Vor rund 200 Jahren, zwischen Mai und September 1823, vertont Franz Schubert zwanzig Gedichte aus Wilhelm Müllers „Die schöne Müllerin“ und schafft damit eine der bedeutendsten Liedkompositionen der Romantik. Der deutsche Tenor Julian Prégardien setzt sich im Zusammenhang mit dem Jubiläum intensiv mit der „Müllerin“ auseinander.
Das Wandern ist des Müllers Lust – und sein Untergang
Mit der „Schönen Müllerin“ komponiert Franz Schubert einen der Höhepunkte des romantischen Lieds. Überschwängliche Freude, rasende Eifersucht und Todtraurigkeit liegen in den zwanzig Liedern des Zyklus extrem nah beieinander.
Ein Müllergeselle befindet sich auf Wanderschaft. Er folgt dem Lauf eines Baches, bis er zu einer Mühle kommt. Hier will er in die Lehre gehen und verliebt sich ausgerechnet in die Tochter seines Dienstherren.
Doch die schöne Müllerin bleibt für den Gesellen unerreichbar: Sie verguckt sich statt ihm in einen starken und virilen Jäger. Wütend und verzweifelt über seine unerfüllte Liebe, ertränkt sich der Müllergeselle im Bach.
Unerfüllte Liebe zu einer Dichterin
Schubert bedient sich für seine Liedkompositionen an den Gedichten des Dessauer Dichters Wilhelm Müller. Als 18-Jähriger kommt Müller 1812 zum Studieren nach Berlin und findet dort bald Anschluss in den literarischen Salons der preußischen Hauptstadt. Er verkehrt im Umfeld von Gustav Schwab, Achim von Arnim, Clemens Brentano und Ludwig Tieck.
Müller verarbeitet in „Die schöne Müllerin“ vor allem seine unerfüllte Liebe zur Dichterkollegin Luise Hensel. Auch sein späterer Gedichtzyklus „Winterreise“, ebenfalls von Schubert erfolgreich vertont, ist aus den nicht erwiderten Gefühlen an Luise Hensel entstanden. Müller stirbt schließlich 1827 im Alter von 32 Jahren an einem Herzinfarkt.
Musikstunde Franz Schubert entdecken (1-5)
Auch heute noch ist Schubert zu entdecken. Wer kennt die frühen Schiller-Vertonungen, die italienischen Stücke oder seine Werke des Musiktheaters. Die Musikstunde ist dem unbekannteren Schubert auf der Spur.
Prégardien auf der Suche nach Interpretationsansätzen
Der deutsche Tenor Julian Prégardien hat sich rund um den 200. Geburtstag der „Müllerin“ noch einmal intensiv mit dem Werk auseinandergesetzt. Dafür hat er sich in der SWR Kultur Dokumentation „Die schöne Müllerin und die unerfüllte Liebe“ mit Musik- und Literaturwissenschaftlern, mit einer Gender-Forscherin, einem Arzt oder auch einem Schuhmacher unterhalten.
So weist etwa die Genderforscherin Petra Unger darauf hin, dass die namensgebende Müllerin in Müllers Gedicht nur als Objekt und nicht als gleichwertiges Gegenüber für den Müllergesellen fungiert. Ihre Perspektive auf die Handlung, ihre Gedanken und Entscheidungen werden vom Protagonisten überhaupt nicht aufgenommen.
Dass der junge Müllergeselle gar nicht zurechnungsfähig ist, meint hingegen Dr. med. Viktor Kacic, Chefarzt für Kinder- und Jugendpsychologie am Klinikum Aschaffenburg. Eine akute Verliebtheit wirke auf das Verhalten ähnlich wie eine Psychose. Der oder die Verliebte leide unter Realitätsverlust. Und wenn die Liebe unerfüllt bleibe, reagierten vor allem junge Männer gerne völlig irrational.
ARD Mediathek Die schöne Müllerin und die unerfüllte Liebe
Franz Schuberts Liederzyklus „Die schöne Müllerin“ ist 200 Jahre alt geworden. Startenor Julian Prégardien wirft einen neuen Blick auf die Geschichte der unerfüllten Liebe.
Schubert komponiert die „Müllerin“ teils im Krankenhaus
Auch Franz Schubert selbst konnte sich mit den Texten von Wilhelm Müller wohl ziemlich gut identifizieren, erklärt der Musiker und Intensiv-Mediziner Prof. Dr. Klaus-Felix Laczika. Er habe wohl allein schon ob seines Aussehens nicht die allergrößten Chancen bei den Frauen gehabt. Er nimmt mit den Jahren immer mehr zu und greift immer mehr zum Alkohol.
Um seine Gesundheit ist es schließlich nicht mehr zum Besten bestellt. Im Herbst 1823 begibt sich Schubert zur Behandlung in ein Krankenhaus. Weswegen, ist nicht eindeutig überliefert. In der Forschung geht man von einer Geschlechtskrankheit, wahrscheinlich Syphilis, aus.
Ungeachtet der Entstehungsumstände: Neben der „Winterreise“ bleibt „Die schöne Müllerin“ eines der eindrucksvollsten Werke Schuberts, dessen Handlung und jugendliche Leidenschaft bis heute Sänger wie Hörer*innen in ihren Bann zieht. Die Reise des verliebten Müllers, sie ist auch nach 200 Jahre noch lange nicht zu Ende.
Künstler Norbert Bisky inszeniert die „Müllerin“ in Ludwigsburg
Gespräch Malerstar Norbert Bisky inszeniert „Die schöne Müllerin“ in Ludwigsburg
Auf Wanderschaft findet ein junger Müllergeselle seine große Liebe und wird zerrissen von der Frage: Liebt sie mich? Liebt sie mich nicht? Im barocken Ludwigsburger Schlosstheater trifft dieser romantische und melancholische Stoff auf Bilder des Künstlers Norbert Bisky.
Verschiedene Interpretationen der „Schönen Müllerin“
Musikmarkt: Hörbuch-Tipp Leidensgeschichten mit Schuberts „Die schöne Müllerin“ von Stefan Weiller
Der freischaffende Künstler und Journalist Stefan Weiller beschäftigt sich immer wieder mit Menschen in extremen Lebenssituationen und ihren Grenzerfahrungen. Und so sucht er in seinen Arbeiten neue Ausdrucksformen für soziale und gesellschaftspolitische Themen. Zwei dieser Kunstprojekte sind bisher als Hörbücher entstanden: „Deutsche Winterreise“ und „Letzte Lieder“. Darin geht es um Obdachlosigkeit und um Gespräche mit Sterbenden über die Musik ihres Lebens. Für sein jüngstes Projekt hat er Franz Schuberts Liederzyklus "Die schöne Müllerin" als Grundlage genommen, um von Obdachlosen, Suchtkranken, Gewaltopfern und Stalkern zu erzählen. Dorothea Hußlein hat sich dieses Hörbuch bereits angehört.
Album-Tipp „Schöne Müllerin“ mit Samuel Hasselhorn und Ammiel Bushakevitz
Fünf Schubert-CDs wollen Samuel Hasselhorn und Ammiel Bushakevitz in den nächsten Jahren bei Harmonia Mundi zusammen aufnehmen. Schubert 200 heißt das Projekt, 2028 ist Schubert-Jahr, da feiert die Welt den 200. Todestag des Wiener Romantikers. Die erste CD ist der „Schönen Müllerin“ gewidmet – und sie verspricht viel. SWR2 Musikkritikerin Christine Lemke-Matwey ist von der Aufnahme überzeugt: „Hier ein Rubato, dort ein Piano – schon tanzen die Mühlsteine!“