Donaueschinger Musiktage 2000 | Werkbeschreibung

Werke des Jahres 2000: "Musik für Gerhard Richter"

Stand
Autor/in
Andreas Dohmen

Beschreibung eines Arbeitsprozesses

(zur Entstehung der acht Bilder des Zyklus S. mit Kind von Gerhard Richter * )

Die acht Bilder des Zyklus S. mit Kind sind im Jahr 1995 entstanden. Auslöser waren Fotografien, die Richter selbst in dieser Zeit von seiner jungen Frau und dem Neugeborenen machte. Begonnen wurde im Februar; bis August wurde an den Bildern gearbeitet...Diesmal wurde jedes Bild für sich gemalt, nicht gleichzeitig mit anderen. Zunächst übertrug Richter die Konturen mit Bleistift auf eine Leinwand und entschied dabei über Format und Bildausschnitt. Sodann wurde die Fotografie Detail für Detail präzise und fein abgemalt... Es handelt sich um eine Art Rekonstruktion des Ereignisses. Nelkenöl und abdeckende Folien halten die Farbe feucht. Mit weichem, breitem, trockenem Pinsel wurden dann die Unschärfen, die fließende Übergänge... hergestellt. Dabei gilt es, den Fotorealismus "in eine andere Qualität umschlagen zu lassen", aus der abgemalten Fotografie ein Bild zu machen.

Angesichts des jetzt sehr schönen und harmonischen Bildes drängt sich "fast eine Zerstörungspflicht" auf. Die "Sehnsucht nach konstruktiver Schönheit"... kippte um: "Man kann das Bild nur noch zerstören." Mit unterschiedlich breiten, selbstgebauten Spachteln wird die noch feuchte Farbe mit mal stärkerem, mal leichterem Druck abgeschabt, zerkratzt, ineinandergeschoben...

Beim ersten Bild wird ein normal großer Spachtel mit unterschiedlicher, – beim zweiten Bild mit gleichbleibender Intensität waagerecht geführt... Beim dritten Bild, für das nochmals die Fotovorlage des ersten Bildes verwendet wurde, legte Richter, weil das waagerechte Abschaben des Unschärfe-Zustandes ein unzulängliches Resultat erbracht hatte, eine Schicht weißer Farbe darüber, kratzte sie teilweise ab, schmierte Grün auf einen Spachtel und trug es senkrecht auf, jedoch mit unterschiedlichem Druck, so dass die Farbe nicht überall fasste.

Das vierte Bild wird ganz mit rotblauer Farbe überstrichen und dann waagerecht abgekratzt, im fünften ist der Zustand der weichen Konturen ohne weitere Eingriffe erhalten geblieben. Beim sechsten Bild hat Richter einen Spachtel verwendet, der größer als das Bild selbst ist. Am linken Bildrand wurde er mit dem stärksten Druck angesetzt. Die Ergebnisse verdanken sich – wie bei den großen abstrakten Bildern – dem gesteuerten Zufall....Auch das siebte Bild ist nur in die Unschärfe versetzt, hier ist eine Deformation schon in der Vorlage enthalten: der Farbstich von Kodakolor. Das achte Bild hat Richter "brutal" mit einem breiten Eisenspachtel bis auf die Leinwand abgekratzt, was einen porösen Zustand hervorruft, den Eindruck von etwas Freigelegtem, wie ein altes Fresko.

Nach: Uwe M. Schneede, Der Wiederstreit von Nähe und Distanz, in: Broschüre über die Werke von Gerhard Richter in der Hamburger Kunsthalle (Hamburger Kunsthalle 1997, S. 32 – 35).

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Autor/in
Andreas Dohmen