Dokumentation

„Auswärtsspiel: Die Toten Hosen in Ost-Berlin“: Eine nostalgische Reise in die Vergangenheit des Punk

Stand
Autor/in
Samira Straub

Ein filmisches Geschenk zum 40. Bandgeburtstag: Mit Archivmaterial, emotionalen Interviews und animierten Cartoon-Sequenzen zeichnet die SWR-Dokumentation von Martin Groß eine nostalgische Gegenüberstellung der Punkszenen der 80er aus Ost und West. Im Mittelpunkt steht ein Guerilla-Kirchenkonzert der Toten Hosen, das einen der größten Coups ihrer Bandgeschichte ausmacht.

Auswärtsspiel
So hätten es die Düsseldorfer sicher nicht über die Grenze geschafft: Der markante gelbe Bandbus und die Looks der Musiker mussten für die Einreise in die DDR kaschiert werden.

Ein geglückter Coup: Das Geheimkonzert in Ostberlin

10. April 1982: Die Toten Hosen aus Düsseldorf, fünf schräg aussehende Typen, die gerade den Punk für sich entdeckt haben, spielen ihr erstes Konzert. Damals von der Öffentlichkeit nicht ganz ernst genommen, füllen sie heute mit ihren Konzerten Stadien und zählen zu den ganz Großen der deutschen Musikgeschichte. Was jedoch nur die wenigsten wissen: Knapp ein Jahr nach ihrer Gründung gelingt den Toten Hosen 1983 ein Coup: Sie schleusen sich unerkannt in die DDR ein, um der dortigen Punkszene einen Besuch abzustatten.

Nicht nur für Fans der Toten Hosen

„Auswärtsspiel“ erzählt die Geschichte hinter der Tagesreise der Band 1983 nach Ostberlin. Durch einen Brief kam damals die Sache ins Rollen: Musikmanager Mark Reeder erfuhr über Umwege von Punk-Konzerten in ostdeutschen Kirchen, für die Stasi getarnt als „Blues-Messen“.

Da ein genehmigtes Konzert für die Düsseldorfer keine Option darstellte, wurden kurzerhand die Stachelfrisuren glatt gekämmt, um sich unerkannt über die Grenze zu schmuggeln und der ostdeutschen Punkszene die Ehre zu erweisen – mit einem Konzert in der Ostberliner Erlöserkirche. Wie das funktionieren konnte, erzählt der Film sehr anschaulich.

Doch auch wenn der Titel es vermuten lässt, die Doku von Regisseur Martin Groß ist keinesfalls nur etwas für Fans der Toten Hosen: Im Fokus der Story steht ein Stück deutsch-deutsche Geschichte, ein Porträt der Punkszenen der frühen 1980er, mit Fokus auf dem starken Kontrast von Ost und West. Untermalt mit Punkhymnen von The Clash oder den Sex Pistols weiß „Auswärtsspiel“ vor allem durch Kurzweiligkeit und Humor zu überzeugen.

Auswärtsspiel
1985 kehrten die Toten Hosen noch einmal nach Ostberlin zurück, doch dieses Mal droht das Konzert aufzufliegen: Die Stasi weiß nämlich Bescheid.

Archivmaterial, Interviews und authentische Cartoon-Sequenzen

Während sich die Hosen im Westen zwischen Konzerten, Exzessen und verkorksten Talkshowbesuchen langsam einen Namen machen, können Bands wie Planlos in der DDR von einem unbedarften Punkerleben dieser Couleur nur träumen. Auf Schritt und Tritt von Stasi-Spähern verfolgt, können sie nicht einmal ihre Songtexte auf Papier bringen – stets ist die Angst da, sie könnten entdeckt werden.

Auswärtsspiel
In schwitzigen Clubs sieht man die Toten Hosen heute nur noch selten.

In exklusiven Interviews kommen die damaligen Strippenzieher*innen der ostdeutschen Punkszene zu Wort, im Fokus die Band „Planlos“, mit denen gemeinsam damals im Gemeinderaum der Erlöserkirche musiziert wurde. Mit dabei ist auch der ehemalige Tatort Komissar Bernd Michael Lade – er war in den 1980ern Bandmitglied von Planlos.

Wo das Archivmaterial fehlt, skizzieren animierte Cartoon-Sequenzen das Geschehen nach. Sie sind an Werke des britischen Regisseurs Julian Temple angelehnt und erinnern an die bunten Punk-Fanzines der 1980er Jahre.

Aufnahmen vom Konzert 1983 gibt es nicht

Gerade weil die Dokumentation ihre stärksten Momente aus dem Archivmaterial von damals zieht, schmerzt es umso mehr, dass aus Geheimhaltungsgründen das Konzert 1983 unter strengem Kameraverbot stattfand und daher in der Doku gänzlich unbebildert bleibt. Eine einzige Fotografie des Kirchen-Gigs tauchte Jahre später auf – das einzige Dokument, das neben den zahlreichen Zeitzeugen Berichten an den Coup der Düsseldorfer erinnert.

Schluss mit der Ost-West-Punknostalgie ist es schlagartig, als Campino auf einen ehemaligen Stasi-Offizier trifft und sich mit ihm über die Bespitzelung der DDR Punkszene unterhält. Der Ex-Spitzel entlarvt sich im Gespräch mit Campino selbst: Keinerlei Reue, keinerlei Anteilnahme an den Schicksalen und Karrieren, die er mit seiner Arbeit zerstörte. Eine Szene, die im Gedächtnis bleibt.

Campino im SWR2-Gespräch über den Film und die Punkszene in der DDR:

Filmisches Geburtstagsgeschenk

Regisseur Martin Groß beschenkt die Toten Hosen zu ihrem 40. Geburtstag mit „Auswärtsspiel“ und zeigt sie von ihrer besten Seite: Unangepasst und solidarisch mit Andersdenkenden, rotzig und doch reflektiert. Und genauso lassen sich die Toten Hosen gerne inszenieren – auch mit Blick auf die frisch erschienenen Singles „Scheiß Ossis“ und „Scheiß Wessis“, die sie gemeinsam mit ihrem Freund, dem Rostocker Rapper Marteria, veröffentlicht haben. Geschickte, aber gelungene Cross-Promo auf allen Kanälen.

Auswärtsspiel
Nach 40 Jahren kehrten die Toten Hosen in die Kirche zurück, in der sie damals ihr erstes DDR-Konzert spielten. Mit einer Interpretation eines Planlos-Songs verneigen sie sich vor ihren Kollegen.

Was von den Punks von damals übrig geblieben ist, die Frage stellt sich im Angesicht des 40. Bandjubiläums unweigerlich. Doch auch wenn die Düsseldorfer im Laufe ihrer Karriere älter, ruhiger und sicher auch angepasster geworden sind, so schimmern immer wieder die einstigen Ideale des Punks in ihnen durch – auch in dieser Dokumentation.

„Auswärtsspiel“ als dreiteilige Miniserie ab dem 10.4.2022 in der Mediathek zu sehen. Am 13.4. wird der Film um 22:50 Uhr in der ARD ausgestrahlt.

Der Trailer zu „Auswärtsspiel: Die Toten Hosen in Ost-Berlin“:

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Theresa Hübner im Gespräch mit Campino.

Piper Verlag, 368 Seiten, 22 Euro.
EAN 978-3-492-07050-8

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