Dora, Catalina und Beatriz bringt die Ehe nur Unglück und Verzweiflung. Doch in den 1950er Jahren sah die erzkonservative, bessere Gesellschaft im kolumbianischen Barranquilla für Frauen keine Alternative vor.
Der Roman „Im Dezember der Wind“ von Marvel Moreno ist eine erzählerische Meisterleistung - und ein flammendes Plädoyer gegen das Patriarchat.
Dem kolumbianischen Literaturnobelpreisträger Gabriel García Márquez wurde immer zugutegehalten, er habe in seinem Roman „Hundert Jahre Einsamkeit“ mit der Geschichte der Familie Buendía die Geschichte Kolumbiens erzählt. Die der Männer vielleicht.
Seine Landsfrau Marvel Moreno zeigt jetzt, was toxische Männlichkeit, wie die Buendía-Männer sie auslebten, in der weiblichen Hälfte der Bevölkerung anrichtete. Und erzählerisch ist sie dem Nobelpreisträger ebenbürtig. Morenos Roman „Im Dezember der Wind“ spielt nicht im Aracataca von García Márquez, sondern im rund hundert Kilometer nördlich gelegenen Küstenort Barranquilla, wo die karibische Sonne die Menschen versengt, wie die Autorin schreibt.
Man verkehrt gern im Country Club von Barranquilla
Morenos Roman hat drei Teile, und jeder erzählt die Geschichte einer Frau. Dora, Catalina und Beatriz. Sie alle kennen Lina, die vom Ende der 1940er bis Mitte der 1960er Jahre mit jeder einzelnen von ihnen etwas erlebte. Davon berichtet ein allwissender Erzähler, und er weiß auch, was Familienangehörige oder Freunde über Dora, Catalina und Beatriz erzählten.
Alle drei, und im Übrigen auch Lina, entstammen der konservativen, reichen Oberschicht von Barranquilla und verkehren im Country Club, dem Zentrum des gesellschaftlichen Lebens. Es ist in Stein gemeißelt, dass Frauen eine gute Partie machen und schnell für Nachwuchs sorgen müssen.
Segen ruht darauf nicht, so die Kernaussage des Romans, denn glücklich oder auch nur zufrieden wird keine von den dreien, nicht einmal Beatriz, obwohl sie den Mann geehelicht hat, den sie einst liebte und begehrte.
Hauptgrund ist das Patriarchat, also die Vorherrschaft der Männer. Sie erlaubt den Ehemännern auch, die in der kolumbianischen Gesellschaft historisch allgegenwärtige Gewalt gegen die eigene Familie zu richten.
Psychoanalytischer Blick auf die kolumbianische Oberschicht
Marvel Moreno steigt beinahe kleinteilig in die Familiengeschichten der drei Frauen und ihrer Ehemänner ein, so dass die Leserschaft klar erkennt, welche Erlebnisse in der Kindheit der Beteiligten Ursache für ihr Verhalten als Erwachsene sind und wie sie dazu führen, dass die Ehepaare immer tiefer ins Unglück stürzen.
Moreno geht dabei psychoanalytisch vor, obwohl ihr Erzähler, wenn er die Ereignisse kommentiert, immer wieder Freud als Apologeten des leidigen Patriarchats ausmacht. Womit sich Marvel Moreno auf die Seite von Feministinnen wie Kate Millet stellte, die Mitte der 1980er Jahre, als die Autorin ihren Roman schrieb, gerade die Gleichstellungsdiskussion beherrschte. Bis heute wird Freud von Feministinnen kritisiert.
Magischer Realismus: sprühend und spannend
Der Stil des mitreißenden Romans ist im Magischen Realismus lateinamerikanischer Prägung zu verorten. Moreno sprüht vor Erzählfreude, ihre plastischen Vergleiche entstammen meist der überbordenden tropischen Natur, und sie lässt das eine oder andere übersinnliche Element einfließen, wenn Linas Großmutter etwa aus dem fauligen Geruch im Garten schließt, dass schwierige Zeiten bevorstehen.
Den langen Schachtelsätzen zu folgen, erfordert ebenso Konzentration wie die Zuordnung der Fülle von Personen, die im Roman vorkommen. Vor allem die Hauptfiguren sind sehr genau gezeichnet, wobei die Sympathie schon deutlich auf die Frauen gelenkt wird und die Leserin immer hofft, dass sie ihrem Unglück entfliehen können. Was für Spannung sorgt.
Einzig Lina bleibt als Charakter im Dunkeln. Man erfährt lediglich, dass sie sich irgendwann den Zwängen der Oberschicht von Barranquilla entzieht und schließlich nach Paris auswandert. Sie ist damit das Alter Ego der Autorin, die ebenfalls 1971 Barranquilla den Rücken kehrt, um bis zu ihrem Tod 1995 wie ihre Protagonistin in Paris zu leben.
Zwar war ihren beiden Romanen und ihren vier Kurzgeschichtenbänden nicht der Erfolg und die Verbreitung beschieden wie den Büchern vieler ihrer männlichen Kollegen. Die angesehene kolumbianische Zeitschrift Cromos zählt Marvel Moreno inzwischen allerdings zu den hundert einflussreichsten Frauen der kolumbianischen Geschichte.