Vor 30 Jahren legten Green Day mit „Dookie“ das triste Grunge-Imperium in Schutt und Asche und läuteten das große Punk-Revival ein. Auch das Folgealbum „American Idiot“ stellte zehn Jahre später die Rock-Welt auf den Kopf. Wie Green Day auf ganz unterschiedliche Art den Punk über Generationen hinweg prägte.
Auf den Grunge folgt das Punk-Revival
Frühjahr 1994: Von der einstigen Rebellion, die Nirvana und andere Grunge-Rocker aus Seattle ausstrahlten, ist nicht mehr viel übrig. Der Grunge ist von der Schmuddel-Nische in den Mainstream gewandert, Alternative längst nicht mehr alternativ und Ikone Kurt Cobain soll nur noch wenige Wochen leben.
Kurzum: Die auflehnungswillige Jugend ist bereit für frischen Wind und neue Identifikationsfiguren.
Während sich in Europa der Britpop als Gegenentwurf zum nihilistischen Grunge etabliert, ist es über dem Teich mit „Dookie“ das erste Major-Label-Album von Green Day, das am 1.2.1994 eine neue Ära einläutet. Green Day begründen mit „Dookie“ das große Punk-Revival, das die Rockszene der 90er Jahre entscheidend mitprägen soll.
Kurze Songs, harmonische Hooks und jede Menge Humor
Verzerrte Gitarren, melodische Refrains und jede Menge Up-Tempo: Der Sound von „Dookie“ bricht klar mit den damals angesagten Klängen von weichgespülten Pop-Acts, schwermütigem Alternative und bräsigem Grunge.
Inhaltlich nimmt sich die Band dabei nicht allzu ernst: Themenkomplexe wie Selbstmitleid, Langeweile, Sex, Ex-Freundinnen oder Drogen zieren über weite Strecken die Texte auf „Dookie“ und sprechen damit ein vornehmlich junges Publikum an.
Mit kurzen Songs und harmonischen Hooklines bauen sich Green Day ein musikalisches Denkmal, das auch 30 Jahre später noch steht: Songs wie „Basket Case“, „When I come around“ oder „Longview“ sind mit ihren eingängigen Refrains bis heute Tanzflächen-Klassiker auf jeder Rock-Party.
Das richtungsweisende „Dookie“ trifft einen Nerv
Green Day treffen mit dem Sound auf „Dookie“ einen Nerv: Mit viel Dynamik und energiegeladenen Songs hauchen drei Männer von der Westküste einem totgeglaubten Genre neue Lebensgeister ein. Punk is not dead, Punk ist plötzlich kommerziell erfolgreich.
Das schmeckt nicht allen. Viele Oldschool-Punks sehen den Kassenschlager „Dookie“ als Herabwürdigung des Underdog-Genres – das mediale Aufmerksamkeit eigentlich per se ablehnt. Doch die kritischen Stimmen bleiben in der Unterzahl, als Punkrock im neuen Gewand zum Massenphänomen wird.
Mit „Dookie“ begründeten Green Day nicht nur den Pop-Punk, sondern ebneten gleichermaßen den Weg für heutige Genre-Größen wie The Offspring, Sum41 oder Blink182. Das gerade einmal 39:41min lange Album steht hierbei für Wiedergeburt und Meilenstein des Punkrocks zugleich – „Dookie“ war Initialzündung für eine ganze Generation an Rockfans.
Nilz Bokelberg über das ikonische Cover von „Dookie“:
Eine musikalische Metamorphose: Das Konzeptalbum „American Idiot“
Nur zehn Jahre nach „Dookie“ erfinden Green Day sich selbst und das Punkrock-Genre noch einmal neu. Das Konzeptalbum mit dem sprechenden Titel „American Idiot“ erscheint im September 2004 und trifft in den Vereinigten Staaten auf eine Generation, die von 9/11 und Irakkrieg erschüttert in politisch unruhigen Fahrwassern aufwächst.
Dominierten auf „Dookie“ noch stellenweise pubertär anmutende Texte, werden Green Day auf „American Idiot“ plötzlich sehr ernst: Die drei Kalifornier sind spürbar erwachsen geworden. Auf ihrem mittlerweile siebten Studioalbum finden Green Day in ihren Texten Ausdruck für die Frustration einer ganzen Generation, die sich auch auf den Sound der Platte auswirkt.
„American Idiot“ ist durch und durch eine musikalische Metamorphose: Green Day bezeichneten das Album selbst als moderne Rock-Oper, vergleichbar etwa mit The Whos „Quadrophenia“. Knüppelten die Kalifornier auf „Dookie“ in zehn Minuten noch vier Songs durch, umfasst auf „American Idiot“ allein die in fünf Akte unterteilte Mini-Sinfonie „Jesus of Suburbia“ neun Minuten – ohne dabei Längen aufzuweisen.
20 Jahre später noch immer aktuell
Das Konzeptalbum erzählt bei chronologischem Hören die Geschichte des Jugendlichen Jimmy, den es gelangweilt von seinem Vorort in die Großstadt zieht. Diese entpuppt sich als Alptraum: Jimmy wird obdachlos, verfällt den Drogen und kreiert letztlich sein Alter Ego St. Jimmy. Am Ende des fast einstündigen Albums kehrt Jimmy als gebrochener Mann nach Hause zurück.
Auf „American Idiot“ hört man eine Band, die sich nach Veränderung sehnt und ihre Stimme gegen das Establishment erheben will – ein Wunsch, den viele junge Menschen zu dieser Zeit teilen. Die sozialkritische Komponente und der Wunsch, sich Gehör zu verschaffen, weist deutliche Parallelen zur heutigen Zeit auf. Das Album ist auch 20 Jahre nach seinem Release sehr aktuelles Stück Musik.
Songs wie „American Idiot“, der scharf mit der US-Politik von George W. Bush ins Gericht geht oder die rührselige Ballade „Boulevard of Broken Dreams“ wurden trotz ihres ernsten Themas zu Welthits – in den Nullerjahren nicht selbstverständlich.
Eine Brücke zwischen Punk und Masse
Green Day brachten nicht nur den Punkrock in den Mainstream sondern prägten mit „Dookie“ und „American Idiot“ auch zwei ganz unterschiedliche Generationen von Musikfans. Während „Dookie“ auf humorvolle Art die rebellische und unbeschwerte Stimmung der 90er Jahre einfing, sprach „American Idiot“ mit klarer Haltung die politische und soziale Unruhe der Nullerjahre an.
Green Day gelang gleich zweifach, was vielen Bands kein einziges Mal gelingt: Sie schlugen eine Brücke zwischen den rebellischen Wurzeln des Punkrock und einem breiten Publikum, das sich nach Hits sehnt.
Zur Feier von 30 Jahre „Dookie“ und 20 Jahre „American Idiot“ spielen Green Day die beiden Alben im Sommer in ganzer Länge, unter anderem als Headliner bei Rock am Ring und Rock im Park.
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