Was passiert, wenn zwei Giganten sich treffen? Was kann daraus entstehen? In seinem neuen Buch „Der Wald und der Fluss“ versucht Karl Ove Knausgård seiner Faszination für das Werk des Malers und Bildhauers Anselm Kiefer auf die Spur zu kommen – die Irritationen, die aus der Begegnung entstehen, ermöglichen spannende Erkenntnisse.
Wenn man vor einem der gewaltigen, bleischweren und aschebestäubten Werke Anselm Kiefers steht, wird man zu einem geworfenen Wesen, zu einem Spielball der Geschichte.
So aufgeladen sind diese Bilder und Skulpturen, von solch historischem Pathos und unerbittlicher Ernsthaftigkeit, so viele Schichten an Erfahrung, Mythos, Zeichen werden darin übereinandergelegt, dass man sie intellektuell kaum fassen oder gar abtragen kann.
Ehrfürchtiges Staunen vor dem Werk Anselm Kiefers
Man wird angesichts der Kieferschen Dimensionen bescheiden. Oder ehrfürchtig. Vor Anselm Kiefers Bildern werde man still, so beschreibt es der norwegische Autor Karl Ove Knausgård. Selbst er, dessen Romane schier größenwahnsinnig alle Rahmen sprengen, steht mit einem gewissen andächtigen Staunen vor ihnen. Und vor dem, der sie geschaffen hat.
„Es gibt Menschen, die auf solche Weise bekannt sind, dass man niemals damit rechnet, ihnen zu begegnen, sie scheinen in einer anderen Welt zu existieren. So ist es beispielsweise bei Schauspielern, Sängern und Politikern, und zwar überall, ihre Gesichter sind immer präsent, ganz gleich, wo wir uns aufhalten, während sie selbst stets woanders sind. Auch Künstler können diese Wirkung haben, aber auf andere Art: Bei ihnen ist es nicht das Gesicht, das bekannt ist, sondern ihr Werk, und davon ausstrahlend, ihr Name.“
Ein solcher Name sei für Knausgård seit jeher Anselm Kiefer gewesen.
„Ja, vielleicht mehr als jeder andere Künstler unserer Zeit, weil seine Werke so monumental sind, so aufgeladen mit Zeit, so beladen mit Geschichte, und weil das Private, Kleine und Persönliche in ihnen vollkommen abwesend sind.“
Die Anziehung ist groß, und so beschließt Karl Ove Knausgård eine längere Zeitungsreportage über Kiefer zu schreiben – natürlich um dem geradezu ausufernden Werk, aber auch einem der bedeutendsten Künstler der Gegenwart näher zu kommen.
Erkenntnisreiche Zusammenkünfte mit dem Künstler
Was nun passiert, ist auf eine interessante und zugleich unbeholfene Weise erkenntnisreich. Knausgård trifft Kiefer zu verschiedenen Gelegenheiten an verschiedenen Orten, stets begleitet von Kiefers Assistentin Waltraud Forelli. Er besucht die riesigen Ateliers in Paris, ehemalige Fabrikhallen, die Kiefer mit einem Fahrrad durchquert und wo er ununterbrochen an mehreren überdimensionalen Werken gleichzeitig arbeitet.
Er wird von Kiefer zum Essen eingeladen, natürlich gibt es einen Privatkoch. Knausgård begegnet dem Maler im Schwarzwald, wo dieser 1945 geboren wurde und aufwuchs – in der Hoffnung, dort etwas über den Ursprung seiner Themen und seines kreativen Furors zu erfahren.
Er darf das Privatflugzeug und den Hubschrauber des durch seine Kunst schwerreich gewordenen Künstlers benutzen. Bei all diesen Gelegenheiten kollidiert Karl Ove Knausgårds eigene Scheu, sein Gefühl der Fremdheit und vielleicht Soziophobie mit etwas, das er nicht erwartet hatte.
„[Kiefer] hatte eine eigentümliche Mischung aus Strenge und Ausgelassenheit ausgestrahlt. Die Strenge lag im Hintergrund und wurde in den Augen sichtbar, die von seinem Lachen meistens unberührt blieben, während das Ausgelassene sich darin äußerte, dass er unablässig scherzte, sozusagen konstant nach dem Leichten in der Situation Ausschau hielt, sowie darin, dass er ein königliches Selbstvertrauen hatte und für sich in Anspruch nahm, es frei entfalten zu können.“
Je häufiger der Interviewer, als der Knausgård hier auftritt, mit diesem unaufhörlich lachenden Maler zusammentrifft, desto aufdringlicher stellt sich die Frage, woher dessen Kunst denn kommt, wie dieses ungreifbar Imposante in einem Menschen wie Kiefer entstehen kann.
Hinzu gesellt sich noch eine Komponente, die in der Beziehung zwischen dem weltberühmten, selbstbewussten Künstler und dem ja ebenfalls berühmten, aber in sich gekehrten Schriftsteller nicht unbedeutend scheint: Anselm Kiefer ist im Alter von Knausgårds Vater, und einmal bekennt Knausgård, dass er …
„… besonders empfänglich [wurde] für die Variationen zwischen Nähe und Distanz, und immer [wollte], dass diese Männer eine gute Meinung von mir hatten.“
Eine psychologische Komponente spielt hier also auch hinein. Es ist äußerst spannend zu sehen, dass sich hier zwei Menschen begegnen, die persönlich einander eigentlich wenig zu sagen haben.
Geschärfter Blick auf das Werk Anselm Kiefers
Dass Knausgård es dennoch gelingt, wunderbare, fast poetische Interpretationen von Kiefers Werk zu liefern, liegt wohl daran, dass er zusehends von der Person Kiefer wegrückt und stattdessen seinen Blick auf die Bilder noch einmal schärft. Kiefers Kunst kommt aus dem Organischen.
„Der Wald und der Fluss“, so nennt Knausgård seine Suche nach dem Urgrund dieser Kunst, sind für Anselm Kiefer wesentlich. In seinen Werken gehe es immer um den Unterschied zwischen dem, was etwas an sich, und dem, was ein Zeichen für etwas anderes ist, zwischen dem, was Natur, und dem, was Kultur ist. Und diesem Unterschied nähere sich Kiefer kontinuierlich an.
„Die Repräsentation des Materiellen wurde immer weiter zum Materiellen hin gepresst, bis die Repräsentation an manchen Stellen völlig aufhörte und er nicht mehr Asche, Stroh oder Holz malte, sondern Asche, Stroh und Holz im Gemälde benutzte.
Was geschieht dann?
Dann ist es, als sei die Welt selbst zu einer Sprache geworden. Dann ist das, was wir lesen, die Welt. Wir lesen Asche, wir lesen Stroh, wir lesen Holz. Und selbst wenn Asche, Stroh und Holz an sich neutral sind, und physische Realitäten, sind sie nicht in sich und um ihre eigene Wirklichkeit geschlossen, sondern im Gegenteil voller Bedeutung, aufgeladen mit Sinn.“
Ob Knausgård es gewollt hat oder nicht: Das Buch wird zu einer Entmystifizierung des Genies, aber das Werk, das das Genie schafft, gewinnt doch an Gewicht – es löst sich vom Schöpfer.
Anselm Kiefer verliert irgendwann das Interesse an Knausgård, er erkennt ihn später bei einem Fest gar nicht mehr wieder. Der Höhepunkt einer zunehmenden Befremdung des Schriftstellers, und zugleich eine Ablösung. Die führt Knausgård mindestens zu der Erkenntnis …
„…dass Kiefers Kunst außerhalb erschaffen wird – außerhalb dessen, was er sagt, außerhalb dessen, was er denkt, außerhalb dessen, was er ist –, sie ist etwas, in das er hineingeht, ein Ort.“
In „Der Wald und der Fluss“ lässt sich viel über die Arbeiten Anselm Kiefers lernen, es gibt Abbildungen seiner Werke, luzide Überlegungen zu seinem Umgang mit Geschichte, mit Material, mit Literatur, mit Mythen.
Mehr noch aber ist dieser Essay eine Reflexion über das Verhältnis von Kunstwerk und Künstler. Und man darf vermuten, dass Knausgård dabei nicht nur über Anselm Kiefer schreibt, sondern auch über sich selbst.
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