Buchkritik

Judith Poznan – Aufrappeln

Stand
Autor/in
Theresa Hübner

Judith wird von ihrem Freund verlassen. Trotzdem wollen die beiden versuchen, weiterhin gute Eltern für den gemeinsamen Sohn zu sein. Die Geschichte einer schmerzhaften Trennung und das Überwinden einer Lebenskrise.

Dieses Buch hat seinen Höhepunkt gleich am Anfang, und er kommt als Ratte daher. Die guckt eines Tages aus Judiths Kloschüssel.

Da war eine Ratte in meinem Klo. Ihr Kopf war ganz schmal, die Nase spitz, und ihr Fellhaar schwamm im Klowasser. Und noch bevor ich irgendwie hysterisch werden konnte, zog sich ihr Kopf wieder zurück.

Was Judith, die Ich-Erzählerin in „Aufrappeln“, die zufällig genauso heißt wie Judith Poznan, die Autorin des Buches, was Judith also dann tut, ist sehr, sehr lustig. Sie schnappt sich eine Rolle Gaffa-Klebeband, das ist dieses ganz feste, klebrige mit dem man fast alles irgendwo anpappen kann, und dann „verbarrikadiert“ sie die Rattentoilette mit dem Dichtungsband.

Fünf silberne Streifen verschlossen das Tor zur Hölle. Und ich packte einen hohen Stapel alter Bildbände und Graphic novels drauf. Ratten, las ich, sind stark. Sie konnten ohne Weiteres das Dreifache ihres Körpergewichts stemmen und sich nahezu überall hindurchquetschen. Die hier würde aber keine Chance haben, rauszukommen.

Eine Ratte im Klo als Omen

Die Rattengeschichte gleich auf den ersten Seiten, ist stark. Charmant und unterhaltsam erzählt Judith Poznan sie und deutet das Nagetier im Klosett als eine Art Omen, ein schlechtes Zeichen für das, was da auf sie zukommt. Und tatsächlich, ein paar Tage später – ist die Katastrophe da, ihr Freund Bruno teilt ihr mit, dass er sich von ihr trennen will. Für Judith bricht eine Welt zusammen, mit Bruno hatte sie sich eine Zukunft vorgestellt, Mann, Frau, Kind in einer Berliner Altbauwohnung - mit allem, was dazugehört zu so einer heilen kleinen Familie, also mit allem, was Judith dachte, dass es dazugehört: 

Ich wollte aus unserer Wohnung ein Zuhause machen, mit Schnittblumen und zu vielen Bilderrahmen. Ich wollte Kinder, die es eklig finden, wenn wir uns küssen. Ich wollte den Markt, auf den wir jeden Samstag Händchen haltend rübergehen. Ich wollte die Hochzeit, die trotz des Regens eine schöne war. (...) Ich wollte das ganze Leben, die Höhen und die Tiefen, den Tag und die Nacht, ich wollte die große Liebe und im wenigen das Glück.

Der Kampf um Haltung in der Paar-Krise

Und jetzt plötzlich das Kontrastprogramm – quasi über Nacht ist Judith alleinerziehend, zieht aus der gemeinsamen Wohnung aus, und bemüht sich, trotz allem, um eine gute Beziehung zu ihrem Ex-Freund, dem kleinen Sohn zuliebe. Denn obwohl die Trennung „das Ende von uns Dreien“ bedeutet, wollen Judith und Bruno doch weiter Eltern, gute Eltern sein.

An sich ist das alles kein unspannendes Setting, der Kampf um Haltung in der Krise, die Frage, wie man als Eltern zusammenbleiben kann, wenn die Paarbeziehung endet. Doch leider verpasst Judith Poznan regelmäßig die Momente, in denen das Buch mehr Tiefe und Reflexion über diese wichtigen Fragen gebraucht hätte. Stattdessen verlässt sie sich ganz auf ihr Erzähltalent, sie pickt sich kleine Alltagsepisoden heraus und kombiniert diese mit Rückblicken auf ihre eigene Kindheit und Jugend in Berlin Moabit. Die war „typisch 90er“, zwar hatte Judith schlechte Noten und der Vater war mal arbeitslos, aber ansonsten: alles normal.

In dieser Zeit war ich das, was man von einer Jugendlichen erwarten konnte. Trockene Haut, fettige Haare, besessen von Leonardo di Caprios müdem Blick und ohne meine beste Freundin kein ganzer Mensch. Meine Emailadresse lautete crazynoodle@gmx.de. Wie sich ein Zungenkuss anfühlen könnte, war die alles beherrschende Frage.

Was hat diese Mitt-Dreißigerin zu sagen?

Auch in den ernsten Teilen des Buches, in denen es zum Beispiel um die Abtreibung bei ihrer besten Freundin mit 16 geht, bleibt Judith Poznan an der Oberfläche. Ihre Kämpfe gehen nie aufs Ganze, ob nun als Heranwachsende oder in der Zeit nach der Trennung. Judith und Bruno sind für ihren Sohn, der seltsamerweise immer nur „der Junge“ genannt wird, weiterhin da, das gelingt ihnen sehr gut. Fertig.

Nur leider, so scheint es, hatte Judith Poznan eben noch knapp 150 Seiten zu füllen. Also lässt sie es plätschern, sorgt hier und da für kleine Schmunzler, durch ihre Berliner Schnauze – sie geht „pullern“ und liebt ihren Sohn „ganz dolle“ – es geht um ihre erste Teenagerverliebtheit und darum, wie sie das Tagebuchschreiben für sich entdeckt hat, aber das reicht eben nicht für ein Buch, das auf dem Klappentext ankündigt „unsere Vorstellung von Liebe zu ergründen.“ Es wird einfach nicht klar: was hat diese Mitte Dreißigjährige eigentlich zu sagen? Für wen sind ihre kleinen Alltagsbeobachtungen spannend, außer für sie selbst? Und selbst die Stellen, die eigentlich emotional sein sollen, klingen seltsam distanziert.

Am nächsten Morgen stehe ich erst spät auf. Die Freude über den Umzug in die Wohnung, der Schmerz über die Trennung von Bruno, beides hat meinen Kopf zu einem Geschwür aus Verwirrung anschwellen lassen. Anstatt nach draußen zu gehen, die Sorgen abzulegen, gammle ich allein vor mich hin. Ich warte einfach nur darauf, dass alles besser wird.

Judith Poznans zweiter Roman „Aufrappeln“ hat kein Stilproblem. Wer ihren schnodderigen Berliner-Schnauze Ton mag, der kann sich an vielen unterhaltsamen Passagen erfreuen. Und dass ihr der Schreibprozess selbst wichtig, dass er heilsam für sie ist, wird auch klar. Was dem Buch fehlt, ist Relevanz oder Gewicht. Kleine Anekdötchen, witzige Wortspiele hier und da reichen vielleicht für Posts in den sozialen Netzwerken, sind aber nichts für die Langstrecke.

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