In den vergangenen Jahrzehnten wurde Clara Schumann in erster Linie als „Frau von Robert Schumann“ wahrgenommen, dabei sah das zu Lebzeiten komplett anders aus: Clara Schumann war berühmt, Robert bekam keinen Fuß auf den Boden. Was diese faszinierende Pianistin und Komponistin in ihrem Wesen ausmacht, das stellt jetzt erstmals ein Buch heraus, das sich ganz ihr widmet: „Clara“ von Christine Eichel.
Risse im Bild vom Traumpaar der Musikgeschichte
Sie gelten als Traumpaar der Musikgeschichte: die schillernde Pianistin und aufopferungsvolle achtfache Mutter und der geniale, schwermütige Komponist und Künstler. Doch leider werden jetzt alle bitter enttäuscht, die sich an diesem Idealbild einer Künstlerehe ergötzt haben. Clara und Robert Schumann hatten mitnichten die große Liebe und tolle Beziehung, die uns die bisherige Musikgeschichtsschreibung weismachen will.
Christine Eichel nimmt in ihrem Buch „Clara“ die bisher wenig beleuchteten Umstände der Beziehung unter die Lupe. Die Pianistin war alles andere als eine „sanfte Muse im Schatten ihres genialischen Mannes Robert“, wie der Klappentext es auf den Punkt bringt.
Furchtlos habe sie sich über männliche Besitzansprüche hinweggesetzt, sich aus der toxischen Beziehung zu ihrem psychisch labilen Ehemann gelöst und sei durch kluge Imagepflege zum Star ihrer Zeit aufgestiegen. Claras Leben, ihre Probleme, ihre Themen sind dabei verblüffend aktuell.
Der Vater drillt Clara mit eiserner Hand
Christine Eichel beginnt ihre Biografie in Claras Kindheit, unter einem herrischen Vater, der seine einzige Tochter als Versuchskaninchen für seine neu erdachten pädagogischen Methoden benutzt, um sie zum Kinderstar zu machen und mit ihrem Klavierspiel Geld zu verdienen. Mädchen seien eben gefügiger als Jungen, so seine Überzeugung. Und deshalb musste Clara auch nach der Trennung ihrer Eltern bei Friedrich Wieck bleiben.
Wieck ist ein Mann, „der seine Tochter mit eiserner Hand erzieht“, schreibt Eichel: „Was andere als kindgerechte Aktivitäten betrachten, ist in seinen Augen nichts als Zeitverschwendung. Die einzige Erholung, die er Clara zugesteht, sind ausgedehnte Spaziergänge an der frischen Luft, um ihre körperliche Konstitution zu stärken. Was sie will, wonach sie sich sehnt, spielt keine Rolle.“
Die ersten vier Jahre ihres Lebens spricht Clara kaum, ist ein stummes Kind. Christine Eichel wagt, nicht nur hier, eine Diagnose: Es könne sich um einen durch Angststörungen ausgelösten selektiven Mutismus handeln.
Robert Schumann als Katalysator der Befreiung
Als junge Pianistin wahnsinnig erfolgreich, als Kind ausgehungert nach Liebe und Zuwendung, begegnet der vorpubertären Clara Schumann der neun Jahre ältere Robert das erste Mal im eigenen Zuhause, wo er als Klavierschüler von Claras Vater eingezogen ist.
Als erster Mensch gibt er ihr die Aufmerksamkeit, die ihr fehlt. Sie ist elf er ist zwanzig, da beginnt die schriftliche Korrespondenz, ab da steigern sich ihre gegenseitigen Schwärmereien, bis sie sich nur wenige Jahre später das erste Mal auch körperlich näherkommen. Bis zur Hochzeit vergehen allerdings noch einige Jahre.
Erst durch die Reibung an der ambivalenten Figur Robert Schumanns rege sich in Clara das Bewusstsein für ihr ganz eigenes Wünschen und Wollen, schreibt Christine Eichel. Robert werde zum „wichtigsten Katalysator ihrer inneren und äußeren Befreiung“.
Autorin Christine Eichel im Interview
Von Anfang an eine toxische Beziehung
Die Beziehung zu Robert ist dabei von Anfang an toxisch: Er betrügt sie, verspricht, es bleiben zu lassen, und tut es wieder. Er belügt sie, erpresst sie emotional, will sie kleinhalten. Robert ist neidisch auf ihren Erfolg und zwingt sie nach der Eheschließung mehr und mehr in eine Hausfrauenrolle, in der sie gar nicht sein will.
„Um wie vieles ich also klüger sein muss als Du. Überhaupt wird es Dir schwerlich gelingen, das berühmte Instrument über mich zu handhaben, ich werde Dich Wildfang zu bändigen wissen“, zitiert Eichel aus den Schriften Robert Schumanns.
Sein Frauenbild lässt auch die Autorin nicht ungerührt zurück: „Das ‚Instrument‘, von dem er spricht, ist zweifellos Claras erotische Anziehungskraft. (…) Wie Robert seinen ‚Wildfang‘ zu bändigen gedenkt, möchte man sich lieber nicht so genau vorstellen.“
Die Autorin kennzeichnet historische Möglichkeiten und Fantasie ganz klar durch entsprechende Formulierungen. Der Rest ist mit Fußnoten versehen, sauber gearbeitet und dementsprechend nachvollziehbar. Beeindruckend ist dabei vor allem der große Kontext, in den sie all das viele, bisher teilweise unbekannte, zusammengetragene Wissen immer wieder stellt.
Scharfe Analyse mit großem Einfühlungsvermögen
Die Entwicklung Clara Schumanns von früher Kindheit bis zu ihrem Tod beschreibt Christine Eichel mit großem Einfühlungsvermögen, scharfer feministischer, psychologischer und soziologischer Analyse und einer enorm detaillierten erzählerischen Kraft.
Was sie dabei nebenbei leistet, ist eine Diskursanalyse über Clara Schumanns Rezeption. Auch hier verwundert es nicht, allerhand sexistischen Fantasien von Biografen und Musikwissenschaftlern dieser Jahre zu begegnen – und gleichzeitig ist es so dermaßen wichtig, es trotzdem schonungslos herauszustellen. Denn Misogynie ist beileibe kein Phänomen der Vergangenheit, das man nur bei Robert Schumann, Franz Liszt und anderen findet.
Dieses Buch stellt die Aktualität der Kämpfe heraus, denen sich Clara Schumann in ihrem Leben mutig, trotzig und entschlossen gestellt hat – und neben vielen bitteren und demütigenden Erfahrungen trotzdem erfolgreich meisterte. „Clara“ ist für alle ambitionierten Musikinteressierten ein Must-Read, nicht nur für diesen Sommer.
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„Sie war jemand, die wirklich sagte: Selbst ist die Frau!“. Für Autorin Christine Eichel ist die Geschichte von Clara Schumann, geborene Wieck, vor allem die Story einer Befreiung. Zuerst aus den Fesseln des strengen Vaters, dann die Loslösung von ihrem Mann Robert, den sie laut Eichel oft als Belastung empfand.
Das Buch dekonstruiere diese romantisierte Beziehung und zeige, wie schwierig und herausfordernd das Leben von Clara wirklich war.
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