Weil der Alkoholkonsum in Europa stagniert, erobern Brauereikonzerne nun Afrika. Experten fordern, dass die Weltgesundheitsorganisation energisch eingreift.
Im Visier der Big Player des Alkoholbusiness
Die großen Konzerne sehen Afrika als vielversprechenden Markt. Der Kontinent ist bislang nur wenig erschlossen. Deshalb wird der Alkoholverkauf dort aggressiv vorangetrieben. Die relativ wenigen Alkoholkonsumenten dort trinken pro Kopf viel zu viel. Die Konzerne wissen das; sie wissen auch, dass ihre Produkte in Afrika mehr Menschen töten als anderswo. Deshalb manipulieren sie die Öffentlichkeit und korrumpieren Politiker, Internationale Organisationen und die Wissenschaft.
In Afrika wuchs der Bierkonsum rasant – bis zum Corona-Lockdown
Bier ist das meist meistverkaufte Alkoholgetränk in Afrika. Der Umsatz wuchs in den vergangenen Jahren dreimal so schnell wie im Rest der Welt. Bis zum Beginn der Corona-Pandemie: Denn mit den Corona-Lockdowns wurde in vielen afrikanischen Ländern und Städten auch der Verkauf von Alkohol unterbunden oder gar verboten.
Nutznießer sind wenige internationale Konzerne
Einer der Big-Bier-Player in Afrika ist Anheuser-Busch Inbev, kurz AB Inbev, der größte Brauereikonzern der Welt mit Sitz in Brüssel. AB Inbev verkauft fast ein Viertel des industriell gebrauten Bieres weltweit. Der Jahresumsatz liegt bei 50 Milliarden Euro. Verkaufte Marken sind Budweiser, Beck‘s und Löwenbräu. An zweiter Stelle in Sachen Bierverkauf weltweit sind Heineken und Diageo, der größte Spirituosenproduzent weltweit mit Marken wie Johnny Walker Whisky und Smirnoff Wodka.
Alkoholkonzerne verdienen hervorragend an Afrika
2017 erzielten die drei Konzerne zusammen rund 100 Milliarden Euro Umsatz und über 13 Milliarden Euro Gewinn. An diesem Gewinn ist das Wachstum in Afrika maßgeblich beteiligt. Heineken zum Beispiel verkauft in Afrika 15 Prozent seines Biers, erzielt dort aber 21 Prozent seines Gewinns.
Sie zielen vor allem auf die Mittelschicht
Beispiel Kenia. Dort wächst die Mittelschicht. Sie ist der interessanteste Markt für die Big Player im Alkoholbusiness. Die haben ihre Werbung mittlerweile ganz spezifische auf einzelne Bevölkerungsgruppen zugeschnitten: Süße pinkfarbene Wodka-Produkte für Frauen, coole Drinks für junge Leute – und angeblich zuckerfreie und deshalb gesunde alkoholische Getränke für ältere Männer. Afrika gilt als ein Markt aus meist wenig gebildeten Konsumenten, die sich nach einem besseren Leben sehnen und nur allzu gern an die Glitzer-Botschaften der Alkoholkonzerne glauben.
Alkoholkonzerne sponsern Sportveranstaltungen und Popgruppen
Die Konzerne bestreiten, dass sie Jugendliche zum Trinken verführen wollen. Gleichzeitig sponsern sie aber Fußball- und Rugby-Mannschaften, die überwiegend Jugendliche Fans haben. Und das Diageo-Unternehmen East African Breweries Limited, kurz EABL, machte kürzlich eine der beliebtesten Pop-Gruppen – die Boyband Sauti Sol - zu seinem Markenbotschafter. Die Pop-Band wirbt jetzt für einen Billig-Wodka mit dem Namen Chrome.
Die Zielgruppe sind junge Leute. „Du hast nicht viel Geld“, lautet die Botschaft. „Trotzdem kannst du dir Chrome leisten und Spaß haben mit deinen Freunden – natürlich auch als Frau. Probiere das süße Chrome Lemon. Du wirst es genießen.“ Mit der Band Sauti Sol als Markenbotschafter veranstaltet der Alkoholkonzern Konzerte in Universitäten – und rührt dabei die Werbetrommel.
Viele Afrikaner stellen Alkohol illegal her
Im Slum Mathare zum Beispiel, ist es nicht schwer, den Weg zu Agnes Achieng zu finden. Sie brennt Chang’aa – einen unter den Armen Kenias überaus populären Schnaps aus Hirse, Mais und Sorghum.
Agnes‘ Brennerei besteht aus drei großen, aufeinander gestellten Gefäßen, alle Ritzen sorgfältig mit Lehm abgedichtet, darunter ein qualmendes Feuer.
Um Chang’aa herzustellen, mische ich Hirse mit Zucker und Wasser und lasse die Mischung zwei Wochen lang gären. Den vergorenen Brei erhitze ich dann in diesem Topf; das Destillat steigt als Dampf in den Topf darüber; und auf dem steht ein dritter Topf mit Kühlwasser. Sechsmal wechsle ich das Wasser; und nach drei Stunden habe ich dann sechs Liter Chang’aa – einen wunderbar gebrannten Schnaps, wie ihn schon unsere Großväter getrunken haben – ohne chemische Zusätze.
Den Liter Chang’aa verkauft Agnes für 600 kenianische Schilling, das sind umgerechnet fünf Euro. Und am Wochenende ist Party. Ein kleines Glas Chang'aa kostet dann 20 Schilling. D.h. für weniger als zwei Euro kann man sich damit betrinken.
Illegal gebrannter Alkohol enthält oft giftige Chemikalien
Um die Wirkung des Alkohols zu verstärken, werden Stoffe wie Methanol, Flugzeugbenzin und andere Chemikalien beigemischt, berichtet Wendy Gaya, leitende Mitarbeiterin der kenianischen Drogenbehörde NACADA. Zwischen 2009 und 2016 seien 3.000 Kenianer an illegal produziertem Alkohol gestorben.
Das wiederum gelte als willkommene Legitimation für Alkoholkonzerne, illegale Produkte und auch traditionell hergestellte Getränke wie Palmwein und Bananenbier pauschal zu verteufeln, sagt Wendy Gaya. Als Alternative empfiehlt Big Alcohol industriell gebrautes Billigbier.
In Afrika ist Komasaufen weit verbreitet
25 Prozent der Komasäufer leben in Afrika. In Mitteleuropa sind geschätzt zwei bis drei Prozent der Erwachsenen alkoholkrank, in vielen afrikanischen Ländern wird die Zahl auf ganze zehn Prozent geschätzt.
Experten führen das exzessive Trinken der Afrikaner unter anderem darauf zurück, dass Big Alcohol systematisch die Freude der Menschen am Feiern instrumentalisiere. Zum anderen seien es aber auch die schwierigen Lebensumstände, die viele in den Alkohol treiben würden.
Der steigende Alkoholkonsum fördert die Ausbreitung von Krankheiten
Die Menschen in Afrika, die bereits alkoholkrank sind, leiden an diversen Krankheiten. Darunter Diabetes, Krebs an Kehlkopf-, Speiseröhre- und Bauchspeicheldrüse und auch an Depressionen. Diese münden oft in Selbstmord, auch bei den Angehörigen der Trinker. Außerdem sind Fälle von früh einsetzender Demenz und einem zerrütteten Immunsystem zu beoachten. Zehn Prozent aller Tuberkulosefälle weltweit beruhen auf Alkoholkonsum, der im übrigen auch eine wichtige Ursache der HIV/Aids-Pandemie darstellt. Denn: Wer betrunken ist, achtet weniger auf sicheren Sex.
Die Behandlung dieser Erkrankungen ist schwierig und teuer; die karg ausgestatteten Gesundheitssysteme Afrikas sind damit völlig überfordert.
Für Schwangere ist Alkohol besonders verheerend
Schließlich wirkt sich der Alkoholkonsum negativ auf die ungeborenen Kinder aus. Experten sprechen von fetalen Alkohol-Spektrumsstörungen und, bei voll ausgebildeten Symptomen, vom fetalen Alkoholsyndrom.
Betroffene Kinder bleiben sehr klein; sie leiden an Missbildungen des Gesichts und Schäden am Nervensystem. Ihr Gehirn ist unterentwickelt; sie sind lernschwach, verhaltensgestört und enden später oft im Gefängnis.
Südafrika hat die höchste Rat alkoholbedingter Schäden bei Säuglingen
Da in Südafrika inzwischen viele Frauen trinken und das auch während der Schwangerschaft, hat das Land die mit Abstand höchste Rate alkoholbedingter Fruchtschäden weltweit. Jahr für Jahr werden in Südafrika 70- bis 80.000 Kinder mit fetalen Alkoholspektrumsstörungen geboren. Mindestens drei Millionen Menschen in Südafrika sind von Geburt an alkoholgeschädigt.
In manchen Regionen leidet fast jedes vierte Kind an den Folgen einer Alkoholschädigung der Eltern.
Die WHO ist gegenüber den Alkoholkonzernen machtlos
Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat bereits 2010 Empfehlungen zur Kontrolle des Alkoholgebrauchs verabschiedet: Regierungen sollen Alkoholwerbung in Verbindung mit sportlichen und kulturellen Aktivitäten und den Verkauf in der Nähe von Schulen verbieten. Außerdem fordert die WHO, die Alkoholsteuern zu erhöhen, weil das erwiesenermaßen den Konsum reduziert.
Die Konzerne setzen ihre Macht als Wirtschaftsfaktor ein
Heineken zum Beispiel strebt an, zwei Drittel seiner Rohstoffe wie Sorghum, Maniok und Gerste von heimischen Bauern zu beziehen. AB Inbev hat 2017 allein 200 Millionen US-Dollar in Südafrika investiert. Diageo baut für 150 Millionen Dollar eine Brauerei in Kenia. Damit verbunden sind tausende Arbeitsplätze und Lieferverträge für 15.000 Sorghum-Bauern.
Tatsächlich verdient Big Alcohol vor allem am exzessiven Trinken. In Afrika werden 80 Prozent des Alkohols im Rahmen von Alkoholexzessen getrunken, in Südafrika sogar 94 Prozent. Big Alcohol pflegt diskrete Beziehungen zu Politikern: In Südafrikas Parlament schimmelt seit 2013 ein vom Kabinett längst verabschiedetes Gesetz vor sich hin, das Alkoholwerbung drastisch einschränken soll. Umgesetzt wurde es bislang nicht.
Der Globale Fonds arbeitet mit Alkoholkonzernen zusammen
Selbst der Globale Fonds zur Bekämpfung von HIV/Aids, Tuberkulose und Malaria torpediert den Kampf gegen Alkoholmissbrauch: Dabei handelt es sich um eine Institution, die zu 95 Prozent mit Steuermitteln der Industrieländer finanziert wird.
Anfang 2018 schloss dieser Fonds sogar eine Afrika-Partnerschaft mit Heineken, um – so heißt es – die logistischen Möglichkeiten des Konzerns für die Verteilung von Medikamenten zu nutzen.
Damit fördert der Globale Fonds ein Unternehmen, dessen Produkte zwei der Krankheiten mit verursachen, die der Fonds eigentlich bekämpfen soll: HIV/Aids und Tuberkulose. Ein klarer Interessenkonflikt. Erst als bekannt wurde, dass Heineken in Afrika so genannte Promo-Girls benutzt – hübsche Mädchen, die in Kneipen Heineken-Bier anpreisen und sich dabei auch prostituieren – erst nach dieser Enthüllung suspendierte der Globale Fonds seine Partnerschaft mit Heineken – allerdings nur vorläufig.
Corona-Pandemie: Drastischer Rückgang des Alkoholkonsums in Afrika
Zu einem drastischen Rückgang des Alkoholkonsums in Afrika hat nun, immerhin, die Corona-Pandemie geführt. Etliche Regierungen verboten zeitweise den Alkoholverkauf; und viele Menschen haben dafür schlicht kein Geld mehr. Eine wissenschaftliche Untersuchung in Südafrika dokumentiert, dass dort während des Lockdowns inklusive Alkoholverkaufsverbots rund 70 Prozent weniger Gewaltopfer in die Krankenhäuser eingeliefert wurden. Mitte Juli hat Südafrikas Regierung das zeitweise Alkoholverkaufsverbot erneut verhängt. Die Regierung will die knappen Krankenhausbetten freihalten für Corona-Patienten.
SWR 2018/2020