Jenny Erpenbeck gewinnt mit ihrem 2021 erschienen Buch „Kairos“ den wichtigen internationalen Literaturpreis. Im Ausland hat die ostdeutsche Autorin eine große Fangemeinde.
„Kairos“ – Eine Buchkritik von Kristine Harthauer:
Für ihren Roman „Kairos“ wird Jenny Erpenbeck mit dem diesjährigen International Booker Prize geehrt. Jenny Erpenbeck gilt als eine der wichtigsten Vertreterinnen der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur im Ausland. Die Berliner Schriftstellerin war zum sechsten Mal für den Preis nominiert, der in der Londoner Tate Modern Gallery verliehen wird.
Mit dem renommierten Literaturpreis werden belletristische Bücher ausgezeichnet, die aus einer Fremdsprache ins Englische übersetzt und im Vereinigten Königreich veröffentlicht wurden. Erpenbeck teilt sich den Gewinn mit Michael Hofmann, er hat den Roman ins Englische übersetzt. Der Preis ist insgesamt mit 50.000 Pfund (etwa 58.000 Euro) dotiert.
Warum ist Jenny Erpenbeck im Ausland so erfolgreich? Ein Gespräch mit SWR Kultur Literaturchef Frank Hertweck
Eine DDR-Liebesgeschichte
„Kairos“ erzählt von einer Amour fou: Katharina und Hans heißen die beiden Hauptfiguren, 34 Jahre Altersunterschied liegen zwischen ihnen als sie sich in Ost-Berlin 1986 treffen. Kairos, der Gott mit der goldenen Locke in der griechischen Mythologie, ist der personifizierte günstige Moment. Kairos, den flüchtigen, richtigen Augenblick erleben die beiden Liebenden bei ihrem ersten Aufeinandertreffen in einem Bus.
Erpenbeck verwebt Liebesgeschichte mit deutsch-deutscher Geschichte: Hans, 1933 geboren in Nazideutschland, lebt als nun überzeugter Kommunist in der DDR. Katharina dagegen ist mit den Idealen des kommunistisch-sozialistischen Regimes aufgewachsen.
Im Laufe der Erzählung zerfällt nicht nur die Beziehung der Protagonisten, sondern auch der Staat geht unter.
Ein international viel diskutierter Roman
2021 ist „Kairos“ hierzulande erschienen. Die Resonanz der Kritik war positiv, dreimal stand der Roman auf der SWR Bestenliste. Die großen Ehrungen blieben allerdings aus. Der Roman wurde im Erscheinungsjahr weder für den Deutschen Buchpreis noch für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert. Die wichtigsten Ehrungen ihrer Arbeit bekommt Jenny Erpenbeck aus dem Ausland.
Besonders im angloamerikanischen Raum hat die Schriftstellerin eine begeisterte Fangemeinde, sogar als mögliche Kandidatin für den Literaturnobelpreis wird Erpenbeck gehandelt. Ihre Bücher sind in 30 Sprachen übersetzt.
Tief verwurzelt in der ostdeutschen Geschichte
Jenny Erpenbeck stammt aus einer Schriftstellerfamilie, ihr Großvater war Autor Fritz Erpenbeck, ihre Großmutter Hedda Zinner. Die Familie gehörte zur intellektuellen Elite der DDR. Geboren wurde Erpenbeck 1967 in Ost-Berlin, als die Mauer fiel war sie 22 Jahre alt. 1999 veröffentlichte sie ihr Debüt „Geschichte vom alten Kind“. Daraufhin folgten zahlreiche Veröffentlichungen, darunter Romane, Erzählungen und Theaterstücke.
Ihre Arbeiten wurden vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Joseph-Breitbach-Preis, 2015 mit dem „Independent Foreign Fiction Prize“ und dem Thomas-Mann-Preis. Der „Guardian“ nahm ihren Roman „Heimsuchung“ (2008) in die Liste der 100 besten Bücher des 21. Jahrhunderts auf. Jenny Erpenbeck lebt und arbeitet in Berlin.
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Buchkritik Jenny Erpenbeck – Kairos
Kairos, das ist der Gott des glücklichen Augenblicks. Einen solchen erleben Katharina und Hans 1986 in Ost-Berlin, als sie sich kennenlernen. Die 34 Jahre Altersunterschied scheinen sie nicht zu stören. Sechs Jahre lang kommen sie nicht voneinander los, während sich die DDR im Niedergang befindet. Jenny Erpenbecks „Kairos“ stellt die Erzählung der Wiedervereinigung als historischen Glücksmoment in Frage – dafür muss man beim Lesen viel amourösen Pathos aushalten.
Rezension von Kristine Harthauer.
Penguin Verlag, 384 Seiten, 22 Euro
ISBN 978-3-328-60085-5