Der Österreicher Elias Hirschl ist ungefähr so alt wie das Internet für jedermann. Die irrwitzige Produktion von Klick-Schrott für Social Media ist Thema seines neuen Romans „Content“. Ergebnis: nicht moralische Empörung, sondern ein grausig-erhellender Witz nach dem anderen.
Ein Aufenthaltsstipendium in Dortmund kann tiefe Spuren im Literatengemüt hinterlassen. Vor allem, wenn man anderes gewohnt ist, Wien zum Beispiel. Der gebürtige Wiener Elias Hirschl, Jahrgang 1994, lässt in seinem jüngsten Roman „Content“ mit spürbarem Vergnügen am Exotischen die Reize einer von der Kohle- und Stahlindustrie in die Mangel genommenen und für immer gezeichneten Landschaft spielen.
Riesenbagger und verlassene Produktionsstätten allenthalben, versinkend in einem toxischen Untergrund voller Löcher und Schächte, die mit Wasser volllaufen, weil auch die sogenannten Ewigkeitspumpen nicht ewig arbeiten. Jedenfalls, wenn eine Kommune kein Geld mehr für den Weiterbetrieb aufwenden kann. Der Name des posturbanen Konglomerats: Staublunge.
Was das ganze Internet verstopft
Aber hey, man muss auch das Positive sehen! Wo, wenn nicht in solchen Gefilden jahrzehntelangen Verfalls haben mutige Start-ups und sinistre Investoren derart viel Auslauf und werden von der Kommunalpolitik so freudig willkommen geheißen?
Die Ich-Erzählerin, die hier ins Spiel kommt, verdient ihren Lebensunterhalt nämlich mit dem Verfassen von Listicles. Solche in Listenform aufgeführten Pseudofakten über garantiert wirksame Haushaltstricks, schlimmste Reiseziele, unglaublichste Ufo-Sichtungen oder eben Promi-Skandälchen waren mal als angeblich Internet-taugliche Form von Journalismus gedacht. Mittlerweile wird von Content-Schrott wie diesem nicht nur Social Media verstopft, sondern das komplette Netz.
Handys zerquetschen, Clicks generieren
Die namenlos bleibende Erzählerin ist Anfang, Mitte dreißig und träumte mal von einem kreativeren Broterwerb, so wie all ihre Kollegen, die auf derselben Etage einer ehemaligen Zeche Clickbait-Material produzieren: Youtube- und TikTok-Filmchen von Nokia-Handys etwa, die in Hydraulikpressen zerquetscht werden, mit post-ironischer Meta-Ebene, versteht sich. Andere denken sich Trends aus, die viral gehen sollen, irgendwas mit Kuchen, die wie Gegenstände aussehen – und umgekehrt. Alles im Auftrag einer geheimnisvollen Firma namens Smile Smile Inc. mit Sitz auf Zypern.
Der traurige Witz an der Texterei der Ich-Erzählerin ist, dass ihre liebevoll zusammengegoogelten Listicles niemals, wirklich niemals so veröffentlicht werden, wie sie sie geschrieben hat, weil eine Fülle von Kontrollebenen daran herumoptimiert. Ihre Kollegin hält das nicht aus, legt irgendwann statt eines Handys die eigene Hand in die Hydraulikpresse und ist dann länger krankgeschrieben. Wie sich herausstellt, eine glückliche Wendung für die Kollegin, deren Twitter-Aktivitäten in eine Fernsehkarriere als Late-Night-Gagschreiberin münden.
Die Fallhöhe zwischen dem Verlust einer Hand und dem überraschenden Aufstieg ist eine der satirischen Pointen, mit denen Hirschl gern arbeitet – ein Exempel des turbokapitalistischen Versprechens, man könne alles erreichen, wenn man nur fest an sich glaube und hartnäckig dranbleibe, und zugleich dessen Demontage.
Die Doppelgängerin macht Influencer-Karriere
Die Ich-Erzählerin muss derweil feststellen, dass sie Opfer eines umfassenden Identitätsdiebstahls geworden ist und eine frischere Version ihrer selbst sich all ihrer Social-Media-Konten bemächtigt hat.
Während die Doppelgänger-Inszenierung durchgezogen wird bis zum bitteren Ende, wird die reale Stadt da draußen, die ganze Staublunge, mitsamt den gefluteten Wohngebieten, den einstürzenden Industriebauten und Logistikzentren von sich häufenden Erdbeben erschüttert.
Aus der Entsprechung von inneren und äußeren Implosionen gewinnt Elias Hirschl tatsächlich eine Menge fesselnden Content. Immer neue Einfälle zieht er aus dem Fundus seiner Gegenwartsbeobachtung heraus wie ein Zauberer die Kaninchen aus dem Zylinder.
Es gibt einen Journalisten, der hinter der Content-Schmiede Smile Smile Inc. die Chinesen, die Russen oder noch viel Schlimmeres vermutet, einen jungen Gründer, der unverzichtbare öffentliche Institutionen bis hin zur Feuerwehr reihenweise in dysfunktionale Start-ups verwandelt, streikende Fahrradkuriere, die flugs gefeuert und durch Drohnen ersetzt werden.
Zwischen Amüsement und innerem Haareraufen
Vieles davon mag zunächst völlig übertrieben scheinen – bis man sich den Umgang von Streaming-Plattformen mit Urhebern oder die Geschäftsmodelle von Lieferdiensten in Erinnerung ruft. So schwankt man lesend zwischen Amüsement und innerem Haareraufen angesichts der rasenden digitalen Verblödung, deren Folgen hier sichtbar werden: Je mehr Bildschirmzeit mit Stuss verbracht wird, desto besser für diejenigen, die ungestört ihren Geschäften nachgehen wollen.
Elias Hirschls Roman liefert weder eine tiefgründige Handlung noch stilistische Höhenflüge. Im Gegenteil, auf weite Strecken bedient er sich genau der Normcore-Sprache seiner Generation der Millennials. „Content“ ist ein Spiel mit den Klischees unserer durchdigitalisierten Welt – keine große Literatur, aber eine immer wieder witzig auf den Punkt gebrachte Kapitalismuskritik 2.0.
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