monitor. Und ein digitales Zugangsrecht für die Gewerkschaft braucht es auch.
Die Diskussion um das Homeoffice der Zukunft hat also erst begonnen. Solche Forderungen machen aber jetzt schon klar: Es geht dabei nicht nur um die Frage wer, wie und wo überhaupt zu Hause arbeiten wird. Die Debatte wird auch eine enorme politische Sprengkraft besitzen.
SWR 2020/2021
Homeoffice
Aula Corona – Wie durch die Pandemie neue Arbeitsformen entstehen
Die Pandemie scheint ein Katalysator zu sein für Veränderungen. Wegen Corona tragen Friseure jetzt Gesichtsmasken. Andere wiederum verlegen ihren Arbeitsplatz nach Hause und nutzen vermehrt digitale Medien. Sieht so die Zukunft der Arbeit aus? Antworten gibt der Zukunftsforscher Matthias Horx im Gespräch mit Ralf Caspary.
Wort der Woche Erreichbarkeitsfalle
Die Möglichkeit im Homeoffice zu arbeiten, gab es bereits vor der Corona-Pandemie. Spätestens seit dem Lockdown gehört das Arbeiten von zu Hause aus aber für viele Menschen zu ihrem Alltag. Was so angenehm klingt, birgt allerdings die Gefahr der Erreichbarkeitsfalle. Denn per Mail, WhatsApp oder Mobiltelefon kann man jederzeit von seinem Vorgesetzten kontaktiert werden. Die fehlende Trennung zwischen Privat- und Arbeitsleben führt unter Umständen zu gesundheitlichen Problemen - man kann nicht mehr abschalten.