Der Nachlass von Rainer Maria Rilke befindet sich im Literaturarchiv Marbach. Darunter auch 68 Notizbücher. Sie liefern Einblick in die Arbeitsweise des Dichters und geben der Rilke-Forschung neue Rätsel auf. Zum Beispiel, warum er besonders wichtige Stellen mit Pflanzen markierte.
Rilkes Notizbücher sind individuelle Schmuckstücke
Wohl behütet im gut gekühlten Archivkeller liegen Rilkes Notizbücher im Literaturarchiv Marbach. Die Direktorin Sandra Richter hat vier Exemplare herausgesucht. Schon auf den ersten Blick wird klar: Der Dichter hat keinen Wert auf einen durchgestylten, einheitlichen Auftritt seiner Notate gelegt.
Mal mit Ledereinband, mal mit Stoff bezogen – die Notizbüchlein sind nicht einfach nur ein Alltagsgegenstand. Rilke arbeitet zwar durchaus auch mit schlichten Blöcken und kompaktem Tageskalender, aber offensichtlich hatte er auch Freude an kleinen, individuellen Schmuckstücken mit Goldschnitt und extra angefertigtem Monogramm.
Listen von Gemüsesorten
Die winzigen Seiten sind eng mit Tinte oder Bleistift beschrieben: Notizen, Texte und Adressen, die er sorgfältig voneinander abzirkelt. Und es gibt Wortlisten: Gemüsesorten sorgfältig untereinander aufgelistet. Der „Mangold“ ist rot unterstrichen.
Die Gründe dafür sind unbekannt – ein Fall für die Rilkeforschung, meint Sandra Richter und erzählt, dass die Notizbücher chronologisch geordnet im Deutschen Literaturarchiv angekommen sind.
Auch Zeichnungen sind zu finden
Neben eher tagebuchartigen Eintragungen hat Rilke in einem anderen Notizbuch Beobachtungen und Aufschriebe festgehalten, die er für ein konkretes Projekt benötigt. Für seine Rodin-Biographie zum Beispiel.
Der Panter, den der Dichter im Atelier Rodins zeichnet, gerät zu einem schwer zu identifizierenden Mischwesen. „Andere konnten es besser“, kommentiert Sandra Richter trocken die Zeichenkünste Rilkes.
klare, gut lesbare Handschrift
Fast schon Werkstattcharakter hat ein kleines, helles Büchlein, eine Art Skizzenbuch, das Rilke bei seinem Aufenthalt 1904 in Dänemark und Schweden dabeihat. Darin enthalten: Notate aus einem Porträtbuch über das dänische Königshaus des 17. Jahrhunderts.
Diesmal sind die Skizzen Rilkes zu königlicher Kleidung und Schuhwerk recht passabel. Und obwohl sicher viele Menschen ihre Beobachtungen eher schnell und flüchtig in einem Notizbuch aufschreiben, scheint Rilke nicht unter Zeitdruck gestanden zu haben. Die Schrift des in Kalligrafie geschulten Autors ist klar und gut lesbar.
Was hat es mit den Pflanzen auf sich?
Und doch geben seine Notizbücher Rätsel auf. Zum Beispiel der hauchzarte kleine Lavendelzweig, den Sandra Richter in einem durchsichtigen Tütchen dem Notizbuch entnimmt – ein weiterer Fall für die Rilkeforschung.
Neben Pflanzen taucht zwischen den Seiten auch die ein oder andere Visitenkarte auf, zusätzliche Zettel ergänzen das Notizbuch. Das Rilke-Universum war doch bunter als angenommen, sagt die Direktorin des Deutschen Literaturarchivs Sandra Richter.
Über den Rilke-Nachlass
Neue Erkenntnisse zur Literaturgeschichte Deutsches Literaturarchiv Marbach sichtet Rilke-Nachlass: Kein Poesie-Genie, sondern Sprach-Arbeiter
„Rilke war kein Poesie-Magier, sondern ein Arbeiter“, sagt Sandra Richter, Direktorin des Deutschen Literaturarchivs. Das Archiv hat 2022 den Nachlass des Dichters erworben und inzwischen einen Teil gesichtet.
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