Buchkritik

Max Czollek – Gute Enden

Stand
Autor/in
Eva Marburg

„Gute Enden“ nennt der Autor Max Czollek seinen neuen Gedichtband. Aber der Titel täuscht: es geht nicht darum, dass alles gut ist: im Gegenteil. Czollek findet eine angemessene Sprache für die Verstörungen unserer Gegenwart. Ein Buch der Unruhe in bewegten Zeiten.

da ist die hosentasche, da der strohhalm, da das feuerzeug in
der zigarettenschachtel aus papier, das ist unser land,
unberechenbar wie april
das ist unser körper, eine durchgeschüttelte flasche krimsekt,
die wir huckepack richtung morgenlicht tragen

„Gute Enden“ heißt der neue Gedichtband von Max Czollek – ein Titel wie eine Irreführung, denn es ist ja gar nichts gut in unserer Gegenwart und wird wahrscheinlich auch nicht gut enden. Seit dem erweiterten Angriffskrieg auf die Ukraine, seit dem 7. Oktober 2023, seit Hanau oder seit dem Treffen Rechtsradikaler in Potsdam – ist die Hoffnung endgültig verschüttet, dass die Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts beendet wurde. 

Und plötzlich sind wir in einer Situation, die auf so vielen Ebenen klar macht, wir sind jenseits dieser Guten Enden. Und welche Sprache, auch welche Sprache für die Emotionen, die das auslöst, brauchen wir jetzt eigentlich? Und ich habe schon den Eindruck - und aus diesem Eindruck heraus ist glaub ich auch dieser Gedichtband gehoben, wenn man so will – dass wir in einer ziemlich heftigen Verleugnungsphase gerade sind: wir wollen uns dieser neuen Realität nicht stellen.“

Traurigkeit auf 125 Seiten

Der Gedichtband „Gute Enden“ stellt und stemmt sich jedoch mitten hinein in diese Realität, in diese Gegenwart. Auf 125 Seiten türmt sich Traurigkeit und spannt ihr Netz in Raum und Zeit.

Das lyrische Ich bereist die Welt, hat die Trauer immer im Gepäck und findet sie auch vor: in Berlin oder Los Angeles, in Vancouver, Venedig, Pompeij, in Tel Aviv und in Prag. Gewaltgeschichte ähnelt sich und verbindet Orte, das bezeugen die Gedichte. Die Sterne im Hollywood Boulevard erinnern an Stolpersteine, des einen Exil ist des Anderen Vertreibung.  Von überall schickt ein ramponiertes Herz Ansichtskarten von der Schlaflosigkeit.

Es ist beeindruckend und bewegend, mit welcher Sprache Max Czollek die tiefe Verstörung herausarbeitet, die sich dem lyrischen Ich in den Gegenwartsphänomenen offenbart. Eine bildlich komplexe Sprache, die sich nicht zufriedengibt, mit den äußeren Erscheinungen, sondern stehen bleibt, Schichten von Geschichte abträgt, genau hinsieht.

In dieser Sprache hat alles seine Unschuld verloren, auch die vermeintlich schöne Natur. Wenn in Brandenburg „für jeden der danach greift / Gärten blühender Zucchinischläger“ bereit liegen, dann evoziert das eine Landschaft, in der die Gewalt tatsächlich verwurzelt ist, in der selbst die Früchte an Baseballschläger und rechten Terror erinnern. „Dachte ich könnte keine Idyllen, nichts ohne Zweifel mehr schreiben“ heißt es an anderer Stelle.

Lyrik ist eine Form, zu der ich seit langer Zeit immer wieder zurückkehre. Ist sicher der Punkt auch von dem ich gestartet bin, und zwar nicht nur persönlich künstlerisch, sondern auch familiär. Mein Vater war Lyriker, mein Großvater war Verleger und hat unter anderem Lyrik verlegt. Lyrik ist sehr sehr nah an mir dran und damit auch nah an einem Gespräch mit den Toten, was ich als ein Kernstück meiner Kunst verstehen würde. Zu sagen: das ist die Möglichkeit, diese Oberfläche des Lebenden zu durchbrechen in eine Vergangenheit.“

Wachheit für die Wiederholung für Geschichte

Die Vorfahren von Max Czollek wurden im Nationalsozialismus ermordet, nur der Großvater Walther Czollek überlebte im Exil. Ihm mitgegeben ist deshalb vielleicht eine besondere politische Wachheit, wie es in dem Gedicht „ich komme vom stamme der asra“ in Anlehnung an Heine deutlich wird.

Diese Wachheit für die Wiederholung von Geschichte sowie die Tatsache, dass die gewaltsamen Ereignisse nicht jeden gleichermaßen betreffen oder zu interessieren scheinen – dieses Auseinanderdriften von gesellschaftlicher Wahrnehmung, all das bündelt sich in den unerbittlichen Beobachtungen des lyrischen Ich. Wie in der Zeile:

manche stehen schon in flammen / andere riechen nicht einmal den rauch.

In dem Eröffnungsgedicht des Bandes „Eigentlich hätten wir ja den Reichstag stürmen müssen“ werden die Ereignisse in einem poetischen Akt des Widerstands umgedichtet. Lyrik als Ort der Trauer, aber auch als Möglichkeit, für einen Moment die Dinge umzukehren:

treffen uns am wannsee, laden alle ein
die verstreut auf feldern, unter trümmern verschüttet
verbrannt in wohnungen, aus straßenbahnen geschleudert
abschied genommen haben
schreiben tausendfach:
wir vermissen euch, wir sind weiter
ohne jede fassung, wir hätten euch verdammt
nochmal gebraucht all die tage, jahre

Gedichte wie die Alpträume unserer Gegenwart

Gedichte müssen so schrecklich sein wie unsere Gegenwart, wie Alpträume, aus denen wir schweißgebadet erwachen – so wird in dem Gedicht „unsere gemeinsamen kriege“ die existenzielle Aufgabe von Lyrik beschrieben. Hoffnung besteht vielleicht nur noch darin, dass diese Gedichte jemanden erreichen:  

denke meine gedichte als lunte, die in eure herzen reicht. eure
ohren als letztes streichholz in meiner aufgeweichten packung

Ich schreibe doch keinen ganzen Gedichtband über die Guten Enden oder das, was danach kommen wird, wenn es mir egal wäre. Ich glaube, es gibt eine große Trauer, die im Zentrum meiner Arbeit steht, die ist familiär, die ist über Generationen jetzt weitergegeben worden – und diese Trauer wächst natürlich auch aus einem großen Verlust. Sicher auch aus einer großen Liebe zu dem, was nicht mehr da ist oder zu dem, was man verliert gerade - immer und immer wieder. Und was das eigentlich heißt, dass diese Dinge einem andauernd verloren gehen? Und ich glaube, sich darüber immer wieder zu empören, dieses Gefühl nicht fallen zu lassen – das scheint mir doch eine Aufgabe meiner Kunst zu sein, vielleicht auch eine Aufgabe einer Kunst, die mich interessiert.“

„Gute Enden“ ist ein Buch der Unruhe - ein großer Gedichtband, der an der Erkenntnis festhält, dass wir durch die Trauer und Traurigkeit hindurchmüssen. Sprache, die klarmacht, nur so sind die Kontinuitäten von der Gewalt der Geschichte zu verstehen. Gedichte, die auf schreckliche Weise gegenwärtig sind und zum Glück gekommen, uns zu stören. 

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