Werkkommentar von Georg Friedrich Haas
Vor einigen Jahren schrieb ich meine Memoiren nieder. Erinnerungen an die Kindheit und Jugend – in einer Familie, die sich selbst als "anständige Nationalsozialisten, die ihrer Gesinnung immer treu geblieben sind" definierte. Ich schrieb über die Gewalt und den Missbrauch, denen ich ausgesetzt war. Und ich beschrieb das Netzwerk der Altnazis, das Österreich durchdrang, und von dem ich einen kleinen Teil mit eigenen Augen und Ohren wahrnehmen konnte.
Als 17-Jähriger hatte ich Gedichte voller Weltschmerz verfasst. Sie sind verschollen, und ich erinnere mich nur an wenige Zeilen. Eine davon lautete "weiter und weiter und weiter" – und dann sagte ich irgendwie, dass die Qual immer dieselbe bliebe.
Meine Memoiren werden demnächst veröffentlicht – wissenschaftlich aufgearbeitet. Während ich an dem Werk für das Ensemble Modern und Donaueschingen arbeitete, war ich im Austausch mit den Herausgebern. Und meine Vergangenheit wurde mir ständig präsent.
In weiter und weiter und weiter... gestalte ich konsequente Beschleunigungen. 45 Minuten lang wird ein ewiges, unbarmherziges Accelerando zelebriert. Das Stück besteht aus kleineren Elementen – z. B. eine dramatische Geste am Anfang des Stückes, die plötzlich abbricht – dann bleibt nur mehr der leise Nachhall der durch E-Bows zum Schwingen gebrachten Klaviersaiten übrig.
Diese Modelle werden wiederholt, zunächst in großen Abständen (der längste beträgt mehr als drei Minuten). Dann werden die Abstände immer kürzer, die Modelle verändern sich, werden "abgeschliffen", prasseln zuletzt in schnellen und immer schnelleren Abständen aufeinander und verschwinden schließlich zitternd in Tremoli oder Trillern. Andere Modelle kommen dazu – jedes macht diese Entwicklung durch; sie überlagern sich (bis zu fünf Modelle gleichzeitig).
Obertonreihe und "just intonation" spare ich aus. Aber zwei im Vierteltonabstand gestimmte Klaviere und ein Vierteltonakkordeon geben dem Ensemble eine sichere Grundlage für präzise realisierte Mikrotonalität.
An Ende zitiere ich Haydns Abschiedssymphonie. Nicht als alleruntertänigstes Ersuchen an Seine Erlaucht, doch endlich die Gnade der Heimreise zu gewähren, sondern als Statement: Wir haben immer die Möglichkeit, aufzustehen und wegzugehen.
weiter und weiter und weiter... ist den beiden Herausgebern meiner Memoiren in Dankbarkeit gewidmet: Oliver Rathkolb und Daniel Ender.
English
A few years ago, I wrote down my memoirs. Memories of childhood and youth – in a family that defined itself as "decent National Socialists who have always remained true to their beliefs". I wrote about the violence and abuse to which I was subjected. And I described the network of old Nazis that permeated Austria, a small part of which I was able to perceive with my own eyes and ears.
As a 17-year-old, I had written poems full of Weltschmerz, a melancholic world-weariness. They are lost, and I only remember a few lines. One of them was "weiter und weiter und weiter" ("on and on and on") – and then I somehow said that the agony would always remain the same.
My memoirs will be published soon – academically edited. While I was working on the piece for Ensemble Modern and Donaueschingen, I was in exchange with the editors. And my past became constantly present to me.
In weiter und weiter und weiter... I create constant accelerations. For 45 minutes, an eternal, relentless accelerando is celebrated. The piece consists of smaller elements – for example, a dramatic gesture at the beginning of the piece that suddenly breaks off – then all that remains is the faint reverberation of piano strings made to vibrate by e-bows.
These models are repeated, at first at long intervals (the longest is more than three minutes). Then the intervals become shorter and shorter, the models change, become "ground down", at last clattering on top of each other in rapid and increasingly faster intervals, and finally disappear tremulously in tremolos or trills. Other models come in – each one goes through this development; they overlap (up to five models at the same time).
I leave out the overtone series and just intonation. But two pianos tuned in quarter-tone intervals, and a quarter-tone accordion, give the ensemble a secure base for precisely-realized microtonality.
At the end I quote Haydn’s Farewell Symphony. Not as a humble request to His Majesty to finally grant the grace of returning home, but as a statement: we always have the possibility to get up and leave.
weiter und weiter und weiter... is dedicated in gratitude to the two editors of my memoirs: Oliver Rathkolb and Daniel Ender.
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