Handyverbote, wie zuletzt von der Band Ghost für ihre Konzerte ausgerufen, kommen vor allem bei Rock-Acts immer öfter zum Einsatz. Die Verbote polarisieren: Während Künstler eine intensivere Atmosphäre schaffen wollen, fühlen viele Fans sich eingeschränkt. Ist ein handyfreies Live-Erlebnis die Zukunft – oder schadet es dem Hype?
Ein Konzert, auf das man sich seit Monaten freut. Und am Ende sieht man Bühnenbild und Lieblingsband nur durch das Handy des dauerfilmenden Vordermanns. Eine Situation, wie sie jeder Konzertbesucher kennt und wie sie immer häufiger auftritt.
Vielen, vor allem bekannten Acts, wird das Meer aus Handys vor der Bühne zu viel: Sie rufen für ihre Konzerte Handyverbote aus, wie zuletzt die schwedische Metal-Band Ghost, die schon auf dem Plakat ankündigt, die Welttournee 2025 mit absolutem Handyverbot durchführen zu wollen.
Handyhüllen machen die Durchsetzung eines Verbots möglich
Doch wie soll ein Handyverbot überhaupt funktionieren? Reines Vertrauen in die Konzertbesucher? Security, die ungehorsame Konzertgänger ermahnt und zur Not des Raumes verweist?
Im Falle von Ghost behilft man sich einer anderen Strategie: Handytaschen der amerikanischen Firma Yondr, die sich nur in bestimmten Arealen innerhalb der Konzertlocation öffnen lassen, sollen auch ein noch so heimliches Filmen hinter dem Rücken des Vordermannes verhindern.
Solche Maßnahmen sind nicht neu: Guns N' Roses nutzten die Handy-Hülle schon 2016 für ein Überraschungs-Konzert in Los Angeles, Rammstein sicherten die Generalprobe der Stadiontour 2019 vor Social-Media-Leaks der neuen Produktion ab und auch Komiker Chris Rock nutzte Yondr, um seine Shows handyfrei zu halten.
Handyverbote auf Konzerten: Was steckt eigentlich dahinter?
Das Vermeiden von illegalen Mitschnitten, das Schaffen einer ablenkungsfreien Atmosphäre oder nur, um die eigene Show mehr in den Fokus zu heben: Die Gründe für den Einsatz von Handyverboten sind mannigfaltig.
Auch die fehlende Wertschätzung ihrer Kunst könne ein ausschlaggebender Punkt sein, warum immer mehr Künstler Handys auf ihren Shows verbieten lassen, meint Medien- und Kommunikationswissenschaftler Dr. Andreas Wagenknecht von der Universität Mannheim im Gespräch mit SWR Kultur am Abend.
Es sei durchaus nachvollziehbar, wenn Bands ihr Gesamtkunstwerk nicht gestört haben wollten, so der Forscher. Blitzlicht beispielsweise würde mit der Konzertatmosphäre brechen, was die Künstler teils gar ablenken könne. Und auch für die Besucher kann das Erlebnis stark eingeschränkt werden, gerade wenn man vor lauter Handys kaum noch die Bühne erkennen kann.
Doch man müsse die Handyverbote differenziert betrachten, meint Wagenknecht: Er verstehe Fans, die es als Recht sähen, mit anderen in den Austausch über das Erlebte gehen zu wollen. Denn das, was ein Konzert auszeichne, entstehe ja nur im Zusammenspiel aus Künstler, Performance und eben Fans – sie sind ein entscheidender Teil des Livecharakters.
Junge Stars und Hype-Acts sollten mit Handyverboten vorsichtig sein
Ein heikles Unterfangen, gerade für Bands, die sich ihren Erfolg in Teilen auf Social Media erarbeitet haben, meint Wagenknecht. So ist das auch im Falle von Ghost, die aufgrund ihrer einzigartigen Inszenierung gerade auf TikTok einen Popularitätsschub erhalten haben.
Social Media könne in diesem Fall eine Art von Nahbarkeit schaffen, die man mit einem Handyverbot ausschließe, so Wagenknecht.
Vor allem für junge Künstlerinnen und Künstler, deren Fans vorwiegend aus der Gen Z kommen und die mit TikTok und Co. aufgewachsen sind, seien Handyverbote daher wenig ratsam, meint Wagenknecht. Für junge Menschen gehöre Filmen, Fotografieren und letztlich auch Posten zum Konzert dazu.
Coldplay wünschten sich einen Song ohne Handys: Selbst das erscheint zu viel verlangt
Handyverbote müssen jedoch nicht immer ganz radikal sein: Als Coldplay in diesem Sommer durch Europa tourten, baten sie für die Dauer ihres Songs „A sky full of stars“ ihr Publikum darum, in den folgenden Minuten das Handy wegzupacken und sich ganz auf die Musik zu konzentrieren.
„Nur diesen einen Song, keine Kameras, keine Handys, nichts Elektronisches. Nur wir! Eure Handys in die Hosentasche und eure Hände zum Himmel“, forderte Chris Martin das Publikum auf. Doch natürlich hält sich nicht jeder an so eine Bitte.
Porcupine Tree und Tool: Vor allem im Rock- und Metalbereich sind Handys unerwünscht
Ähnlich erging es den Prog-Rockern von Porcupine Tree bei ihren Deutschlandkonzerten, unter anderem auf dem Bonner Kunstrasen. Vor Showbeginn ließen sie auf den Screens eine große Botschaft einblenden, in der sie die Fans darum baten, die Handys in den Taschen zu lassen. Es fällt auf, dass vor allem Rock- und Metalbands sich handyfreie Konzerte zu wünschen scheinen.
Wer den Wunsch der Band nicht respektiert, fliegt raus – so handhaben das zumindest Tool auf ihren Konzerten. Die Progressive-Metal-Band ist bekannt für ihre aufwändigen Produktionen und: für ihre Aversion gegen Handys. Frontmann Maynard James Keenan wurde in der Vergangenheit sogar ausfällig gegenüber regelbrüchigen Konzertbesuchenden.
Können Handys Livemomente überhaupt richtig einfangen?
Das Handyverbot hält Keenan nach eigener Aussage nicht für aus der heutigen Zeit gefallen, ganz im Gegenteil: Indem Konzertbesucher nicht an ihre Telefone gebunden sind, können sie sich seiner Meinung nach besser auf das Live-Erlebnis einlassen.
Keenan wird noch direkter: Ihm zufolge gäbe es keine Möglichkeit, das, was in einem Live-Moment passiert, mit einem Telefon einzufangen.
Trotzdem geben Tool ihren Fans die Chance, zumindest einen kleinen Moment des Konzerts festzuhalten: Mittlerweile ist es häufig der letzte Song, bei dem Filmen und Fotografieren durch die Band geduldet wird – sie nennen es, nicht ganz ohne abschätzigen Unterton, „das Souvenir“ für die Fans.
Konzertvideos sind kostenlose Werbung – Deren Verbot muss man sich leisten können
Was man bei der Diskussion um Handyverbote bei aller Konzertromantik nicht vergessen darf: Kleine Videoschnipselchen und admirable Fotos von Konzerten in den sozialen Medien sind in erster Linie Werbung für den Künstler.
Acts wie Adele lassen ihre Show von Anfang an so konzipieren, dass sie möglichst attraktiv für Social Media erscheint und im Idealfall viel kostenlose Reichweite erzeugt. Damit einher geht bei den Fans natürlich der Druck, dabeigewesen sein zu wollen und möglichst gutes Bildmaterial vom Erlebnis zu haben. Zeigen zu können: „Ich habe etwas erlebt!“
Doch es gibt auch eine Kehrseite: Gerade wenn Videos schon kurz nach Konzertende auf YouTube landen, können diese unautorisierten Mitschnitte durchaus kaufentscheidend sein. In Zeiten, in denen Ticketpreise immer weiter steigen, kann ein kurzes, unautorisiertes Video – das dem künstlerischen Anspruch nicht immer gerecht wird – schnell meinungsbildend werden für die Masse.
Dennoch: Die kostenlose Werbung auf Social Media von den eigenen Konzerten ausschließen, das muss man sich leisten können. Handyverbote sind somit eher etwas für bereits etablierte Acts.
Außerdem sind die Verbote nicht für jede Zielgruppe ein probates Mittel: Wo der Boomer sich bei Bob Dylan vielleicht noch über die handyfreie Zeit freut, ist die Gen Z mitunter abgeschreckt von den Restriktionen. Nicht auszuschließen, dass Handyverbote auf Konzerten in den kommenden Jahren noch zur Generationenfrage werden.
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