Wie können wir Menschen, die gestorben sind, am Leben erhalten? Der italienische Schriftsteller Emanuele Trevi sagt: Indem wir über sie schreiben. Deshalb hat er zweien seiner Freunde ein Buch gewidmet. „Zwei Leben“ ist zugleich ein literarisches Porträt und ein Essay über Freundschaft. Dafür erhielt Trevi 2021 den renommierten Premio Strega.
Ein Glück, dass Italien in diesem Jahr Gastland der Frankfurter Buchmesse ist. Und ein Glück, dass der Schriftsteller Emanuele Trevi 2021 den „Premio Strega“ für „Zwei Leben“ bekam. Sonst wäre dieses Buch, eine Mischung aus Biografie, Memoir und literarischem Essay, vielleicht nie ins Deutsche übersetzt worden.
Denn Trevi ist einer dieser Schriftsteller, die im eigenen Land berühmt, im Ausland aber lange ignoriert worden sind. Vielleicht weil seine literarische Form ungewöhnlich, möglicherweise ein bisschen sperrig ist. Vielleicht auch, weil seine Bücher von Personen handeln, die zwar real existieren, aber nicht unbedingt bekannt sind.
„Zwei Leben“ erzählt die Geschichte von Trevis Freundschaft zu zwei früh verstorbenen italienischen Schriftstellern, Rocco Carbone und Pia Pera. Der Titel hat eine doppelte Bedeutung.
Freundschaft als Liebesbeziehung
Die Liebe spielt in „Zwei Leben“ eine große Rolle, jedoch nicht die romantische. In der sind weder Rocco noch Pia sonderlich begabt. Dafür haben sie ein anderes Talent, ein Talent zur Freundschaft. Das gilt – so darf man vermuten – auch für den Autor selbst. Es kommt nur selten vor, dass Bücher Freundschaft den gleichen Wert beimessen wie der Liebe. Trevi tut das und schreibt über sie wie andere über Liebesbeziehungen.
Doch es gibt in „Zwei Leben“ noch ein anderes großes Thema: das Schreiben. Zum einen, weil die beiden Menschen, um die es geht, nun einmal Schriftsteller sind. Und zum anderen, weil Trevi sich in essayistischen Passagen immer wieder die Frage stellt, wie man sich einem Menschen bestmöglich schreibend nähern kann.
Plastische und reale Charaktere
Solche Überlegungen mögen auf den ersten Blick für Menschen, die keine Schriftsteller sind, wenig Relevanz haben. Doch Trevi will nicht nur seine eigene Poetik darlegen. Er sieht das Schreiben vielmehr als Mittel, seine Freunde am Leben zu erhalten; sie so plastisch, und real zu schildern, wie sie tatsächlich waren.
Das gelingt ihm. Am Ende von „Zwei Leben“ meint man Rocco Carbone und Pia Pera zu kennen, ja regelrecht vor sich zu sehen, wie Figuren eines Romans. Schon ihre Namen klingen ja wie ausgedacht. „Carbone“ bedeutet „Kohle“, „Pera“ ist die Birne. Passend deshalb, weil Pia sich im Lauf ihres Lebens immer mehr ihrem Garten widmet. Und über Rocco heißt es gleich zu Beginn:
Wahrnehmung des Individuums mit all seinen Facetten und Besonderheiten
In mancher Hinsicht ist „Zwei Leben“ ein unzeitgemäßes Buch. Denn Trevi, das schreibt er explizit, glaubt nicht daran, dass uns biografische Eckdaten, wie unsere soziale Herkunft, zu denen machen, die wir sind. Es geht ihm nicht darum, wie etwa der französischen Nobelpreisträgerin Annie Ernaux, am Schicksal des Einzelnen eine bespielhafte oder kollektive Geschichte zu erzählen.
Sondern um das Individuum mit all seinen Besonderheiten. Rocco und Pia stehen deshalb – zumindest in seinen Augen – nur für sich selbst. Warum also über sie schreiben? Und warum von ihnen lesen? Weil Trevis Buch, auf sehr berührende Weise, trotzdem von etwas Allgemeingültigem erzählt. Wie wir, verschieden wie wir sind, zueinanderfinden. Wie wir Freundschaften führen, mit dem Tod umgehen und uns an einander erinnern.
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Rezension von Theresa Hübner.
Aus dem Spanischen von Christine Quandt
Verlag Kiepenheuer & Witsch, 192 Seiten, 20 Euro
ISBN 978-3-462-00175-4